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Demokratie
Kapitalismus

Misstrauensantrag und Co: Die wichtigsten Begriffe rund um Kurz-Skandal erklärt

An zwei Rednerpulten zu sehen sind Sebastian Kurz (links) und Werner Kogler (rechts). Im Hintergrund sind zwei EU Fahnen und zwei Österreich Fahnen aufgestellt.
Die Ermittlungen in der Inseraten-Affäre rund um Bundeskanzler Sebastian Kurz haben Österreich erschüttert. Die Opposition aus FPÖ, SPÖ und Neoshaben angekündigt, dem ÖVP-Kanzler das Misstrauen auszusprechen. Bei einer Sondersitzung des Nationalrats am kommenden Dienstag soll darüber abgestimmt werden.

Aber wie funktioniert so ein Misstrauensantrag und was kommt danach? Wir beantworten die wichtigsten Fragen rund um Misstrauensantrag, die Möglichkeiten der Opposition und den Handlungsspielraum der Grünen, die mit der ÖVP die aktuelle Regierung bilden.

Was wirft man Kurz vor?

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt gegen Sebastian Kurz, enge Vertraute und langjährige Mitarbeiter. Es geht um den Verdacht der  Bestechung, Bestechlichkeit und Untreue. Das sind die wichtigsten Punkte laut WKStA:

– Sabine Beinschab vom Meinungsforschungsinstitut Research Affairs soll im Auftrag von Kurz’ Team Umfragen durchgeführt haben und im Sinne von Sebastian Kurz aussehen lassen.

– Diese Umfragen sollen mittels Scheinrechnungen als Studien abgerechnet worden sein, die das Finanzministerium in Auftrag gegeben habe und bezahlt hätte. Das würde bedeuten, dass die ÖVP-Umfragen mit Steuergeld bezahlt wurden.

– Die Umfragen von Research Affairs wurden ab Juni 2016 in der Zeitung Österreich und bei oe24.at veröffentlicht sein. Die begleitende Berichterstattung dazu fiel wohlwollend gegenüber Kurz aus. (Welche Umfragen im Visier der Ermittler:innen stehen und was mit ihnen nicht stimmt, liest du hier.) 

– Gegenleistung für Platzierung der Umfragen und gefällige Berichterstattung für die Mediengruppe Österreich von Wolfgang und Helmuth Fellner laut WKStA: Das Finanzministerium schaltete Inserate in den Fellner-Medien. Das hieße: Auch hier floss Steuergeld. 

– Koordinierendes Bindeglied zwischen den Kurz-Vertrauten, Meinungsforscherin Beinschab und der Mediengruppe Österreich soll Sophie Karmasin gewesen sein. Sie leitet das Meinungsforschungsinstitut Karmasin Research war aber zum Zeitpunkt der mutmaßlich geschlossenen Vereinbarungen im Jahr 2016 Familienministerin auf ÖVP-Ticket.

Eine Übersicht, wie die Kommunikation der Beteiligten untereinander laut Ermittlungsakt der WKStA abgelaufen sein soll, findest du hier.

Was tun die Grünen, Koalitionspartner der ÖVP?

Die Grünen regieren gemeinsam mit der ÖVP. Am Freitag gab die Partei bekannt: Sie wollen mit Kurz als Bundeskanzler Kurz nicht mehr weiterregieren. Stattdessen verlangen sie von der ÖVP, Kurz mit einer „untadeligen Person“ auszutauschen. Die Begründung: Kurz sei „nicht mehr amtsfähig“.

Sebastian Kurz sagte allerdings kurz nach Bekanntwerden der Ermittlungen, er werde sicher Bundeskanzler bleiben. Wichtige Personen innerhalb der ÖVP sagen zu Medien, die Partei werde nur mit Kurz weiterreagieren.

Unklar ist, was passiert, wenn die ÖVP weiter auf Kurz als Kanzler besteht. Abgeordnete der Grünen könnten am kommenden Dienstag in der Sondersitzung des Nationalrats für den  Misstrauensantrag gegen Kurz stimmen und  versuchen, mit den anderen Parteien eine neue Regierung zu bilden. Eine Mehrheit ohne Beteiligung der ÖVP ginge sich allerdings nur aus, wenn sich die Grünen mit allen Oppositionsparteien zusammentun – also neben SPÖ und Neos auch mit der FPÖ.

Was bringt eine Sondersitzung?

In einer normalen Sitzung des Nationalrats halten Abgeordnete Reden, stimmen über Gesetze ab und stellen Anträge.

Eine Sondersitzung findet statt, wenn das zumindest ein Drittel der Abgeordneten verlangt. Das ist im Falle des Inseraten-Skandals rund um Sebastian Kurz geschehen.

Ziel ist es, so früh wie möglich im Parlament über die Ermittlungen gegen Kurz zu sprechen und Anträge zu stellen. Die Opposition aus SPÖ, FPÖ und Neos hat angekündigt, dabei einen Misstrauensantrag gegen Sebastian Kurz stellen zu wollen.

Wie funktioniert ein Misstrauensantrag?

