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Arbeitswelt
Fortschritt

4-Tage-Woche: Wer sind die Gegner der Arbeitszeitverkürzung?

Es wird wieder über Arbeitszeitverkürzung diskutiert. Beschäftigte wollen eine Gegenleistung dafür, dass sie immer besser und intensiver arbeiten, wirtschaftsnahe Interessensverbände und Denkfabriken wollen die 4-Tage-Woche verhindern. Ihre Argumentation geht dabei oft ins Leere. Eine Analyse.
 
Weniger arbeiten, dafür gleicher Lohn und mehr Zeit für Freund:innen, Familie und Freizeit. Für die Mehrheit der Österreicher:innen klingt das gut. Sie wünschen sich eine generelle Arbeitszeitverkürzung. Der Wunsch ist nicht aus der Luft gegriffen. Die Menschen in Österreich werden immer produktiver. In früheren Zeiten hat das zu Lohnerhöhungen und kürzeren Arbeitszeiten geführt. 

Doch seit Ewigkeiten geht nichts weiter. Die letzte gesetzliche Arbeitszeitverkürzung ist gut 40 Jahre her. Ein Grund: Interessensverbände und neoliberale Denkfabriken sträuben sich gegen eine gesetzliche Verringerung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich.

Arbeitszeitverkürzung: Unbegründete Angst

Aber warum eigentlich? Gegner:innen eint die angebliche Angst. Das Schreckgespenst heißt “Produktivitätsverlust”. Dieses malen wirtschaftsliberale Denkfabriken wie die Agenda Austria oder die österreichische Industrieellenvereinigung immer wieder an die Wand. Wer kürzer arbeitet, könne weniger leisten, so der Tenor. Das erhöhe die Kosten für Arbeit und führe zu Teuerung.

Aber Studien belegen: Wir werden immer produktiver. 1950 konnten in einer Arbeitsstunde Waren im Wert von 5 € hergestellt werden. 2015 waren es bereits Waren im Wert von 35 €. Wir sind also siebenmal produktiver als vor 70 Jahren – Tendenz steigend.

 
Arbeitszeit in Stunden, gegenübergestellt mit <span class=Produktivität" width="2400" height="890" />

Außerdem sinkt die Produktivität der Arbeitnehmer:innen durch die Arbeitszeitverkürzung in vielen bisherigen Experimenten nicht. Manche Studien sehen sogar einen positiven Effekt auf die Produktivität

Das legt nahe: Würde die Arbeitszeit von 40 auf zum Beispiel 35 Stunden gesenkt, könnten wohl nicht überall, aber zumindest in vielen Bereichen trotzdem gleich viele Waren erzeugt und Dienstleistungen erbracht werden wie davor – oder sogar mehr. Die Gründe: Arbeitnehmer:innen sind ausgeruhter und dadurch konzentrierter und kreativer. Die Zahl an Arbeitsunfällen wird stark reduziert und die Beschäftigten leben deutlich gesünder. Es gibt weniger Krankenstände.

Arbeitszeitverkürzung als Mittel gegen Arbeitskräftemangel und Arbeitslosigkeit

Die Wirtschaftskammer und der Wirtschaftsbund sorgen sich zudem vor einem potenziellen Arbeitskräftemangel in vielen Bereichen, sollte eine gesetzliche Arbeitszeitverkürzung kommen. Doch da beißt sich die Katze in den Schwanz: Besonders in Bereichen, in denen schon heute ein Mangel an Arbeitskräften herrscht, gibt es oft eben auch schlechte Arbeitsbedingungen.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Gastronomie und Hotellerie. Dort zu arbeiten, ist nicht prinzipiell unattraktiv, doch: Lange und unregelmäßige Arbeitszeiten belasten die Menschen und sorgen dafür, dass viele die Branche schnell wieder verlassen. Eine Arbeitszeitverkürzung würde diese Arbeitsplätze attraktiver machen. Arbeitskräftemangel ließe sich also durch Arbeitszeitverkürzung bekämpfen. 

Durch eine allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit ergeben sich auch Chancen für arbeitslose Menschen. Denn was viele nicht wissen: Es gibt aktuell doppelt so viele Arbeitslose wie offene Stellen. Wird die Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich verringert, müssen Arbeitgeber:innen mehr Personen einstellen. Das gilt vor allem für jene Branchen, in denen kein großer Produktivitätsfortschritt möglich ist – zum Beispiel in der Pflege.

Die Norm hinterfragen

Wer Vollzeit arbeitet, tut das in Österreich durchschnittlich 42,1 Stunden pro Woche. Damit ist Österreich EU-weit auf Platz 2. Generell ist die 40-Stunden-Woche die soziale Norm in Österreich. 

