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Ungleichheit
Gesundheit

“Alliance Defending Freedom”: Radikale US-Abtreibungsfeinde mit Sitz in Wien

Eine Frau hält ein Schild vor ihr Gesicht, darauf steht: Abtreibungsverbot ist Femizid.
Die Organisation "Alliance Defending Freedom" hat auch enge Verbindungen zum Marsch fürs Leben. Gegen den wird jährlich demonstriert. Foto: Lisa Wölfl
Die Anti-Abtreibungs-Organisation "Alliance Defending Freedom" kämpfte in den USA erfolgreich gegen das Grundrecht auf Schwangerschaftsabbrüche. Auch in Europa will sie ihre radikal christliche Agenda durchsetzen - aus ihrem Hauptquartier in Wien.

In einem unscheinbaren Altbau im dritten Wiener Gemeindebezirk sitzt der millionenschwere europäische Arm der rechtskonservativen Alliance Defending Freedom (ADF). Die Organisation steckt hinter dem Ende des landesweiten Rechts auf Abtreibung in den USA. Erst vergangene Woche versuchte sie, den US Supreme Court zu überzeugen, Abtreibungsmedikamente erheblich einzuschränken.

Die „weltweite Förderung des Christentums und der christlichen Prinzipien und Ethik“ steht als Geschäftszweig im Firmenbuchauszug der Tochtergesellschaft ADF International. Eingetragen ist die Organisation in Österreich seit 2016. Laut jüngstem Jahresabschluss besitzt sie ein Vermögen von rund 1,4 Mio. Euro.

Alliance Defending Freedom International: Radikal christlicher Einfluss auf Europa

Die Mutterorganisation ADF hat ihre Einkünfte, die zum Großteil aus Spenden kommen, in den letzten zehn Jahren verdreifacht. Im Jahr 2021 nahm sie über 95 Mio. Euro ein. Einen Teil davon investiert sie in Europa. Etwa 4,8 Mio. Euro gab ADF dort für Förderungen und juristische Arbeit aus. 2021 beschäftigte ADF in Europa dafür 23 Personen.

Damit sind sie nicht die einzigen: Immer mehr radikale christliche Organisationen schlagen in Europa auf – und sie sind reicher als noch vor ein paar Jahren, sagt Neil Datta vom progressiven Netzwerk European Parliamentary Forum for Sexual & Reproductive Rights. Er recherchiert die Strukturen und Geldflüsse von Organisationen, die sich gegen Gender-Gerechtigkeit und LGBT-Rechte einsetzen. ADF International ist einer der größten Player, sagt er.

Religiöse Freiheit als Waffe: Die Strategie der Anti-Abtreibungs-Lobby

Wien ist laut Datta ein beliebter Standort für Organisationen wie ADF International. Denn große internationale Institutionen wie die Vereinten Nationen, die Lobby-Ziel sind, sitzen in der Hauptstadt. Und NGOs müssen ihre Finanzen hierzulande nicht offenlegen. 

Die Arbeit von ADF International bezieht sich häufig auf religiöse Freiheit. Sie verteidigte etwa eine finnische Abgeordnete, die wegen homofeindlichen Aussagen vor Gericht stand. Oder einen Taxifahrer in der deutschen Stadt Essen, der auf seinen Bibelvers am Auto besteht, obwohl religiöse Werbung auf Taxis verboten sind.

Der Grundsatz der religiösen Freiheit diene ADF International als Waffe, um die Freiheit anderer einzuschränken, sagt Datta, etwa die Selbstbestimmung von Schwangeren. Im vergangenen Jahr erstritt ADF International in Deutschland die Erlaubnis für Anti-Abtreibungsgruppen, vor Kliniken zu beten.

Das Netzwerk des Wiener Büros

Das Wiener Büro ist in der lokalen Szene gut vernetzt. Seine Mitarbeiter:innen setzen sich gegen Sterbehilfe und Leihmutterschaft ein und äußern sich gegen geschlechtsangleichende Therapien für trans Personen. Eines der wichtigsten Anliegen ist der Kampf gegen legale Abtreibungen.

