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Ungleichheit

Wohnen: "Mehr Besitz heißt weniger soziale Durchmischung"

Wie werden wir in Zukunft wohnen? Professor für Wohnbau Michael Obrist über Landflucht und Landsehnsucht und Mini-Wohnungen.

Wie werden wir in Zukunft wohnen? Michael Obrist, Professor für Wohnbau, spricht über Landflucht und Landsehnsucht, Mini-Wohnungen und erzählt wie wir Wohnen ganz neu denken können.

MOMENT: Die Mieten in Österreich steigen vor allem in den Städten stark, viele Mietverträge sind befristet. Wie steht es ums Wohnen?

Michael Obrist: Grundsätzlich muss ich sagen, dass beispielsweise Wien immer noch ein großes Vorbild für andere Großstädte ist. Experten und Stadtplaner aus aller Welt kommen her, um das Wiener Wohnen zu verstehen.

In anderen Metropolen, wie etwa London, ist die Lage schlecht. Dort wird Wohnraum vermehrt als reine Ware gesehen, was bis zu den Extremen führen kann, dass man Häuser baut, die leer bleiben können, da sowieso damit Wert generiert wird. Ein weiteres Problem ist Airbnb: Da es mehr Geld abwirft als eine normale Miete, wird realer Wohnraum knapper, die Menschen verdrängt.

Auch in Wien?

Nein, in Wien haben wir eine etwas bessere Situation. Die Gemeinde Wien ist eine der größten Immobilienbesitzerinnen der Welt. Der soziale Wohnungsbau in Wien hat eine lange Tradition, und funktioniert auch, weil er breite Bevölkerungsschichten zugänglich ist, und sehr viele Menschen im Hintergrund daran arbeiten, dass über das reine Wohnen hinaus Gemeinwohl entsteht.

In Wien gibt es in jedem Bezirk Gemeindebauten und folglich einen Versuch der Durchmischung der unterschiedlichen Einkommensklassen. Dies ist in vielen Städten nicht so. Wien ist die Stadt der Mieter, und mit 77 Prozent an Mietwohnungen führend in Europa. Nur rund 20 Prozent dieser Wohnungen sind Teil des freien Markts. In anderen Städten ist es umgekehrt.

 

In Paris sind Reichen- und Armenghettos entstanden.

 

Woran liegt das?

Das hat etwas mit Vertrauen zu tun: Wer dem Staat vertraut, dass er eine Altersvorsorge hat, wird eher mieten. Wer als Sicherheit eine Eigentumswohnung braucht, spart darauf. Das erklärt, warum in Ländern wie Spanien und Griechenland das Vermögen pro Familie so hoch ist im Vergleich zu Österreich. Dort verlassen sich die Menschen weniger auf den Staat. In Wien konnten wir lange darauf vertrauen, dass die Mieten günstig bleiben. Jetzt ändert sich das und wir sehen einen Trend zum Immobilienkauf. Vor fünfzehn Jahren waren die Mieten so günstig, dass niemand daran gedacht hat, sein Geld in Immobilien zu investieren. Damit hat man nichts verdient. Jetzt kaufen sich die Leute Vorsorgewohnungen, die sie vermieten.

Ist das gut?

Nicht unbedingt. Dadurch wird für den Markt nur noch schnell verwertbarer Wohnraum produziert, der nicht unbedingt den realen Bedürfnissen entspricht. Zusätzlich bedeutet mehr Besitz weniger Flexibilität. Das heißt dann in weiterer Folge, dass in manchen Vierteln keine soziale Durchmischung mehr möglich ist. In Städten ohne diese Sicherheit, dass die Mieten kontrolliert und gedeckelt werden, sehen wir jedenfalls gigantische Probleme mit der Gentrifizierung. Also damit, dass günstige Häuser in Gegenden gekauft und hergerichtet werden, in denen vormals die ärmere Bevölkerung gewohnt hat. Dann ziehen vermehrt die ersten Besserverdienenden hin, die Mietpreise verdoppeln sich, die Menschen mit geringem Einkommen müssen das Viertel verlassen. In Paris sind Reichen- und Armenghettos entstanden. Soweit ist es in Wien zum Glück nicht.

Die Stadt wird teurer – werden wir zurück aufs Land ziehen?

Da gibt es zwei Tendenzen. Die eine, und das zeigt sich auch in den Zahlen, sagt, dass die Menschen in die Stadt ziehen. Die zweite findet nur in den Gedanken statt. Wir haben Sehnsucht nach dem Land. Wir wollen aber die abgeschwächte Version vom Land: Leben in der Natur, aber ohne seine Konsequenzen. Wir hätten gerne einen großen Garten, aber keine Arbeit damit. Wenn wir uns den Zuzug ansehen, ist klar: Die Stadt ist die Zukunft.

Aber sie wird sich durch das Sehnsuchtsbild eines anderen Wohnens verändern, eine neue Form des In-der-Stadt, aber auch mit-der-Natur-Sein annehmen.