Wenn eine einfache Mehrheit der Abgeordneten dem Bundeskanzler das Vertrauen entzieht, wird er seines Amtes enthoben. Wenn kommenden Dienstag also mehr als die Hälfte für den Antrag stimmt, ist Kurz nicht mehr Bundeskanzler.

SPÖ, FPÖ und Neos haben angekündigt, geschlossen für einen Misstrauensantrag zu stimmen. Ob dieser durchgeht, wird von den Grünen abhängen. Zur Opposition gehören – inklusive der keinem Parlamentsklub angehörenden Philippa Strache –  86 von 183 Abgeordneten. Das reicht nicht für eine Mehrheit. Damit der Antrag durchgeht, müssten zumindest 6 Abgeordnete der Grünen dafür  stimmen.

Das gilt, sollten alle Abgeordneten anwesend sein. Ein Misstrauensantrag kann aber auch beschlossen werden, wenn nur mehr als die Hälfte der Parlamentarier:innen da sind. Je nachdem, wer fehlt, verschieben sich die Verhältnisse.

Spekuliert wird, dass grüne Abgeordnete bei der Abstimmung den Saal verlassen könnten oder nicht mitstimmen. Dann würde es für die Opposition leichter, die Mehrheit der abgegebenen Stimmen zu erreichen. Beispiel: Enthalten sich alle 26 grünen Parlamentarier:innen der Abstimmung zum Misstrauensantrag gegen Kurz, würden bereits 79 Stimmen reichen, um Kurz abzusetzen – es reichten also die Stimmen der Opposition.

Kann die Regierung abgewählt werden?

Die Nationalratsabgeordneten können mit einer einfachen Mehrheit jederzeit die gesamte Regierung „abwählen“. Das passiert aber praktisch nie. Denn in den allermeisten Fällen haben die Regierungsparteien die Mehrheit im Parlament. So ist es auch bei der aktuellen türkis-grünen Regierung.

Am 27. Mai 2019 brachte das Parlament zum bisher einzigen Mal in der Geschichte der Zweiten Republik einen Misstrauensantrag durch. Zehn Tage davor, am 17. Mai, löste die Veröffentlichung des Ibiza-Videos ein politisches Erdbeben aus. Die Koalition aus ÖVP und FPÖ zerbrach. Die Abgeordneten der Opposition stellten einen Misstrauensantrag gegen die Regierung von Bundeskanzler Sebastian Kurz. Der ging sich aus, weil auch die FPÖ gegen ihren ehemaligen Regierungspartner stimmte.

Kann der Bundespräsident die Regierung auflösen?

Bundespräsident Alexander Van der Bellen kann die gesamte Bundesregierung oder nur den Bundeskanzler entlassen, wenn er es für richtig hält. Passiert ist das aber in Österreich noch nie.

Einzelne Minister:innen kann Van der Bellen nur auf Vorschlag des Bundeskanzlers entlassen. Das ist 2019 zum ersten Mal passiert. Kurz schlug vor, Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) im Zuge des Ibiza-Skandals zu entlassen, was der Präsident auch tat.

Was ist eine Konzentrationsregierung?

Wenn (fast) alle im Parlament vertretenen Parteien Teil der Regierung sind, spricht man von einer Konzentrationsregierung oder Allparteienregierung.

In der Zweiten Republik gab es das bisher einmal. Von 1945 bis 1947 regierten alle Parlamentsparteien (ÖVP, SPÖ und KPÖ) gemeinsam.

In der aktuellen Situation rund um die Ermittlungen gegen Bundeskanzler Kurz wird über eine Konzentrationsregierung diskutiert, die aus allen Parteien mit Ausnahme der ÖVP bestehen könnte. Das wäre also eine Regierung aus SPÖ, Grüne, FPÖ und Neos. Die Frage dabei ist, ob inhaltlich so unterschiedlich ausgerichtete Parteien gut miteinander regieren könnten.

Was ist eine Minderheitsregierung?

Wenn die Regierungsparteien keine Mehrheit im Nationalrat haben, spricht man von einer Minderheitsregierung. Will diese Regierung Gesetze beschließen will, kann sie das nur mit Unterstützung von zumindest Teilen der Opposition.

Auf die aktuelle Situation umgelegt heißt das, Kurz‘ ÖVP könnte sich an einer solchen Regierungsform probieren – allerdings mit wenig Aussicht auf Erfolg. Hat die Regierung keine Mehrheit im Parlament, ist sie ständig gefährdet, durch einen Misstrauensantrag (siehe oben) abgesetzt zu werden.

Kommen jetzt Neuwahlen?

Bisher hat sich keine der Parlamentsparteien für Neuwahlen ausgesprochen. Grundsätzlich finden Wahlen zum Nationalrat alle fünf Jahre statt. Die nächste reguläre Wahl fände also im Jahr 2024 statt. Es kann aber auch zu vorzeitigen Neuwahlen kommen. Dazu braucht es eine einfache Mehrheit im Parlament, es müssen also mindestens die Hälfte der Abgeordneten dafür stimmen.

Formell muss der Nationalrat mit einem Gesetz beschließen, sich vorzeitig aufzulösen. Er arbeitet dann so lange weiter, bis neu gewählt wurde. Oder der Bundespräsident löst den Nationalrat vorzeitig auf Vorschlag der Bundesregierung auf.

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