print print
favorites-circle favorites-circle
favorites-circle-full favorites-circle-full
Ungleichheit

Unsichtbarer Fleck bei weiblicher Armutsforschung: Frauen sind stärker gefährdet als gedacht

Foto: Pixabay
Wer in Österreich als armutsgefährdet gilt, das wird traditionell am Haushaltseinkommen gemessen. Statistisch ist das aktuell knapp jeder siebte in Österreich. Zwei neue Erhebungen zeigen nun: Die bisherige Standardmessung hat die unterschiedlichen Armutsrisiken innerhalb eines Haushalts nicht genau wiedergegeben. Frauen sind viel stärker armutsgefährdet als bisher angenommen.

Um zu ermitteln, wer in Österreich von Armut bedroht ist, gibt es die statistische Armutsforschung. Sie misst üblicherweise, was das Haushaltseinkommen von Personen hierzulande ist und vergleicht sie mit EU-Armutskriterien. 

Bei der Standardmessung wird davon ausgegangen, dass alle Ressourcen und Einkünfte zwischen den Haushaltsmitgliedern gleich verteilt werden. Einkommensunterschiede werden dabei nicht berücksichtigt. Bei Singles und Alleinerziehenden ist das kein Problem. Bei Paarhaushalten verschluckt diese Messung aber die Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Vor allem in heterosexuellen Paarhaushalten sind Einkommen sehr ungleich verteilt. 

Zwei neue Studien in der Armutsforschung haben diesen unsichtbaren Fleck untersucht. Die Wissenschaftlerinnen Katrin Gasior und Christina Siegert haben das Einkommen pro Person im Haushalt individuell betrachtet. Und es wird deutlich: Das Ausmaß an weiblicher Armutsgefährdung wurde bisher unterschätzt. 

Die Personenmessung verteilt Einkommen auf unterschiedliche Weise zwischen den Partner:innen eines Haushalts. Anders als bei der bisherigen Standardmessung, haben beide Partner:innen keinen Zugriff auf das Einkommen der anderen Person, die im Haushalt lebt. Frauen haben demnach ein deutlich höheres Armutsrisiko als ihre Partner, vor allem wenn sie Kinder haben. 

Laut bisherigen Erhebungen des Haushaltseinkommens sind Frauen je nach Bildungsgrad zwischen drei und acht Prozent von Armut gefährdet. Mit Kindern sind es bis zu 16 Prozent. Auf persönlicher Einkommensebene sind es je nach Grad der Bildung zwischen sieben und 24 Prozent. Bei Müttern mit geringer Bildung ist fast jede sechste von zehn Frauen armutsbedroht. 

Typisch Österreich? 

Die deutlichen Geschlechtsunterschiede und Abhängigkeitsverhältnisse nehmen im europäischen Ländervergleich eine Sonderstellung ein. Dahinter stecken oft traditionelle Rollenbilder in Österreichs Paarhaushalten. Frauen leisten wesentlich mehr Care-Arbeit und arbeiten auch dadurch seltener in Vollzeit. Sie haben dadurch viel weniger Geld zur Verfügung.

In der Regel können Männer Armutsgefährdung mithilfe ihres persönlichen Einkommens vermeiden, während Frauen dafür häufig auf das Einkommen ihrer Partner angewiesen sind, insbesondere Mütter. Ein Fortbestehen der Beziehung beschützt viele Frauen vor Armut. Das macht sie von ihrem Partner abhängig. Auch für Alleinerziehende ist die Standardmessung ein Problem. Hier wird derselbe Maßstab angelegt, wie für Paarfamilien. Die Kinderkosten sind aber fast doppelt so hoch. Der Verein für feministische Alleinerzieherinnen schätzt, dass tatsächlich 70 Prozent der Alleinerziehenden von Armut betroffen sind und ihre Armut bisher weit unterschätzt wurde. 

Dieser enorme Unterschied im Vergleich zu Männern wird in der üblichen Armutserhebung anhand des Haushaltseinkommens nicht berücksichtigt. Und zeigt: Armutsgefährdung und Risikogruppen können eben nicht allein auf der Haushaltsebene festgestellt werden. Die individuelle Betrachtung der Armutssituation schafft einen besseren Überblick über die soziale Lage von Frauen und zeigt, wo es stattdessen gilt, hinzusehen. Das betrifft zum Beispiel unbezahlte Care-Arbeit oder die hohe Steuerlast von Niedrigverdiener:innen. Die neuen Methoden sollen ein besseres Verständnis von weiblichen Armutsrisiken liefern und bessere sozialpolitische Maßnahmen dagegen liefern.

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Kommentare 0 Kommentare
    Kommentar hinzufügen

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Beitrag!