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Ungleichheit

Abschiebungen nach Syrien? Kritik am populistischen Vorstoß von Österreich

Abschiebungen nach Syrien? Kritik am populistischen Vorstoß von Österreich
Nach 50 Jahren Diktatur wurde Baschar al-Assad gestürzt. Die Hoffnung syrischer Menschen auf der ganzen Welt ist groß. Aber die Furcht auch. Wie es in Syrien weitergeht, weiß niemand. Zwei Tage nach dem Umsturz hat der österreichische Innenminister trotzdem schon die Vorbereitung von Abschiebungen angekündigt. Für Rechtsexperten sind es “populistische Schnellschüsse, die uns auf den Kopf fallen können”.

Keine besondere Leistung

Richtig stolz war Innenminister Gerhard Karner im Ö1 Morgenjournal auf den Bundeskanzler. Schließlich hat Österreich als erstes EU-Land alle laufenden syrischen Asylverfahren auf Eis legen lassen. 

Wirklich getan hat die österreichische Regierung dabei aber nichts. Bei jedem Asylverfahren wird die Schutzbedürftigkeit der Person untersucht. Dabei wird auch die Sicherheits- und Menschenrechtslage im Herkunftsland überprüft. Das passiert auf Grundlage von Länderberichten, die von NGOs geliefert werden. Kein Länderbericht zu Syrien ist nach dem Sturz noch aktuell, die Lage dort zu unsicher. 

Auch der Direktor des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Gernot Maier, sieht das in einem Social Media-Post so. “Aktuell ist es unmöglich vorherzusagen, wie sich die politische Lage in Syrien entwickeln wird […].” Schließlich gibt es verschiedene politisch relevante Gruppen und zwischen ihnen durchaus Konfliktpotential. Bis da etwas fix ist, kann es noch dauern. Durchaus normal, dass Asylverfahren da erst einmal nicht weiter behandelt werden. “Das ist sowieso gültige Rechtslage”, erklärt Anwalt und Asylrechtsexperte Wilfried Embacher.  

“Nehammer und Karner nennen das Pausieren der Verfahren ‘Stopp’ oder ‘Aussetzung’, um eine gewisse Stimmung zu erzeugen und harte Hand zu zeigen”, vermutet Lukas Gahleitner-Gertz, Rechtsexperte der Asylkoordination. “Das ist hauptsächlich politische Kommunikation und Show.” 

Die Botschaft kommt bei den betroffenen Menschen an. “Meine Kollegin ist Syrerin. Sie wird ständig von syrischen Menschen angerufen und gefragt, ob sie jetzt alle abgeschoben werden”, erzählt Embacher. Gahleitner-Gertz weist darauf hin, dass diese “populistischen Schnellschüsse uns auf den Kopf fallen können”. Er erinnert: “In Österreich wohnen viele Syrer:innen, die Teil unserer Gesellschaft geworden sind. Anstatt zu spalten, sollte die Integration gefördert werden.“ 

Völlig widersprüchlich 

Auf die erste Ankündigung folgte sogleich die zweite: die Vorbereitung eines Abschiebe- und Rückführungsprogrammes. Karner hat offensichtlich große Pläne. Dabei lassen sich die gar nicht umsetzen. Denn für Abschiebungen und Rückführungen muss es genauso wie für Asylverfahren ebenfalls erst einen Lagebericht geben. Maier: ”Als Behörde kann das BFA in der aktuellen, sehr volatilen Situation keine Entscheidungen über Asylanträge treffen.” Ein faires und objektives Verfahren wäre nicht möglich, bevor die Lage in Syrien sich beruhigt habe.

“Zwangsweise Außerlandesbringungen nach Syrien kommen gegenwärtig selbstredend nicht in Betracht”, sagt Maier. Aber als Behörde könne man sich natürlich auf unterschiedliche Szenarien vorbereiten. Aus dem Innenministerium heißt es auf Anfrage von MOMENT.at, man würde Abschiebe- und Rückführungsverfahren lediglich vorbereiten und einleiten. Schließlich wolle man vorbereitet sein. Es ginge um verschiedene Formen von Rückkehr, unter anderem auch die Freiwillige.