“Diese Norm für Vollzeitbeschäftigung muss aber hinterfragt werden. Vor allem junge Menschen wünschen sich mehr Zeit mit der Familie, mit Freunden oder für ehrenamtliche Tätigkeiten. Und viele Menschen, vor allem Frauen, haben Betreuungsverpflichtungen, die mit einem 40-Stunden Job kaum vereinbar sind”, sagt Carina Altreiter, Arbeitssoziologin an der Wirtschaftsuniversität Wien.

 
Eine Grafik, die die Schritte der Arbeitszeitverkürzung in Österreich darstellt.

Wenn all die Argumente gegen Arbeitszeitverkürzungen aber auf so wackeligen Beinen stehen, warum wehren sich Unternehmen, Industrie und ihre Lobbyist:innen und Denkfabriken dann so dagegen?

Weil es im Kern auch um einen Verteilungskampf geht. Während in den vergangenen Jahrzehnten immer größere Teile wirtschaftlicher Fortschritte in den Taschen von Unternehmens-Eigentümer:innen landeten, wurde der Anteil am Erfolg für Arbeitnehmer:innen kleiner. Eine Arbeitszeitverkürzung würde auch das korrigieren. 

Soziologin Altreiter begrüßt deshalb die Debatte: “Es ist gut, dass wir über Arbeitszeitverkürzung reden. Wir haben in den letzten Jahrzehnten große Produktivitätsfortschritte gesehen. Die Beschäftigten haben diese aber fast nicht abgegolten bekommen. Neben der Debatte um Arbeitszeitverkürzung muss auch darüber diskutiert werden, wer von der gestiegenen Produktivität profitiert: Arbeitnehmer:innen oder Kapitaleigentümer:innen?”

 

 
Grafik die Porduktivitätsfortschritte in Österreich darstellt

Arbeitszeitverkürzung: Diese Blockierer sind dagegen

Und bei den genannten Gegner:innen ist klar, auf welcher Seite sie stehen: 

Mit im Boot gegen eine Arbeitszeitverkürzung ist die Wirtschaftskammer (WKO) und der ÖVP-Wirtschaftsbund. Die Wirtschaftskammer ist die Interessensvertretung österreichischer Unternehmen. Sie vertritt rund 540.000 Unternehmen in Österreich. Der in der WKO mächtige Wirtschaftsbund wiederum ist eine Teilorganisation der ÖVP. Beiden Einrichtungen steht Harald Mahrer als Präsident vor. Mahrer, selbst ÖVP-Mitglied, ehemaliger Staatssekretär und Minister, gilt gemeinhin als “oberster Lobbyist des Landes”. Die Gremien des ÖVP-Wirtschaftsbundes und der Wirtschaftskammer sind voll mit VP-Politiker:innen. 

ÖVP-nahe Blockierer finden sich auch in der Österreichischen Industriellenvereinigung (IV). Sie definiert sich selbst als “Thinktank, Netzwerk, Servicepartner und Interessensvertretung” österreichischer Unternehmen aus Industrie und Finanz. Die IV ist auch Mitglied bei “Business Europe”, einem Arbeitgeber-Lobbyverband auf EU-Ebene. Nach eigenen Angaben hat die IV im Jahr 2020 allein 1.501.000 Euro für Lobbying ausgegeben.

Schaut man sich die Spender:innenliste der Agenda Austria an, kommen einem ebenfalls die Namen der haute volée österreichischer Konzerne entgegen: Erste Bank, Raiffeisen Bank International, Porr, Andritz, Umdasch u.v.m. – die Liste an Financiers aus Industrie und Finanz ist lang. Die Unternehmen als Spender:innen finden ihre Interessen in einem ausdrücklich marktwirtschaftlichen Institut offenbar gut vertreten.

“Flexibilisierung” ist auch keine Lösung

Immer wieder betonen Agenda Austria, WKO, Wirtschaftsbund und IV, dass sie gar nicht grundsätzlich gegen eine Verkürzung der Arbeitszeit inklusive Lohnausgleich sind. Diese müsse aber flexibel und individuell mit den jeweiligen Arbeitgeber:innen ausgemacht werden. Eine gesetzliche oder kollektivvertraglich geregelte Arbeitszeitverkürzung sehen die Genannten als Problem. 

Dabei wird aber gekonnt ignoriert, dass einzelne Arbeitnehmer:innen quasi keine Chance haben, ihre Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich zu verringern. Die Macht liegt nämlich aufseiten der Arbeitgeber:innen. Einige wenige von ihnen sind in den vergangenen Jahren selbst auf den Zug aufgesprungen und haben mit der 4-Tage-Woche experimentiert – oft mit gutem Erfolg. 

Auch ihnen hilft es, wenn die Arbeitszeitverkürzung gesetzlich oder sozialpartnerschaftlich festgelegt wird. Die Beschäftigen sind jedenfalls aber nur dann nicht darauf angewiesen, dass ihr jeweiliges Unternehmen von selbst irgendwann auf fortschrittliche Ideen kommt.

 

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