Leiter der Rechtsabteilung Felix Böllmann nahm im vergangenen Herbst am Wiener Marsch fürs Leben teil. Die Demonstration gilt als jährlicher Treffpunkt der Anti-Abtreibungs-Szene. Radikale Christ:innen protestieren dort neben Politiker:innen der ÖVP und Rechtsextremen.

ADF-Kommunikationsreferent Ludwig Brühl war zumindest im Herbst noch Pressesprecher bei Marsch fürs Leben. Nachdem der US Supreme Court 2022 das Recht auf Abtreibung gekippt hatte, war Brühl Gast in zwei TV-Diskussionen und sagte, dass die USA früher „ein wirklich extremistisches Abtreibungsregime“ gehabt hätten. 

Bei seinen Auftritten verwendete er Bilder, die starke Gefühle hervorrufen sollten. Er sprach etwa von Föten, die Schluckauf hätten oder an ihrem Daumen lutschten. Trotzdem gab sich Brühl gemäßigt und betonte immer wieder, dass es darum ginge, Frauen zu schützen.

4 Personen sitzen in einem Fernsehstudio. Es geht um eine Diskussion über das Abtreibungsverbot in den USA

ADF-Kommunikationsreferent Ludwig Brühl (2.v.r.) war Organisator des „Marsch fürs Leben“ Foto: Krone/Klemens Groh

Später, als er schon für ADF International arbeitete, schrieb er auf X, der „Staat muss Abtreibung verhindern, nicht fördern.“ Pläne, in Vorarlberg zukünftig Schwangerschaftsabbrüche im öffentlichen Krankenhaus möglich zu machen, nannte er „Verrat“ durch den Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP).

Die wohl prominenteste Mitarbeiterin ist Sophia Kuby, die das EU-Büro der ADF aufbaute. Sie gründete zuvor die rechtskonservative Organisation “European Dignity Watch” und gilt als Schlüsselfigur in der Vernetzung von radikalen christlichen NGOs in Europa. Ihre Mutter ist die Autorin Gabriele Kuby, die etwa in einem Interview behauptete, „Gender-Politik“ fördere „Tod, Unfreiheit und totalitäre Herrschaft“.

Beziehungen mit rechtskonservativen Medien unterhält Elyssa Koren, die bei ADF International eine leitende Funktion innehat. Sie schreibt unter anderem für die ultrakonservativen Plattformen Daily Wire und Daily Caller.

Für UNO-Themen ist Giorgio Mazzoli zuständig, der die angeblich „radikale pro-Abtreibungsagenda“ ihrer Verwaltung auf X kritisiert.

ADF International antwortete nicht auf wiederholte Anfragen von MOMENT. Mit Blick auf die Mutterorganisation scheinen ihre Vorhaben aber eindeutig.

ADF in den USA: Für Konversionstherapie, gegen Verhütung

In den USA kämpft ADF unerbittlich gegen Abtreibung und LGBT-Rechte. Mehr als ein Dutzend Fälle hat sie vor dem Supreme Court gewonnen. Auf der eigenen Website detailliert die Organisation stolz, wie viel Planung und Arbeit in den Sturz des Grundsatzurteils Roe floss, das bis 2022 ein Recht auf Abtreibung verankert hatte.

Im März versuchte ADF den Supreme Court davon zu überzeugen, dass das Abtreibungsmedikament Mifepriston, in Österreich bekannt als Mifegyne, gefährlich sei. Die großteils konservativen Richter:innen schienen der Argumentation nicht zu folgen. Der Zugang zu Mifepriston über Telemedizin bleibt wahrscheinlich erhalten.

Vor kurzem versuchte ADF das Verbot von Konversionstherapien für queere Jugendliche zu kippen.

Beobachter:innen fürchten, dass sich die mächtige Organisation als nächstes Verhütung vornehmen wird. Denn Notfallmedikation wie die „Pille danach“ seien auch Abtreibung, sagte die Geschäftsführerin Kristen Waggoner kürzlich in einem Interview.

Ihr Vorgänger Alan Sears war deutlicher: „Wir sind auf einem Erfolgskurs. Es kommt vielleicht der Tag, an dem die Menschen sagen, die Antibabypille war ein Fehler.“

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