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Ungleichheit

24-Stunden-Betreuung: Viel Ärger um die Flüge aus Rumänien

Wegen der Coronakrise fliegt Österreich jetzt Hunderte PersonenbetreuerInnen aus den östlichen EU-Ländern ein. Dabei häufen sich Ungereimtheiten: Die 24-Stunden-BetreuerInnen erhalten kein Geld, die Quarantäne werde nicht überall strikt eingehalten. Der zuständige Funktionär der Wirtschaftskammer soll seine eigene Firma bevorteilt haben. Und: Österreich sorgte für Ärger in Rumänien, weil es die falschen Pflegekräfte anwarb.

Dicht an dicht drängen sich die Passagiere an der Gangway eines Flugzeugs der Austrian Airlines. Im Abstand von nur wenigen Zentimetern steigen Dutzende Frauen und Männer ein. Vollbesetzt hebt das Flugzeug am Montag vergangener Woche von Timișoara in Rumänien nach Wien-Schwechat ab. In normalen Zeiten ist das nicht der Rede wert. Aber in der Coronakrise ist nichts normal.

Das ist auch daran zu sehen, dass viele der Passagiere Gesichtsmasken tragen, einige aber nicht. Derzeit wird alles unternommen, damit Menschen einander gegenseitig nicht zu nahe kommen. Der Flugverkehr zwischen Rumänien und Österreich ist offiziell ausgesetzt. Doch dieser Flug ist eine Ausnahme: An Bord sind rund mehr als Hundert 24-Stunden-BetreuerInnen, die derzeit in Österreich dringend benötigt werden, MOMENT berichtete darüber.

Kein Sicherheitsabstand im Jet: „Wie kann das sein?“

Doch anstatt mit dem jetzt dringend empfohlenen Sicherheitsabstand im Flieger Platz zu nehmen, sitzen die Passagiere Seite an Seite. Und – da beginnt eine Reihe von Ungereimtheiten: „Im Flieger saßen auch österreichische StaatsbürgerInnen, die aus Rumänien ausgeflogen wurden“, sagt Christoph Lipinski von vidaflex zu MOMENT. Er ist bei der gewerkschaftlichen Initiative für Ein-Personen-Unternehmen und neue Selbständige Ansprechpartner für die PersonenbetreuerInnen.

Die Gefahr, sich auf dem Flug mit dem Coronavirus anzustecken, war für die BetreuerInnen und die ÖsterreicherInnen an Bord also gegeben. Wohlgemerkt zu einem Zeitpunkt, an dem Österreich bereits hohe Strafen verhängt hat, sollte jemand den geforderten Sicherheitsabstand von einem Meter nicht einhalten. „Wie kann das sein?“ fragt Lipinski.

Der Flug ohne Sicherheitsabstand war ein Sonderflug, organisiert von der Wirtschaftskammer Niederösterreich und mit Steuergeldern bezahlt vom Land Niederösterreich. Ein weiterer ging zeitgleich in Bulgariens Hauptstadt Sofia in die Luft. Insgesamt landeten 231 PersonenbetreuerInnen in Wien-Schwechat.

Rund 50.000 Euro hat Austrian Airlines dafür in Rechnung gestellt, wie das Unternehmen MOMENT bestätigt. „Das ist kostendeckend. Aber wir machen damit keinen Gewinn“, versichert Sprecherin Tanja Gruber. In Auftrag gegeben habe die Flüge „das Außenministerium für die Wirtschaftskammer Niederösterreich“, sagt Gruber.

Ausnehmend schlecht bezahlter Job

Beinahe ausschließlich Frauen aus den östlichen EU-Ländern stemmen in Österreich die Pflege älterer Menschen in deren Haushalten. Fast die Hälfte der rund 60.000 PersonenbetreuerInnen sind Frauen aus Rumänien. Sie arbeiten unter arbeitsrechtlich schwierigen Bedingungen als formal Selbständige. Verglichen mit ÖsterreicherInnen werden sie ausnehmend schlecht bezahlt.

