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Demokratie
Kapitalismus

Wirtschaftsweiser Truger warnt: "Nicht Verluste sozialisieren und Gewinne privatisieren"

Die Weltwirtschaft könnte infolge der Coronavirus-Pandemie in "die größte Krise der Nachkriegsgeschichte" schlittern, sagt Achim Truger. Der deutsche Wirtschaftsweise warnt: Ziehen Europas Staaten nicht an einem Strang, droht die EU zu zerbrechen. Staaten müssten jetzt handeln, Verstaatlichungen dürften kein Tabu sein. „Wenn man jetzt nur Geld gibt, kann es sein, dass die Verluste sozialisiert wurden, die Gewinne aber wieder privatisiert werden.“
Nur selten wird Österreichs Nationalrat so dünn besetzt sein wie an diesem Freitag. Doch weil auch im Sitzungssaal aufgrund des grassierenden Coronavirus die Abstandsregeln eingehalten werden sollen, dürfen nur 96 der 183 Abgeordnete an der heutigen Sitzung teilnehmen. Damit ist Österreichs Parlament nur knapp überhaupt beschlussfähig. Das heißt allerdings nicht, dass der Betrieb reduziert wird. Im Gegenteil: Bereits das 3. Corona-Gesetzespaket soll auf den Weg gebracht werden. Es soll weitere finanzielle Hilfen auf den Weg bringen. Denn die Wirtschaft kracht derzeit an allen Ecken, und das weltweit.

„Das könnte die größte wirtschaftliche Krise der Nachkriegsgeschichte werden“, sagt der Ökonom Achim Truger im Gespräch mit MOMENT. Truger ist einer von fünf sogenannten Wirtschaftsweisen in Deutschland. Dieser Sachverständigenrat der Regierung legte in dieser Woche ein Gutachten vor, das skizziert, wie schwer die Krise werden kann – und wie sie abgefedert werden könnte.

Es geht abwärts und es wird weiter abwärts gehen

„Man muss mit allen Zahlen sehr vorsichtig sein. Es gibt noch sehr wenige Daten“, schränkt Truger ein. Klar ist jedoch: Es geht abwärts und es wird weiter abwärts gehen. Ein Untergangsszenario mit einer um 20 Prozent einbrechenden Wirtschaftsleistung, wie von manchen Ökonomen befürchtet, sieht Truger zwar nicht. Je nachdem, wie lange es dauert die Pandemie zu bekämpfen, könnte die Wirtschaft in den kommenden drei Monaten aber durchaus um 10 Prozent einbrechen. Auf das ganze Jahr gesehen würde das BIP dann um 5,4 Prozent schrumpfen.

Soziales Leben auf Minimum herunterzufahren ist alternativlos.

Das soziale Leben auf ein Minimum herunterzufahren, um das Coronavirus einzudämmen und so viele Menschenleben wie möglich zu schützen, sei laut Truger „alternativlos“. Je schneller wir zumindest zu einer gewissen Normalität zurückkehren können, desto weniger schlimm wirke sich die Krise aus. Im sogenannten Basisszenario rechnet Truger mit minus 2,8 Prozent Wachstum. Weniger zwar, aber noch immer ein gravierender Einschnitt, hinter dem Millionen Existenzen stehen, die jetzt gefährdet sind.

Das Gutachten bewertet die Situation in Deutschland. Es ist aber nicht zu erwarten, dass Österreich glimpflicher davonkommt. Die Zahl der Arbeitslosen ist hierzulande Ende März auf 562.000 nach oben geschnellt. So viele waren in Österreichs noch nie ohne Job, täglich werden es mehr. Das Momentum Institut rechnet sogar mit bis zu 800.000 Arbeitslosen am Höhepunkt der Krise. „Jetzt die Möglichkeit der Kurzarbeit zu nutzen, ist enorm wichtig“, sagt Truger. Denn: „Entlassen zu werden, bedeutet für die Menschen einen tiefen Einschnitt, der viele negative soziale Folgen hat“, warnt er.

Hilfen für Gewerbetreibende sollten nicht als Kredit sondern als Zuschuss gewährt werden.

Daneben stehen kleine Gewerbetreibende jetzt vor dem Ruin – sei es der Buchhändler, der den Laden nicht mehr öffnen darf oder das Kaffee, das zugesperrt bleiben muss. Deutschland habe hier „einen richtigen Weg beschritten, indem es schnell reagiert hat“, so Truger. Die Mieten für Geschäftslokale sind weiter zu zahlen, die Einnahmen gehen aber teilweise gegen Null. „Da ist es gut, dass es 9.000 bis 15.000 Euro als Ersatz fürs Einkommen gibt“, sagt er. Das solle aber „nicht als Kredit, sondern als Zuschuss“ gewährt werden. Denn das Geld in naher Zukunft abstottern zu müssen, lastet dann als schwerer Rucksack auf Kleinbetrieben.

Was im Kleinen gilt, gelte auch im Großen. Die Länder des Euroraums sollten jetzt gemeinsam und solidarisch handeln. Ein Mittel dafür: sogenannte Corona-Bonds. Damit könnten alle Staaten Zugang zu den gleichen niedrig verzinsten Finanzierungsmitteln erhalten. „Deutschland und auch Österreich stehen jetzt auf der Bremse, wenn es darum geht den südeuropäischen Ländern zu helfen“, sagt Truger. Doch wenn Italiens oder Spaniens Wirtschaft in Folge der jetzigen Krise langfristig unter hohen Staatsschulden ächzen würde, „dann schadet das allen EU-Ländern“. Die Coronakrise könnte dann enorme Fliehkräfte entwickeln: „Der Euro könnte zusammenfallen, die EU sogar auseinanderbrechen“, warnt Truger.

Viele Opfer in Italien: auch Folge des Sparkurses

Die vergangene Schuldenkrise, die Südeuropas Staaten so gelähmt hat, hat noch weitere, fatale Folgen. Truger merkt an: In der Krise des Coronavirus zeige sich, wie wichtig ein gut ausgebautes staatliches Gesundheitssystem ist. Dass besonders in Italien und Spanien so viele Menschen durch das Coronavirus sterben, liege auch daran, dass deren Krankenhäuser und gesundheitliche Versorgung relativ schlecht aufgestellt sind. Zum Vergleich: Während in Österreich pro 100.000 Einwohnern rund 29 Betten für Intensivpflege zur Verfügung stehen, sind es in Spanien und Italien nicht einmal 10 solcher Betten, die jetzt so dringend benötigt werden. Das, so Truger, sei auch eine Folge des Sparkurses, der diesen Ländern in der Euro-Krise auferlegt wurde.

Es darf nicht sein, dass finanzielle Hilfen später als Bonusse und Dividenden an Manager und Aktionäre ausgezahlt werden.

Deutschland und Österreich stellen jetzt jeweils Milliarden an Hilfsgeldern für große Unternehmen bereit. Truger fordert: „Der Staat muss Mitsprache haben, wenn er Firmen stützt.“ Es dürfe nicht sein, dass jetzt fließende Hilfen später als Bonusse an Manager und Dividenden an Aktionäre gehe. „Da sollte es Auflagen geben“, so Truger.

Der Staat könne aber noch mehr tun: „Sich an Unternehmen zu beteiligen und sie im Extremfall auch temporär zu verstaatlichen ist auch möglich“, so der Wirtschaftsweise. Denn dann könne der Staat nach der Krise vom Aufschwung profitieren. „Wenn man jetzt nur Geld gibt, kann es sein, dass die Verluste sozialisiert wurden, die Gewinne aber wieder privatisiert werden.“

 

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