Die politischen Ankündigungen klingen freilich brachialer und werden auch vom rechten Boulevard beklatscht. Als “knallharter Kanzler” wurde Karl Nehammer schon am Dienstag für das Spektakel in der “Heute” gelobt. Die Rechtsexperten sehen es unterdessen kritisch. “Wenn man jetzt von Abschiebungen spricht, setzt man den fünften Schritt vor den ersten”, sagt Gahleitner-Gertz. “Das ist durchaus problematisch”, meint auch Embacher, “denn es transportiert ein Ergebnis mit, das nicht seriös ist.” 

Die meisten der 95.000 in Österreich lebenden Syrer:innen haben einen rechtskräftigen Aufenthaltstitel. Sie können also gar nicht abgeschoben werden – es sei denn, ihnen wird der Schutzstatus rückwirkend aberkannt. Selbst dann bedeutet das noch lange keine Abschiebung. Die ist nur bei Menschen möglich, deren positiver Asylbescheid nicht älter als fünf Jahre ist. In Österreich betrifft das 40.000 Syrer:innen. 12.886 Verfahren sind aktuell noch offen, haben also weder einen positiven noch negativen Bescheid. Aber auch sie können nicht zwangsweise zurückgeschickt werden. Erneut ist das von der Entwicklung der Lage in Syrien abhängig.

Alles Vodoo

Der Innenminister spricht trotzdem schon einmal von einer Liste jener, die er als Erstes abschieben möchte. Dazu zählt er “Kriminelle, Menschen, die sich unserer Kultur nicht anpassen und die, die nicht arbeiten wollen”. Auf Nachfrage, was eine Anpassung an die Kultur bedeuten solle, kommt aus dem Innenministerium keine eindeutige Antwort. 

Zwar können Menschen, die straffällig geworden sind, auch nach 5 Jahren noch abgeschoben werden, aber nicht in ein Land, das für sie gefährlich ist. “Der Innenminister weiß nicht, wovon er redet”, so Embacher. Auch Gahleitner-Gertz meint: “Karners Behauptungen sind postfaktisch. Seine angekündigten Maßnahmen haben überhaupt nichts mit der Realität zu tun. Das halte ich für Vodoo.” 

Gahleitner-Gertz fühlt sich an frühere Ereignisse erinnert: “Die Motivation ist dieselbe, die Nehammer als Innenminister hatte. Bei Nacht und Nebel haben die Taliban damals Kabul eingenommen und ein radikal-islamistisches Regime auf die Beine gestellt. Nehammer hat lange getrommelt, dass Österreich bei Abschiebungen bleiben muss”, sagt er. Heute haben alle Frauen aus Afghanistan ein Recht auf Asyl in der EU, weil sie in Afghanistan massiver Unterdrückung und Gewalt ausgesetzt sind.

Populistische Schnellschüsse

Dass die ÖVP mit den Ankündigungen bloß innenpolitisch motiviert den Freiheitlichen zuvorkommen wollte, bestreitet der Innenminister im Ö1-Morgenjournal. Auch MOMENT.at gegenüber verweist das Innenministerium auf seine Verantwortung und “Pflichten” – “es wäre ja schlecht, sich von der Situation überraschen zu lassen”.

Wie man sich als Behörde vorbereitet, und wie man etwas als Politiker:in an die Öffentlichkeit verkauft, das sind freilich unterschiedliche Dinge. Österreichs Verantwortliche in der Regierung hätten einfach ruhig erklären können, wieso laufende Asylverfahren jetzt auf Eis gelegt werden müssen – dass das asylrechtlicher Alltag und eben keine politische Maßnahme und kein Grund zu Aufregung ist. Man hätte jene Syrer:innen, die es wollen, bei ihrer freiwilligen Rückkehr unterstützen können, ohne dabei von auf Sicht unmöglichen Abschiebungen zu sprechen. Wir warten, wie sich die Lage entwickelt, hätte man sagen können, weil es wahr ist und alles andere zu unsicher. 

“Und was wird jetzt weiter passieren?”, fragt sich Embacher. “Nächste Woche wird irgendwer schreien: Habt ihr die Asylbescheide schon aberkannt? Und dann gibt es einen völlig absurden Wettbewerb, zwischen Vorschlägen, die nicht umgesetzt werden können.”

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    Kommentare 1 Kommentar
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  • frizzdog
    12.12.2024
    nicht untypisch für österreichs rechte, dass sie einen deutlich erkennbaren neurotiker als innenminister bestellt. trifft ja auch auf eine "einschlägig vorbereitete" bevölkerung (siehe Erwin RINGEL :-)
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