Vom kargen Lohn müssen sie oft noch hohe Provisionen an Betreuungsagenturen zahlen, die sie an Haushalte mit zu pflegenden Personen vermitteln. Wegen der Coronavirus-Pandemie sind die Grenzen auch innerhalb Europas jetzt weitgehend geschlossen. Die BetreuerInnen können nicht mehr auf normalem Weg nach Österreich kommen. Die 24-Stunden-Betreuung droht zu kollabieren. Daher die Idee, die MitarbeiterInnen einzufliegen.

 
HeimbetreuerInnen warten darauf das Flughafen in Timisoara boarden zu dürfen. Die Gruppe steht mit Mund-Nasen-Schutz auf dem Rollfeld des Fughafens.

Timișoara: 24-Stunden-Betreuerinnen vor Abflug nach Wien. Foto: M. Dinculeasa.

Nachdem sie in Wien gelandet waren, sitzen die BetreuerInnen seit nunmehr einer Woche in Hotels nahe des Flughafens Wien-Schwechat in einer 14-tägigen Quarantäne. Viele bestätigen, auch gegenüber anderen Medien, dass sie dort gut untergebracht sind. Eine berichtet gegenüber MOMENT am Dienstag vergangener Woche jedoch davon, dass die Quarantäne nur am Papier bestehen würde. „Wir schlafen zu zweit im Zimmer.“ Die BetreuerInnen würden sich auch gemeinsam in den Gängen des Hotels aufhalten.

Trifft das noch immer zu, ist die Gefahr groß, dass sich die BetreuerInnen ausgerechnet in der Quarantäne mit dem Coronavirus anstecken. Ihre zu pflegenden Personen gehören zur absoluten Hochrisikogruppe, an der Lungenkrankheit COVID-19 zu erkranken und zu sterben. Viele der BetreuerInnen hätten selbst Angst, zu erkranken, sagte eine 24-Stunden-Betreuerin zu MOMENT Tage bevor die Flüge nach Österreich abhoben.

BetreuerInnen erhalten jetzt keinen Cent

Die Kosten für Hotel und die Versorgung während der Quarantäne zahlt die Wirtschaftskammer Niederösterreich. Robert Pozdena, Obmann der Personenbetreuer in der Kammer, forderte den Bund allerdings auf, diese Kosten zu übernehmen. „Die Quarantäne kostet nicht nur Geld, sondern vor allem auch wertvolle Zeit, die verstreicht, ehe die Betreuerinnen ihre dringend benötigte Arbeit aufnehmen können“, sagte er.

Was die PersonenbetreuerInnen währenddessen erhalten sollen, darüber verlor er kein Wort. Wohl nicht ohne Grund: Denn die so dringend benötigten Frauen erhalten während des aufgezwungenen Hotelaufenthalts keinen Cent an Gehalt oder zumindest eine Entschädigung. Effektiv würden sie sogar Einkommen einbüßen, sagt die Betreuerin Mirela zu MOMENT.

Das Geld muss jetzt für drei Monate reichen. Wir sollten aber nicht weniger verdienen, sondern mehr.
Mirela, 24-Stunden-Betreuerin

An den oft einmonatigen Arbeitsaufenthalt in Österreich schließt sich normalerweise eine ebenso lange Pause in der Heimat an. Wegen des Coronavirus kommen nun insgesamt noch vier Wochen Quarantäne hinzu, zwei in Österreich und zwei weitere nachdem sie wieder in Rumänien angekommen sind. Für einen Monat Arbeit in Österreich bekommt Mirela am Ende 1.300 Euro. “Das Geld muss jetzt für drei Monate reichen”, sagte sie im Gespräch mit MOMENT. “Wir sollten aber nicht weniger verdienen, sondern mehr.”

Bund und Länder haben sich inzwischen darauf geeinigt, PersonenbetreuerInnen einen Zuschuss von 500 Euro zu gewähren. Den bekommen allerdings nur diejenigen, die ihre eigentlich endende Arbeitszeit in Österreich freiwillig verlängern. Die BetreuerInnen in Quarantäne haben davon zunächst einmal nichts.

