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Ungleichheit
Demokratie

“Viele denken, Schwarze gibt es in Österreich erst seit den 1990ern”

Noomi Anyanwu, Sprecherin des “Black Voices”-Volksbegehren, erzählt anlässlich des Black History Month über strukturellen Rassismus in Österreich und warum man das Volksbegehren unterstützen sollte.

Der Februar ist Black History Month bei MOMENT. Wir bringen täglich Biografien, Fakten oder Artikel über das Leben von Schwarzen Menschen in Österreich. Heute haben wir für dich ein Interview mit Noomi Anyanwu, Sprecherin des “Black Voices”-Volksbegehren. Die Studentin erzählt, warum Schwarze Menschen in Österreich strukturellen Rassismus erfahren und was wir dagegen tun können.

MOMENT: Bis Mai kann man das Black Voices Volksbegehren noch unterstützen. Im Herbst soll es dann eine Eintragungswoche geben. Warum sollte man unterschreiben und was sind eure zentralen Anliegen?

Noomi Anyanwu: Das Volksbegehren ist ein Ort für alle Menschen, denen gesagt wird, dass sie hier nicht hingehören und eine Initiative für alle, die gegen diese Ungerechtigkeit ankämpfen wollen. Egal, ob du selbst unter Rassismus oder strukturellem Rassismus leidest, oder sogar vom System profitierst. Denn wir alle sind betroffen.

Wir fordern einen nationalen Aktionsplan gegen Rassismus. Auf EU-Ebene wurde Ähnliches bereits vor zwanzig Jahren beschlossen und viele Mitgliedsstaaten, auch Österreich, haben zugestimmt. Aber es wurde nie umgesetzt. Wir stellen dementsprechend Forderungen in sechs Bereichen: Bildung, Arbeit, Öffentlichkeit, Gesundheit, Polizei und Flucht und Migration.
 

Gibt es Volksbegehren wie dieses auch in anderen Ländern?

Anyanwu: Es gibt zwar in einigen Bundesländern Deutschlands einen Aktionsplan gegen Rassismus und die neue Ampel-Koalition will einiges umsetzen, aber als Volksbegehren ist unseres einzigartig.
 

Wie ist es zum Volksbegehren gekommen?

Anyanwu: Die Idee kam uns nach den Black-Lives-Matter-Demonstrationen im Mai 2020. In ganz Österreich waren an die 100.000 Leute auf der Straße und haben gegen rassistische Polizeigewalt anlässlich des Todes von George Floyd demonstriert. Auf Social Media und in den Medien wurde schnell gefragt, ob es in Österreich Rassismus gäbe und wie es mit strukturellem Rassismus sei. Bis dahin war die Berichterstattung über Rassismus eher auf die Opferrolle fokussiert. Es ging mehr um persönliche Erfahrungen und weniger um die Verantwortung unseres Landes.

Die Demonstrationen waren unglaublich motivierend. Wir haben gesehen, wie viele Menschen gegen Rassismus ankämpfen wollen. Das Volksbegehren war eine gute Möglichkeit, einerseits politische Forderungen zu stellen und andererseits Medienaufmerksamkeit zu generieren und das Bewusstsein in der Gesellschaft zu stärken. Im Sommer 2020 haben wir dann begonnen, Forderungen auszuarbeiten und im September das Volksbegehren gestartet.
 

Wie viele Leute haben bisher unterschrieben und habt ihr eine Zahl als Ziel, wo ihr sagt: Ab da ist es ein Erfolg?

Anyanwu: Aktuell sind es über 30.000 Unterschriften. Das Ziel sind mindestens 100.000, damit es auch im Nationalrat behandelt wird. Wir sammeln aber nicht nur Unterschriften. Wir machen auch auf den alltäglichen und strukturellen Rassismus in Österreich und aktuelle tagespolitische Themen wie Blackfacing aufmerksam. Wir versuchen, Schwarze Geschichte in Österreich zu etablieren. Und im September haben wir ein Festival veranstaltet, auf dem internationale Stars wie Eko Fresh aufgetreten sind.

Es gibt mittlerweile auch ein Kompetenzzentrum für Diversität, Antirassismus und Antidiskriminierung im Kulturministerium. Diese Kleinigkeit ist für Österreich und für die kurze Zeit relativ groß. Darauf sind wir stolz.
 

Welche Reaktionen gab es auf eure Presseaussendung zum Ende des Blackfacing beim Sternsingen?

