Kicken für Demokratie: Es gibt keine halben Menschenrechte
Eigentlich ist es völlig klar: Es gibt keine halben Menschenrechte. Dass sie jeder Mensch schlicht hat, macht diese Rechte aus. Und doch gibt es Leute, die Menschenrechte relativieren. Ob das nun aus wirtschaftlichen Interessen, purem Dagegensein oder ideologischen Gründe passiert. Im Endeffekt tut es nichts zur Sache. Ein aktuelles Beispiel ist die Fußball-Weltmeisterschaft der Männer in Katar.
15.000 Arbeiter kamen bei den Vorbereitungen für die WM in Katar ums Leben. Homosexualität gilt als Straftat und die gesellschaftliche Stellung von Frauen ist grob eingeschränkt. Es gibt sehr viel Kritik und Empörung von vielen Seiten. Nicht zuletzt von den Fans selbst.
Dagegen halten Politiker:innen wie der ehemalige deutsche Vizekanzler Sigmar Gabriel. Er wirft den Kritiker:innen „Arroganz“ vor.
Um dann allerlei hinkende Vergleiche mit Deutschland oder Mexiko zu ziehen. Das Credo: Es ist ein langsamer Weg, aber eine Veranstaltung wie die Fußball-WM hilft den Demokratisierungsbestrebungen im Land. Das soll man durch Moralismus nicht unnötig schwer machen. Gabriel gibt sich hier als der kühle Durchblicker, der den emotionalen Kritikern zeigt, was Sache ist und die vermeintliche Heuchelei aufdeckt. Er sagt allerdings nicht, dass er im Aufsichtsrat der Deutschen Bank sitzt, in die massiv katarisches Vermögen investiert wurde.
Gabriel ist bei weitem nicht der erste Politiker oder Sportfunktionär, der sich dieses Narrativs bedient. Uli Hoeneß, prominenter Ex-Präsident des FC Bayern, meinte zur Kritik: „Die WM und das Engagement des FC Bayern und andere Sportaktivitäten in der Golfregion werden dazu führen, dass die Arbeitsbedingungen für die Arbeiter dort besser werden und nicht schlechter. Das sollte man endlich mal akzeptieren und nicht ständig auf die Leute draufhauen“.
Russland wurde auch nicht durch die WM demokratisiert
Im Vorfeld der WM 2018 in Russland gab es breite Kritik wegen des Umgangs von Putins Regime mit kritischer Presse, Opposition und Homosexuellen. Reinhard Grindel, damals DFB-Präsident, wollte die WM als Chance sehen: „Hunderttausende ausländische Fans aus demokratischen Ländern werden zur WM kommen und über Wochen hier leben. Dieser Einfluss kann ein Land verändern“, so Grindel weiter: „Ich würde darum, bei allem Verständnis für kritische Stimmen, die positiven Auswirkungen der WM auf die politische Debatte in Russland nicht unterschätzen.“ Wir wissen mittlerweile alle, wie sich Russland in den nächsten Jahren entwickelt hat.
Selbst, wenn man die Eigeninteressen von Gabriel, Hoeneß und Grindel außer Acht lässt, gibt es einige Probleme mit dem Narrativ, dass sich eine Fußball-WM als Demokratisierungswerkzeug eignet.
FIFA ist kein Menschenrechtsverein
Die Fußball-WM wird nicht von der UNO, sondern von der FIFA ausgerichtet. Die Vergabeprozesse sind intransparent. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass es hier intern genügend Intrigen, Korruptions- und Betrugsvorwürfe gibt. Und selbst wenn sich niemand persönlich bereichern würde: Das Ziel der FIFA selbst ist nicht die Demokratisierung der Welt, sondern Geld zu verdienen. Sie ist keine demokratische Akteurin im Sinne der Menschenrechte.
Es gibt genügend Anschauungsmaterial dafür, dass Sportveranstaltungen kein Land verändern. Wer erinnert sich noch, wo die letzte Fußball-WM der Männer stattgefunden hat? Richtig, in Russland. Die Olympischen Spiele waren in den vergangen 15 Jahren gleich zweimal in China. Dass die Demokratisierungsprozesse hier eher weniger gewirkt haben, ist wohl mehr als offensichtlich.
Diktatoren lieben Großereignisse
Sportliche Großereignisse eignen sich weniger als Protestveranstaltungen, dienen aber mehr als Legitimierung der Herrschenden. Deswegen möchten ja so viele Länder gerne solche Veranstaltungen ausrichten. Der Glanz und das Brimborium färben auf die Herrschenden ab. Die Stars können oder wollen sich nicht dagegen wehren. So wurde ein sichtbar überraschter Mo Salah bei der WM zu einem PR-Auftritt mit dem tschetschenischen Diktator Ramsan Kadyrow gezwungen. Heute unterdrücken Kadyrows Schergen nicht nur die Menschen in Tschetschenien, sondern schlachten sich auch durch die Ukraine.
WM in Katar: Kein Fußballmärchen
Dem Sport wird gerne eine völkerverbindende Wirkung nachgesagt. Und sicher hat er seine Wirkung in vielen Bereichen. Die Überwindung politischer Systeme ist aber auch gar ein bisschen viel Erwartung. Am Ende bleibt übrig, dass 15.000 Arbeiter für diese WM gestorben sind und bisher keine Demokratie ausgebrochen ist. Für vielleicht 6.000 Minuten Fußball. Sie als Kollateralschaden einer vermeintlich großangelegten Demokratisierungsoffensive zu sehen, ist kein Kampf gegen überbordenden Moralismus, sondern zynisch und menschenverachtend. Die Märchen von der wundersamen Wirkung kommerzieller Sportereignisse ändern das nicht.