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Arbeitswelt

Wintertourismus und Corona-Lockdown: Wer von Saisonarbeit abhängig ist, ist nun von Obdachlosigkeit bedroht

Der Wintertourismus ist von Saisonarbeit abhängig. Jedes Jahr strömen tausende Menschen - zum Großteil aus dem Ausland - in die Schigebiete, um dort oft unter gesetzeswidrigen Umständen zu schuften. Obwohl sie Sozialabgaben bezahlen, erhalten sie mitunter kein Arbeitslosengeld. Wir haben mit Betroffenen gesprochen, die nun von Obdachlosigkeit betroffen sind oder Angst haben, auf der Straße zu landen.
“Was habe ich nur verbrochen, damit ich das verdient habe?” – diese Frage stellte sich Regina oft, als sie 11 Tage lang mit ihren beiden Hunden in Wien in einem Park übernachten musste. Die 61-jährige Deutsche lebt von der Saisonarbeit in Österreich, im Sommer hat sie ihren Hauptwohnsitz auf Mallorca. Jeden Winter hilft sie als Allrounderin aus, wo sie gebraucht wird: als Zimmermädchen, in der Küche oder im Service. 

Auch heuer hatte sie schon eine Zusage in der Tasche – doch aufgrund des Lockdowns bekam sie dann eine Woche vor Dienstantritt eine Absage. “Zuerst bin ich in eine Pension gezogen, aber dann wurde das Geld immer knapper und so habe ich dann draußen geschlafen”, erzählt Regina. Ihren beiden Söhnen wollte sie nichts von ihrer Situation erzählen, denn “die haben ja ihre eigenen Probleme”. 

Zum Glück sprach jemand Regina an und erzählt ihr von der Obdachlosen-Einrichtung Notquartier-Nord der Volkshilfe Österreich – hier darf sie auch ihre Hunde mitnehmen. “Ich dachte nie, dass ich einmal in so einer Einrichtung lande. Es kann einfach jeden treffen. Ich bin hier von herzensguten Menschen umgeben, aber ich weine viel”, erzählt sie.

Saisonarbeit: Ein harter Job, kaum Freizeit

Regina hofft, dass sie noch dieses Jahr einen Job im Wintertourismus bekommt, sobald der Lockdown vorüber ist. Sie arbeitet gerne in Österreich, da sie hier mehr Geld verdient. Netto erhält sie hier bis zu 1.400 Euro, dazu kommen Überstunde und Zulagen wie Weihnachtsgeld. 

Die Arbeit macht sie gerne, obwohl sie hart ist. “In der Saisonarbeit gibt es keine freien Tage oder Pausen, da ist rund um die Uhr was los. Wenn etwa in der Nacht etwas passiert und sich ein Gast beschwert, bin ich als Zimmermädchen diejenige, die als Erstes springen muss,” erzählt Regina. 

Da SaisonarbeiterInnen meist in dem Hotel oder Gastronomiebetrieb schlafen können, in dem sie arbeiten und auch dort verköstigt werden, sparen sie sich viel. “Da du so gut wie nie frei hast und daher nicht auf den Putz hauen kannst, bleibt viel Geld übrig. Auf diese Rücklagen greife ich dann im Sommer zu, arbeite aber auch gelegentlich in Spanien”, erzählt Regina. Doch heuer hat das Ersparte einfach nicht gereicht. Wie bei vielen SaisonarbeiterInnen. 

Regina hat zu wenige Monate durchgearbeitet, um Arbeitslosengeld in Österreich zu bekommen. Sie hofft nun auf Mindestsicherung. Doch für diese benötigt sie Unterlagen von spanischen Behörden – die sie vielleicht erst in Monaten erhält.

Wintertourismus ohne Saisonkräfte aus Ausland undenkbar

Tatsächlich halten vor allem ausländische Arbeitskräfte wie Regina den Wintertourismus am Laufen. Zwar werden nun viele Tourismusbetriebe mit viel Steuergeld gerettet – doch an jene, die dort arbeiten, denkt keiner. 