Anyanwu: Wir haben schon öfter darauf aufmerksam gemacht und die Dreikönigsaktion ist bereit, Alternativen zu finden. Oft wird auch mit Tradition argumentiert. Aber Traditionen sind nicht fix und starr, sondern können sich wandeln.

Allgemein gab es viel Zuspruch. Aber es gab auch Kommentare und Meldungen, die das Problem nicht so ganz verstanden haben. Hier leisten wir gerne Aufklärungsarbeit. Insgesamt war die Resonanz aber positiv. Es wird immer mehr zum Thema gemacht.

Viele Menschen behaupten, Österreich hätte keine Kolonien gehabt. Wir haben aber trotzdem eine koloniale Geschichte und etwa eine lange Tradition mit Sklavinnen und Sklaven.
 

Der Februar ist bei uns auf MOMENT der Black History Month. Wir möchten mit diesem Schwerpunkt auf die Geschichte Schwarzer Menschen in Österreich aufmerksam machen (Anm.: MOMENT arbeitet für die Berichterstattung dazu auch mit dem Black Voices Volksbegehren zusammen). Der Aktionsmonat kommt eigentlich aus den USA. Brauchen wir ihn denn auch hier?

Anyanwu: Die Reaktionen auf unsere gemeinsamen Posts auf Instagram zeigen, dass noch viel Aufklärungsbedarf besteht. Viele Menschen wissen wenig über die Schwarze Geschichte in Österreich und denken, es gibt sie erst seit den 90ern in Österreich. Die erste Schwarze Person wurde aber schon in der Antike im heutigen Österreich “gesichtet”. 

Viele Menschen behaupten, Österreich hätte keine Kolonien gehabt. Wir haben aber trotzdem eine koloniale Geschichte und etwa eine lange Tradition mit Sklavinnen und Sklaven. Man sieht noch heute, wie verankert und festgesetzt das ist. Um das zu verstehen, müssen wir einen Blick auf die Geschichte werfen. Deshalb braucht es den Black History Month.
 

Sind die politischen Themen, die Schwarze Menschen in Österreich beschäftigen, ähnlich wie etwa in den USA, oder gibt es auch welche, die für Österreich besonders sind?

Anyanwu: Es gibt viele Themen, die Schwarze Menschen auf der ganzen Welt gleich oder ähnlich betreffen. Ich glaube aber, dass es in jedem Land spezielle Herausforderungen gibt. Das Wegschieben des Themas, das Unwissen und dieses “aber bei uns doch nicht” sind typisch österreichisch. Auch dieses “schauen wir mal”. In den USA und auch in Deutschland haben wir das nicht auf diese Art und Weise. Dort ist man in vielen Diskursen schon weiter. Hierzulande sind wir in vielen Statistiken hinten, weil wir uns einfach zu wenig damit befassen.
 

Wie erlebst und bewertest du die Darstellung dieser Themen in den österreichischen Medien? Was ist gut, was ist schlecht, was fehlt?

Anyanwu: Leider ist die Berichterstattung noch immer sehr rassistisch. Die Herkunftsfrage spielt eine große Rolle. Wenn etwas passiert, wird immer gefragt, woher jemand kommt. Besonders dann, wenn es keine autochthonen Österreicher:innen sind.

Struktureller Rassismus wird mittlerweile thematisiert. Es wird darüber gesprochen, wie wir die Strukturen aufbrechen können. Aber Schwarze Menschen werden oft nur zu diesen Themen wie Rassismus eingeladen und nicht zu ihrer Expertise in anderen Gebieten wie Medien, Medizin oder Politik.
 

Wann wird die Berichterstattung dort sein, wo sie sein sollte?

Anyanwu: Der Berichterstattung liegen oft politische Interessen zugrunde, sehr oft leider auch parteipolitische Interessen. Solange sich nicht auf allen gesellschaftlichen Ebenen etwas ändert, kommen wir nicht weiter. Durch die Unterschriften und die Umsetzung eines nationalen Aktionsplans auf jeder Ebene können wir hier hoffentlich etwas verändern. Wir haben auch im Medienbereich Forderungen formuliert.
 

Gibt es eine historische oder politische Persönlichkeit, die dich in deinem Engagement geprägt hat?

Anyanwu: Die US-Bürgerrechtlerin Angela Davis und auf jeden Fall auch die nigerianische Autorin Chimamanda Ngozi Adichie.

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