Pflegeministerium: Geld ist „Vereinbarungssache“

Die Wirtschaftskammer antwortete bis zuletzt nicht auf die mehrfach von MOMENT gestellte Frage nach einer Vergütung der BetreuerInnen in Quarantäne. Das Gesundheits- und Pflegeministerium teilte MOMENT mit, das Gehalt sei „Vereinbarungssache zwischen den BetreuerInnen und ihren VertragspartnerInnen“, Das ist meist eine der in Österreich zahlreichen Vermittlungsagenturen.

Die von MOMENT dazu befragten Agenturen “LebensWerte Seniorenbetreuung” und “Cura Domo 24-Stunden Betreuung” antworteten nicht auf die Frage, ob sie den BetreuerInnen in der Quarantäne-Zeit etwas zahlen würden. In einem von “LebensWerte” bei Facebook veröffentlichen Aufruf an PersonenbetreuerInnen, sich für den Flug nach Österreich anzumelden, ist von Bezahlung jedenfalls keine Rede.

Dass sie kein Geld bekommen in dieser Zeit, wurde ihnen vorher nicht gesagt.
Christoph Lipinski, vidaflex

„Ich gehe davon aus, dass es in der Anzeige stehen würde, wenn es bezahlt wäre“, sagte Flavia Matei zu MOMENT. Die Aktivistin setzt sich in Österreich für die PersonenbetreuerInnen aus ihrer Heimat ein. Auch Gewerkschafter Lipinski kritisiert, wie schlecht die BetreuerInnen im Vorfeld informiert worden seien: “Dass sie kein Geld bekommen in dieser Zeit, wurde ihnen vorher nicht gesagt.”

Dazu sorgten die Wirtschaftskammer Niederösterreich und die Vermittlungsagenturen auch noch für “schwerste diplomatische Verstimmung zwischen Österreich und Rumänien”, wie es Lipinski formuliert. Denn in den ersten Aufrufen an die 24-Stunden-BetreuerInnen in Rumänien sei gestanden, dass Österreich “KrankenpflegerInnen” suchen würde.

Daraufhin bewarben sich zahlreiche Pflegekräfte, die in rumänischen Spitälern arbeiten. Für das bereits jetzt schlecht aufgestellte rumänische Gesundheitssystem wäre das ein weiterer Schlag. “Es gab eine ziemlich große Aufregung in Rumänien darüber, dass das Fachpersonal jetzt nach Österreich fährt”, sagt Aktivistin Matei.

Diplomatischer Zwist zwischen Wien und Bukarest

Es klingt wie ein Schildbürgerstreich: Offenbar haben die österreichischen Stellen selbst nicht zwischen 24-Stunden-BetreuerInnen und PflegerInnen unterschieden, als sie die Stellen ausschrieben. Beide Berufe unterscheiden sich aber gravierend. PflegerInnen benötigen ein Diplom. BetreuerInnen absolvieren eine viel kürzere theoretische Ausbildung oder müssen sechs Monate praktische Befähigung nachweisen. (Ergänzung am 8. April: LeserInnen haben uns darauf hingewiesen, dass eine solche Vorbildung nicht verpflichtend ist, sondern lediglich vorausgesetzt wird, um die staatliche Förderung der 24-Stunden-Betreuung zu erhalten. Da es sonst den staatlichen Zuschuss nicht gibt, arbeiten aber kaum BetreuerInnen ohne die theoretische Ausbildung oder den praktischen Befähigungsnachweis in Österreich.)

Erst später sei klargestellt worden, dass Österreich keine Krankenschwestern und Pfleger aus den rumänischen Spitälern abwerben wollte, sagt Gewerkschafter Lipinski. Da war es für manche offenbar zu spät: “Es sind tatsächlich einige Krankenschwestern zum Flughafen gefahren.” Viele von ihnen hätten kehrt gemacht, als sie hörten, dass sie als PersonenbetreuerInnen hätten arbeiten sollen. Aber: “Einige von ihnen sind ins Flugzeug eingestiegen”, so Lipinski.

Das Außenministerium äußerte sich nicht zu der von MOMENT gestellten Frage, ob es zwischen Österreich und Rumänien deshalb Zoff gegeben habe. Das Ministerium “unterstützt die Bemühungen der zuständigen österreichischen Behörden und Körperschaften um den Transit der benötigten Arbeitskräfte nach Österreich zu ermöglichen”, teilte Sprecher Johannes Strasser mit. “Für alle weiterführenden Fragen zu diesem Personenkreis müssen wir Sie nochmals an die zuständigen Stellen bei Ländern und Wirtschaftskammern verweisen”, schrieb Strasser am Montag an die Redaktion.