Im Jänner erreicht der Personalstand in den Tourismusbetrieben jährlich den Höchststand. Im Jänner 2020 haben insgesamt 235.196 Menschen in der Hotellerie oder dem Gastgewerbe gearbeitet. 55% davon kamen nicht aus Österreich. 20 Prozent der SaisonarbeiterInnen kommen jedoch aus osteuropäischen Ländern, wie Ungarn, Tschechien, der Slowakei oder Polen.17,6 Prozent kommen aus Drittstaaten, also Ländern außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums. Und schließlich kommen auch viele Deutsche zu uns, wie Regina

 

 

Ungesetzliche Arbeitsbedingungen in der Saisonarbeit interessieren niemanden

Es ist ein offenes Geheimnis, dass SaisonarbeiterInnen mitunter 12 bis 16 Stunden am Tag arbeiten und oftmals lange keinen freien Tag haben. Doch Arbeitsinspektoren interessieren sich nicht für diese Zustände, erklärt Andreas Gollner vom Fachbereich Tourismus der Gewerkschaft Vida: “Viele ArbeitnehmerInnen finden das sogar toll, sie wollen in kürzester Zeit viel Geld verdienen. Doch oft gibt es nur pauschale Abgeltungen, die keinesfalls diese vielen Überstunden abdecken – das ist vielen nicht bewusst.”

Grundsätzlich gilt arbeitsrechtlich: Mehr als 12 Arbeitsstunden am Tag sind nicht erlaubt. Im Durchschnitt muss die Wochen-Arbeitszeit über 17 Wochen 48 Stunden betragen. Wer also viel arbeitet, müsste dann in anderen Wochen auf weniger Stunden kommen, damit sich das ausgleicht. Doch daran ist bei der Saisonarbeit oft nicht zu denken.

SaisonarbeiterInnen ging durch Lockdown Weihnachtsgeld verloren

Bereits der erste Lockdown hat die letzte Wintersaison frühzeitig beendet – und viele SaisonarbeiterInnen standen plötzlich auf der Straße. Damals haben wir mit Patrick gesprochen, der seinen Job als Barchef einem Hotel verlor, sofort aus seinem Quartier ausziehen musste und vor der Obdachlosigkeit stand. 

Im Sommer fand er einen Job und hatte wie Regina diesen Winter eine fixe Jobzusage im Wintertourismus – doch dann kam der Lockdown. “Ich habe heuer zum zweiten Mal meinen Job verloren, völlig unverschuldet! Wenigstens habe ich diesmal besser vorgesorgt, weil ich schon eine solche Situation im Herbst befürchtet habe,” erzählt er. Patrick hat sich ausgerechnet, wie viel Geld er heuer verloren hat: Mindestens 7.000 Euro an Netto-Einkommen durch entgangenen Lohn und Urlaubs- und Weihnachtsgeld, dazu noch 3.000 Euro an Trinkgeld, das macht insgesamt 10.000 Euro.

“Wer ersetzt mir und den KollegInnen, die nun im selben Boot sitzen, diese Einkommensverluste? Wer ersetzt uns die zusätzlichen Kosten für Wohnraum?” fragt der gebürtige Deutsche.

Saisonarbeit dauert oft zu kurz, um Anspruch auf Arbeitslosengeld zu haben

Wer Arbeitslosengeld beziehen will, muss in der Regel in den letzten 2 Jahren 52 Wochen gearbeitet und Versicherung bezahlt haben. Auf diese Dauer kommen viele SaisonarbeiterInnen aber nicht. Sie bezahlen zwar in der Zeit, in der sie arbeiten, Sozialabgaben, doch ist es für sie schwer bis unmöglich, im Härtefall dann etwas aus diesem Topf zu erhalten. Wie viele nun aufgrund der Corona-Krise ihre Jobs verloren und nicht einmal Anspruch auf Arbeitslosengeld haben? Darüber gibt es – wie so oft in Österreich – keine Daten. 

Viele Saisonarbeiter, die jedes Jahr aus dem Ausland nach Österreich kommen, müssen nun in ihren Heimatländern um Sozialhilfe ansuchen. Das ist oft ein bürokratischer Aufwand, damit ihnen die Arbeitszeit in Österreich im Heimatland angerechnet wird. Und wenn sie schließlich Sozialhilfe bekommen, so erhalten sie oft viel weniger Geld, als ihnen in Österreich zustünde. 

Wer in so einer Situation nicht den Rückhalt der Familie hat und bei Verwandten wohnen kann, der droht mitunter auf der Straße zu landen – so wie Regina und Patrick.

 

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