Wenn immer mehr Menschen in die Städte ziehen, wird irgendwann der Platz knapp. Schon jetzt gibt es Immobilienfirmen, die sich auf Miniwohnungen spezialisiert haben, die weniger als 30 Quadratmeter haben. Wie viel Platz brauchen wir für ein gutes Leben?

Durch die Veränderung unserer Lebensweisen und den demographischen Wandel entsteht eine große Anzahl unterschiedlichster Wohnungstypen, vermehrt natürlich Wohnungen für Paare oder Singles.

Wenn wir auf unsere realen Bedürfnisse als auch auf unseren ökologischen Fußabruck beim Wohnen achten, sollten wir uns mit weniger Platz begnügen können. Viel weniger als um die Größe geht es aber bei der Wohnungswahl um den Preis. Die Kleinstwohnungen auf dem privaten Markt sind sehr teuer, obwohl die Produktionskosten gering sind.

 

Es ist wie auf einem Schiff. Die enge Kajüte ist nur erträglich, weil ich vor mir das weite Meer habe.

 

Es gibt welche für bis zu 1.200 Euro.

Eben. Der geringe Raum wäre nicht das Problem. Wichtig ist, dass es neben der Kleinwohnung Gemeinschaftsräume gibt. Für Alleinstehende sind 30 Quadratmeter als Rückzugsort oft genug. Dann braucht es aber eine Gemeinschaftsküche, einen Co-Working Space und andere Gemeinschaftsräume in den Gebäuden. Es ist wie auf einem Schiff. Die enge Kajüte ist nur erträglich, weil ich vor mir das weite Meer habe.

Was denken Sie, wie wird unser Leben in der Stadt in Zukunft aussehen?

Gerade ist viel im Umbruch. Vor dem Auto sind die Leute in der Stadt einfach zu Fuß gegangen. Ich denke, das wird zurückkommen. Die Mobilität wird sich sehr stark ändern. Durch die Automatisierung werden viele Jobs wegfallen und damit auch die Arbeitswege.

Die Art der Zulieferung von Gütern wird ebenso rapide die Stadt verändern. Die Stadt wird also dichter werden und gleichzeitig aufgelockert durch Natur. Vielleicht werden wir andere Formen innerstädtischer Agrarproduktion haben, die weit über das hinausgehen, was wir Urban Gardening nennen.

Eines steht aber fest. Einfamilienhäuser sind ganz sicher nicht die Zukunft. Ich kann das schon nachvollziehen, den Traum vom eigenen Haus und Garten. Aber diese Häuser verbrauchen extrem viele Ressourcen. Was passiert, wenn alle so wohnen wollen? Es entsteht etwas, das weder Land noch Stadt ist, in dem wir extrem von Mobilitätszubringern abhängig werden, und welches von dem, was wir heute noch Landschaft nennen, nicht viel übriglassen wird.

Sie klingen begeistert von der Stadt im Allgemeinen.

Die dichte Stadt ist der einzige Ort, wo jemand, der von A nach B geht, jemanden zufällig trifft, der von C nach D unterwegs ist. Städte sind das Gegenteil von Filterblasen auf Facebook. Das ist ihre Kraft, sie erzeugen Zufälle. Und sie sind im Verhältnis zu vergleichbaren Einfamilienhausteppichen effizient und ressourcenschonend.

 

Wohnen ist ein Grundbedürfnis und sollte ein Grundrecht sein

 

Und wenn ich am Land wohne, setze ich mich ins Auto und steige erst wieder aus, wenn ich angekommen bin.

Wenn ich außerhalb wohne, fälle ich vor jedem Treffen eine Entscheidung. Man kann fremde Personen gut vermeiden. Städte sind Orte, wo Interessenkonflikte ausverhandelt werden müssen, im guten Sinne. Denn daraus lernen wir.

Online-Plattformen wie Amazon graben dem Handel langsam aber sicher das Geschäft ab. Was passiert, wenn wir nicht mehr einkaufen gehen, verliert die Stadt dann an Leben?

Das ist die Frage. Viele technologische Neuerungen produzieren eine andere Art von Stadt und Zusammenleben. Was entsteht aus den Mischformen des Digitalen und Analogen, aus neuester Technologie und uralten menschlichen Bedürfnissen des Zusammenseins? Ein gutes Beispiel ist Public Viewing, wo sich Menschen treffen, um gemeinsam ein Fußballmatch oder andere Sendungen zu schauen. Ich bin sehr gespannt darauf, wie unsere Städte in zehn, zwanzig Jahren aussehen. Wohnen ist ein Grundbedürfnis und sollte ein Grundrecht sein.


Zur Person: Michael Obrist ist Universitätsprofessor für Wohnbau und Entwerfen an der Technischen Universität Wien und Partner bei feld72 Architekten.

 

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