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Demokratie

Nach Diktatursturz: “Syrien hat es verdient, ein demokratisches Land zu werden”.

Nach Diktatursturz: “Syrien hat es verdient, ein demokratisches Land zu werden”.
Abdulhakeem Alshater organisierte kurzfristig eine Demonstration in Wien. Foto: Abdulhakeem Alshater.
Für viele Syrer:innen war der 8. Dezember 2024 historisch. Der langjährige Machthaber Baschar al-Assad wurde gestürzt. Auch in Wien sind tausende Menschen zusammengekommen, um zu jubeln, zu tanzen und zu weinen. Wie geht es der syrischen Community nach 50 Jahren Diktatur? Der Vorsitzende des Vereins Freie syrische Gemeinde Abdulhakeem Alshater erzählt uns, wie er das Wochenende erlebt hat und was er wirklich über das Ende des Assad-Regimes denkt.

Ich habe eine unglaubliche Freude gespürt, als ich die Nachricht erhalten habe, dass die Assad-Diktatur gestürzt wurde. Ich hab es online gelesen und dann direkt in unzähligen Gruppen geteilt, in denen in vernetzt bin. Ich habe geweint vor Freude. 

Assad und sein Vater haben Menschen in Massen umgebracht, sie haben politische Gefangene gehalten, die eigene Bevölkerung bombardiert und chemische Waffen gegen sie verwendet. Mein erster Gedanke war: Mit dem 8. Dezember ist das alles vorbei. Sind diese Verbrechen vorbei. Fünfzig Jahre schmerzhafte Unterdrückung, Vertreibung und Verhaftung. Heute ist ein guter Tag für die Freiheit. 

Gemeinsam auf die Straße

Mit diesen Gedanken war ich nicht alleine. Auch die “Freie syrische Gemeinde Österreich” hat sich sehr darüber gefreut. Unser Verein besteht aus rund 100 Personen. Wir wollten unsere Emotionen zusammen mit anderen syrischen Menschen teilen. Und haben daraufhin kurzfristig eine Demonstration in Wien organisiert. Auf allen Social-Media-Kanälen haben wir dazu aufgerufen, zusammenzukommen. Ein paar Stunden später war die Wiener Ringstraße voll mit 30.000 Menschen. Da haben syrische Menschen gefeiert, zusammen mit Österreicher:innen. 

Vor allem aber war es ein wahnsinniges Gefühl, so viele Menschen mit syrischen Flaggen zu sehen. Den grünen syrischen Flaggen, mit drei Sternen. Das sind die alten Flaggen, als Syrien noch unabhängig war. Für mich sind sie ein Zeichen der Revolution. Ich war in diesem Moment sehr stolz auf unseren Verein und was wir hier in Österreich für unsere Community geleistet haben. Ich stand auf einem Auto und habe gejubelt. Mit so vielen Menschen aus meiner Community. Am nächsten Tag hatte ich keine Stimme mehr, von den vielen Gesprächen. Das war es wert.

 

Rechte versuchen aktuelle Lage zu instrumentalisieren

Neben dieser puren Freude, sehe ich aber gleichzeitig auch, dass viele Menschen den Diktatursturz zum Anlass nehmen, um für Abschiebungen zu mobilisieren. Unter Social Media Beiträgen von friedlichen Demonstrationen oder Info-Posts tippen sie Flugzeug-Emojis. Sogar Bundeskanzler Nehammer hat einen Tag nach Ende des Assad-Regimes direkt von Abschiebungen gesprochen. Und dass Asylanträge erstmal nicht weiter bearbeitet werden. Das ist hart, aber ich habe mich an so etwas auch schon gewöhnt. 

Aktuell möchte ich nicht zurück nach Syrien. Die Lage ist noch zu gefährlich und unübersichtlich. Wir müssen abwarten, wie es weitergeht. Ich will nicht an eine Rückkehr denken, bevor Syrien kein freies und demokratisches Land ist. Ich wünsche mir nach wie vor Freiheit für alle Glaubensrichtungen in Syrien. Ich wünsche mir freie Meinungsäußerung und demokratische Wahlen. Staat und Religion müssen getrennt sein. Ich wünsche mir ganz einfach Menschenrechte, wie auch hier in Österreich. So geht es vielen Menschen in meinem Umfeld. Sie haben sich in Österreich mit ihrer Familie ein neues Leben aufgebaut. 

Der Weg in ein sicheres Leben 

Ich bin in Homs aufgewachsen, im Westen Syriens. Ich fühle mich sehr mit dieser Stadt verbunden. Habe schöne Erinnerungen daran. Über die Zeit vor dem Assad-Regime reden, konnte ich jedoch nie. Zu groß war die Angst vor Geheimdiensten. 

Als die Stadt durch Assad belagert wurde, bin ich geflüchtet. Fast elf Kilometer durch das unterirdische Kanalsystem der Stadt. Der Abwassertunnel hatte einen Durchmesser von 60 Zentimetern. Mit 40 anderen Menschen sind wir sechs Stunden kriechend raus aus der Stadt. Danach noch mehrere Tage weiter zu Fuß in ein kleines Dorf.  

Anschließend ging es Richtung Türkei und dann mit dem Schlauchboot über das Mittelmeer. Das ging nicht gut. Auf der Überfahrt nach Griechenland kenterte das Boot. 20 der 44 Menschen an Board haben es nicht lebend aus dem Wasser geschafft. Auch Frauen und Kinder sind dabei gestorben. Ich bin zwei Kilometer nach Griechenland geschwommen und schließlich irgendwie in Österreich angekommen. Meine Frau und meine Kinder konnten nachkommen. 

Ein Stück Syrien in Österreich 

Hier habe ich ein neues Leben. Ein Leben in Sicherheit. Was mir in Österreich abgeht: Das soziale Leben, das ich aus meiner Heimat kenne. In Syrien besuchten wir unsere Familien täglich, verbrachten viel Zeit zusammen, saßen zusammen auf öffentlichen Plätzen und redeten über unsere Sorgen und Ängste. Auf der Demo am Sonntag habe ich für einen kurzen Moment dieses Stückchen Syrien in Österreich gespürt. 

Ich wünsche mir, dass der Westen und Europa diese syrische Revolution nicht im Stich lässt. Es darf nicht das passieren, was in Libyen oder dem Irak passiert ist. Meine restliche Familie ist über viele Länder verstreut. Meine Eltern leben in Ägypten, meine Schwester ist noch in Damaskus. Auch sie hat am 8. Dezember auf den Straßen gefeiert. Auch sie wünscht sich ein freies Syrien. 

 

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