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Ungleichheit
Kapitalismus
Klimakrise

10 Mega-Krisen, die weniger Aufmerksamkeit als Taylor Swift bekommen

Eine Frau in einem langen Rock bewässert ihr Feld. Bebildert wird ein Artikel über vergessene Krisen 2023.
Frauen und Mädchen sind von den multiplen Krisen besonders betroffen. Foto: Peter Caton/CARE
Man hat das Gefühl, in den Medien geht es ständig nur um Krisen. Aber der Fokus ist eng. Von vielen Problemen (und auch Erfolgen) der Welt erfahren wir tatsächlich sehr wenig. In der 8. Ausgabe des CARE-Reports „Breaking the Silence“ werden jene zehn humanitären Krisen 2023 gelistet, über die am wenigsten berichtet wurde. Millionen Menschen leiden dort, aber dem Rest der Welt scheint das egal. Alle zehn vergessenen Krisen finden diesmal in Afrika statt - ein ganzer Kontinent ist in den internationalen Medien quasi unsichtbar. Die Klimakrise spielt bei jeder davon eine große Rolle, Frauen und Mädchen sind besonders stark von den multiplen Krisen betroffen.

Für den Report wurden fünf Millionen Online-Artikel im Jahr 2023 ausgewertet und jene Krisen ermittelt, die mehr als eine Million Menschen betreffen und die geringste mediale Präsenz aufwiesen. Taylor Swifts Welttournee bekam doppelt so viel Berichterstattung wie diese zehn humanitären Krisen zusammen.

Nachrichtenzyklen werden immer kurzlebiger, die personellen und finanziellen Ressourcen der Medien sinken. Dennoch ist es wichtig, diese Geschichten zu erzählen und zu handeln. Ein perfektes Beispiel dafür, was passieren kann, wenn die Welt nicht hinsieht: die Ukraine. Im CARE-Report von 2021 befand sich das Land noch auf Platz 4 der “vergessenen Krisen”. Wie diese sich danach entwickelte, ist bekannt. Die Konsequenzen für Millionen Menschen, die von humanitären Katastrophen betroffen sind und kaum Aufmerksamkeit erlangen, sind riesig.

Die zehn am meisten ignorierten Krisen von 2023, nach absteigender Anzahl von dazu erschienenen Artikeln:

10. Simbabwe: Mangel an Nahrungsmitteln und Trinkwasser

Simbabwe ist bekannt für seine schöne Landschaft und vielfältige Tierwelt. Das wird jedoch überschattet von Problemen wie niedrigem Einkommen, Nahrungsmitteldefiziten, hoher Inflation und den Auswirkungen des Klimawandels. Die humanitäre Lage ist fragil, fast die Hälfte der Einwohner:innen ist von extremer Armut betroffen.

Die Ernährungslage ist prekär: 19% der Bevölkerung auf dem Land und 29% in den Städten haben zu wenig zu essen – Tendenz steigend. Knapp 27% der Kinder weisen deshalb Wachstumsstörungen auf. Dürren stellen die größte klimabedingte Gefährdung dar, die Landwirtschaft ist die Haupteinnahmequelle im Land. Großen Einfluss auf die Regenzeit und somit auf Lebensmittelversorgung haben auch Klimaphänomene wie El Niño.

Typhus und Cholera sind aufgrund von unzureichender Hygiene und mangelhafter Wasserqualität verbreitet. Der fehlende Zugang zu sauberem Trinkwasser beschleunigt die Ausbreitung der Krankheiten weiter, vor allem in schnell wachsenden Städten. Es braucht Investitionen in Wasser, Sanitärversorgung und Hygiene sowie Bewusstseinsbildung.

9. Uganda: Armut und hohe Müttersterblichkeit

Uganda beherbergt von allen afrikanischen Ländern die meisten Geflüchteten. Unterkünfte und die grundlegende Versorgung in den Aufnahmegemeinden werden immer knapper.

Das Land ist ebenfalls eines der ärmsten der Welt und häufig von zerstörerischen Wetterextremen betroffen.  Die Kombination aus Flüchtlingskrise, Klimawandel und einer stark wachsenden Bevölkerung führt dazu, dass immer mehr Menschen unter Ernährungsunsicherheit leiden.

Viele Mädchen werden minderjährig schwanger, was das Risiko von Komplikationen bei Geburten erhöht. Oft mangelt es an Aufklärung und Verhütungsmitteln und auch der schlechte Zugang zu medizinischer Versorgung führt zu besonders hoher Müttersterblichkeit.