Bedachte Wirtschaftskammer-Funktionär vor allem seine Firma? 

MOMENT fragte dazu auch bei der Wirtschaftskammer Niederösterreich nach, erhielt jedoch bis zuletzt keine Antwort. Deren Personenbetreuer-Obmann Pozdena ist pikanterweise gleichzeitig Geschäftsführer der Vermittlungsagentur „Cura Domo“ für die BetreuerInnen aus Rumänien arbeiten. Ihm wird nun vorgeworfen, bei der Auswahl der Arbeitskräfte vor allem an seine eigene Firma und befreundete Unternehmen gedacht zu haben.

Im STANDARD erhob die Geschäftsführerin einer anderen Vermittlungsagentur den Vorwurf, dass ein kleiner Kreis von Agenturen schon mehrere Tage vor anderen über die Flüge informiert worden. Entsprechend früher hätten diese ihre PersonenbetreuerInnen aufrufen können, sich zu melden. Ein großer Startvorteil, denn die Plätze im Flugzeug seien danach verteilt worden, wer sich zuerst meldet.

Offizielles staatliches Geld wird hier verwendet, um Agenturen zu subventionieren.
Christoph Lipinski, vidaflex

Wie viele “seiner” PersonenbetreuerInnen im Flugzeug aus Timișoara saßen, beantworteten weder Pozdena noch seine Frau Angelika Pozdena-Tomberger. Laut Impressum der Website läuft die Firma auf ihren Namen. Mehrmals versuchte MOMENT Kontakt mit beiden aufzunehmen.

“Offizielles staatliches Geld wird hier verwendet, um Agenturen zu subventionieren, die im Freundeskreis des Wirtschaftsbundes und der Wirtschaftskammer sind”, lautet der Vorwurf von Gewerkschafter Lipinski. Denn bezahlt wurden die Flüge zur Gänze vom Land Niederösterreich. Das bestätigt die Regierungskanzlei gegenüber MOMENT. Ansonsten gibt sich das Land aber ahnungslos.

Wie die Flüge organisiert worden sind und wie viele PersonenbetreuerInnen von welchen Agenturen darin saßen, kann oder will das Land nicht sagen. “Die Maßnahme zum Einflug der 24-Stunden-Betreuerinnen wurde durch die Wirtschaftskammer Niederösterreich initiiert”, heißt es aus St. Pölten. Nach Informationen, die MOMENT zugetragen wurden, saßen in dem Flugzeug PersonenbetreuerInnen von Cura Domo und lediglich vier weiteren Vermittlungsagenturen. Dabei sind in Österreich mehr als 800 Unternehmen in der 24-Stunden-Betreuung tätig.

Die Agenturen verdienen nur etwas, wenn sie ihre BetreuerInnen hierher bringen.
Personenbetreuerin Mirela

Stimmen die Vorwürfe, dann ginge der geldwerte Vorteil, den die die Agentur des Wirtschaftskammer-Funktionärs aus der Maßnahme zieht, über die reinen Flugkosten hinaus. “Die Agenturen verdienen nur etwas, wenn sie ihre BetreuerInnen hierher bringen”, sagt die 24-Stunden-Betreuerin Mirela, die in Niederösterreich arbeitet.

Wenn eine Agentur jetzt keine BetreuerInnen mehr findet, die für sie hier in Österreich arbeiten, dann müssen sich die Familien der zu pflegenden Personen an andere Betreuungsagenturen wenden: zum Beispiel an Cura Domo.

Am 15. April soll es weitere Flüge geben, mit denen BetreuerInnen aus Rumänien nach Österreich gebracht werden, bestätigte die AUA am Montag gegenüber MOMENT. Das Land Niederösterreich wollte nicht einmal dazu eine klaren Antwort geben: “Ob und inwieweit weitere Maßnahmen durch die Wirtschaftskammer geplant sind, kann durch das Land NÖ nicht beantwortet werden.”

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