8. Burkina Faso: Gewalt, Flucht und Hunger

Bewaffnete Konflikte, Militärputsch und Massenvertreibung: Burkina Faso befindet sich seit Jahren in einer tiefen Krise – der schwersten seiner Geschichte. Die Regierung kontrolliert nur Teile des Landes. Die Menschen leiden andernorts umso mehr unter Überfällen, Gewalt und Hunger. Viele müssen ihr Zuhause verlassen und dabei alles zurücklassen. Die Anzahl der Binnenflüchtlinge ist zwischen 2019 und 2023 um das 40-Fache gestiegen.

Das Land ist eines der ärmsten der Welt. Knapp 40% der Einwohner:innen leben unterhalb der Armutsgrenze, Nahrung und Trinkwasser sind knapp. Tausende Schulen mussten schließen, Millionen Kindern bleibt so das Recht auf Bildung verwehrt. Auch hier sind Frauen und Mädchen besonders betroffen.

7. Kamerun: Bewaffnete Konflikte und Krankheiten

Drei Krisen beuteln das Land: bewaffnete Konflikte und damit einhergehende Vertreibung, die Krise in der Tschadseeregion und eine hohe Anzahl von Geflüchteten aus der Zentralafrikanischen Republik. Jeder sechste Mensch in Kamerun benötigt humanitäre Hilfe.

Die Vertreibung erschwert den Zugang zu Land und führt zum Verlust von Vieh und Produktionsmitteln. Kombiniert mit starken Regenfällen, Überschwemmungen und schweren Dürren, die die landwirtschaftliche Produktion noch weiter verringern, sind die Folgen für die Versorgung mit Nahrungsmitteln besonders dramatisch. Des Weiteren stellen Cholera-Erkrankungen ein großes Risiko vor allem für Frauen dar. 70% des Gesundheitspersonals sind weiblich.

6. Zentralafrikanische Republik: Gewalt, Flucht und eingeschränkte Bildung

Das Leben der Menschen in der Zentralafrikanischen Republik wird seit zehn Jahren durch einen bewaffneten Konflikt bestimmt. Eine von fünf Personen wird intern vertrieben oder flieht in Nachbarländer. Gleichzeitig gibt es viele Geflüchtete aus angrenzenden Ländern, für die jedoch ebenfalls Ressourcen fehlen. Der Binnenstaat ist eines der ärmsten Länder der Welt. 3,4 Millionen Menschen waren 2023 auf humanitäre Hilfe angewiesen – das ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung.

Flucht, zu wenig Nahrungsmittel und Treibstoff, eingeschränkter Zugang zu Bildung und lebenswichtigen Dienstleistungen, sowie Gewalt gegen Frauen belasten das Land.  Die Zentralafrikanische Republik hat mit durchschnittlich sechs Geburten pro Frau eine der höchsten Geburtenraten der Welt. Die Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren ist gleichzeitig die sechsthöchste weltweit. Alle 30 Minuten erfährt eine Frau oder ein Mädchen Gewalt. Die humanitäre Situation verschlechtert sich weiterhin.

5. Mauretanien: Kinderarbeit, Klimakrise und keine Gleichstellung

Mauretanien gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Es liegt am westlichen Rand der Sahara und ist eigentlich geprägt von extrem trockenem Wetter und einem Mangel an Niederschlägen. In den Jahren 2022 und 2023 führten jedoch starke Regenfälle zu massiven Überschwemmungen. Menschen starben, Ernten wurden vernichtet und Weidetiere ertranken.

Neben der Klimakrise, Extremwettern und Heuschreckenplagen hat Mauretanien auch mit der Instabilität in der Region zu kämpfen. Viele geflüchtete Menschen aus Nachbarländern werden hier versorgt. Nachbarländer helfen anderen in Not in der Regel am meisten. Dabei sind sie oft selbst arm. 22% der Bevölkerung in Mauretanien leben in Armut, der Großteil davon in ländlichen Regionen. 12,5% der Kinder zwischen fünf und 14 Jahren müssen arbeiten gehen und sind in der Landwirtschaft schlimmen Bedingungen ausgesetzt.

Bei der Gleichstellung gibt es wenig Fortschritte: Mädchen müssen die Schule oft früh verlassen. Der Grund ist in 39% der Fällen eine Zwangsheirat, in 18% eine frühe Schwangerschaft. Viele Frauen sterben aufgrund von fehlender medizinischer Versorgung und Schwangerschaften.

4. Senegal: Hitze und Hunger

Die Klimakrise beeinträchtigt die Landwirtschaft im Senegal.  Rund 1,4 Millionen Menschen haben nicht genug zu essen. Das ist ein drastischer Anstieg von mehr als 60% im Vergleich zum Vorjahr. Vor allem während der Trockenzeit ist der Hunger besonders groß. Preise für Lebensmittel sind durchschnittlich um 17% gestiegen.

Frauen und Mädchen sind überproportional stark betroffen. Aufgrund von Geschlechterungleichheit haben sie zumeist einen eingeschränkten Zugang zu finanziellen Mitteln und ein geringeres Mitspracherecht. Es fällt ihnen also schwerer, sich auf Notsituationen vorzubereiten und sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen. Auf der Flucht sind sie zudem einem höheren Risiko ausgesetzt, Gewalt und Übergriffe zu erleben.

3. Burundi: Inflation und Unterernährung

Burundi ist geprägt von politischen Umwälzungen, hoher Inflation und ethnischen Konflikten. Tausende Menschen verloren ihr Zuhause aufgrund von Klimakrise und Naturkatastrophen. Viele Betroffene blieben im Land, fast 250.000 wanderten jedoch in Nachbarländer aus. Aufgrund der hohen Inflation stiegen die Preise für Grundnahrungsmittel teilweise um mehr als 40%. Burundi hat eine der höchsten Raten an Unterernährung weltweit. Die Hälfte der Kinder unter fünf Jahren gilt als chronisch unterernährt. Das Land hat außerdem das niedrigste geschätzte Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt der Welt. Die seit 2005 eingeführte kostenlose Grundschulbildung ermöglicht jedoch zumindest deutliche Fortschritte beim Zugang zu Bildung.

2. Sambia: Klimakrise und Staatspleite

In Sambia folgen auf Überflutungen und Hochwasser extreme Temperaturen und monatelange Phasen von Dürre. Mehr als 60% der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze und knapp 1,35 Millionen Menschen sind von Ernährungsunsicherheit betroffen.

Der Fluss Sambesi, der auch die bekannten Victoriafälle speist, ist ein wichtiger Stromversorger. Er führt aber immer weniger Wasser, wodurch es zu lang andauernden Stromausfällen kommt.

Sambia ist ein demokratisches und politisch stabiles Land, steckt jedoch in einer wirtschaftlichen Krise. Das Land ist seit 2020 zahlungsunfähig, kann also Staatsschulden nicht mehr bezahlen. Der Internationale Währungsfonds hat darum ein milliardenschweres Rettungspaket gewährt, das allerdings an harte Sparmaßnahmen geknüpft ist.

1. Angola: Landminen, Dürren und Hunger

Die am wenigsten beleuchtete Krise findet in Angola statt. Das Land wird seit Jahrzehnten vom Bürgerkrieg zerrüttet, mehr als 500.000 Menschen verloren ihr Leben. Es sind noch immer eine Million Landminen im Boden, die weiterhin viele Menschen verletzen und töten, vor allem am Land. Dadurch flüchteten viele Menschen in die Städte – die Hauptstadt Luanda hat mittlerweile neun Millionen Einwohner:innen. Zusätzlich ist der Staat sehr stark vom Klimawandel betroffen, vor allem durch Naturkatastrophen und den Anstieg des Meeresspiegels. 85% der Bevölkerung sind in der Landwirtschaft tätig, doch aufgrund lang anhaltender Dürren reicht der Ertrag nicht mehr. Mehr als zwei Millionen unterernährte Kinder benötigen humanitäre Hilfe. Verstärkt wird dies durch Armut, unzureichende sanitäre und hygienische Bedingungen und Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. In ländlichen Gebieten haben nur 28 Prozent der Bevölkerung Zugang zu sauberem Trinkwasser. Besonders von den Auswirkungen der multiplen Krisen betroffen sind Frauen und Mädchen.

Was können wir tun?

Die Medien stehen in der Pflicht, die Berichterstattung zu fördern und vor allem Betroffene selbst zu Wort kommen zu lassen. Lokale Akteur:innen müssen in den Vordergrund gestellt und Frauen und Mädchen gestärkt werden. Lasst uns Vorbilder für Krisenbewältigung aufzeigen und mehr Bewusstsein schaffen. Die Krisen mögen weit weg erscheinen, das Leid der Betroffenen geht uns jedoch alle an – und ist definitiv wichtiger als Taylor Swifts Konzerte.

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