Brauchen wir Vermögenssteuern?
Sie könnten Ungleichheit bekämpfen und dem Staat Einnahmen bescheren. In Österreich sind Steuern auf Vermögen aber besonders niedrig. Ist es Zeit, das zu ändern? Und wie kann es funktionieren?
Darum geht’s:
Die Vermögenssteuer scheint ein Revival zu feiern: Namhafte WirtschaftswissenschaftlerInnen wie Gabriel Zucman und Thomas Piketty fordern seit langem, große Vermögen stärker oder überhaupt einmal zu besteuern. In den USA bewirbt sich Elizabeth Warren als demokratische Kandidatin für die Präsidentschaftswahl. Sie fordert offensiv, dass Superreiche mehr zahlen sollen und hat gute Chancen, im nächsten Jahr gegen Donald Trump ins Rennen um die Präsidentschaft gehen zu können. Ausgerechnet zahlreiche Multi-Milliardäre forderten zuletzt in einem offenen Brief: „Es ist Zeit, uns stärker zu besteuern!“ In einer Umfrage der OECD sprachen sich mehr als 70 Prozent der ÖsterreicherInnen dafür aus, Steuern für Reiche zu erhöhen, um die Ärmeren zu unterstützen. Und doch sagt Österreich seit Jahren konsequent nein, wenn das darum geht, große Vermögen zu besteuern und ArbeitnehmerInnen zu entlasten. Warum eigentlich?
In Österreich herrsche eine „bemerkenswerte Ungleichverteilung der Vermögen“. Das sagt nicht irgendwer, sondern die EU-Kommission. Sie rät dazu, Erbschaften und Vermögen endlich stärker zu besteuern. Von allen Ländern in der OECD und EU verlangt Österreich mit die niedrigsten Steuern auf Reichtum.
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Eine Vermögenssteuer gibt es in Österreich seit 1993 nicht mehr. Die Erbschaftssteuer wurde 2007 abgeschafft. Die Grundsteuer liegt bei schmalen 0,2 Prozent. Steuern auf Vermögen machen deshalb nur 0,5 Prozent des österreichischen Bruttoinlandsprodukts aus, ein extrem niedriger Wert im internationalen Vergleich. Gleichzeitig zählen die Arbeitskosten zu den höchsten in Europa: DurchschnittsverdienerInnen müssen monatlich 47,6 Prozent ihres Bruttolohns an den Staat abliefern.
Zum Vermögen zählen Grundbesitz und Immobilien, Unternehmensanteile und Bargeld, aber auch Jachten und Kunstgegenstände. Das private Vermögen in Österreich wird auf rund 1,3 Billionen Euro geschätzt. „Eine genaue Zahl kann man aber nicht nennen, da es kein Vermögensregister gibt“, sagt Martin Kocher, Leiter des Instituts für Höhere Studien (IHS) zu Moment. Während die Ärmeren in Österreich beinahe jeden Euro, den sie besitzen, offenlegen müssen, sobald sie um eine Förderung oder Sozialleistung ansuchen, gedeiht das Vermögen der MillionärInnen im Dunkeln. Schätzungsweise 150.000 davon leben in Österreich. Das sind 1,7 Prozent der Bevölkerung. Sie allein wären von einer Vermögenssteuer betroffen, die ab einem Vermögen von einer Million Euro und mehr greift.
Dennoch könnten so zwischen 2,7 Milliarden Euro und 6,3 Milliarden Euro eingenommen werden, so die EU-Kommission. Die Zahlen gehen zurück auf eine Studie der Johannes Kepler Universität in Linz. Jakob Kapeller ist einer der Autoren der Arbeit. „Unser radikalstes Modell Vermögen zu besteuern, ist im internationalen Vergleich noch sehr bescheiden“, sagt er zu Moment. Er hat mehrere Varianten durchgerechnet: Ab einem Vermögen von einer Million Euro könnten zum Beispiel 0,7 Prozent Steuer pro Jahr fällig werden. Besitze ich also eine Villa oder ein Zinshaus im Wert von 1,5 Millionen Euro, müsste ich 500.000 Euro von diesem Wert versteuern. Das sind bei einem Steuersatz von 0,7 Prozent ganze 3.500 Euro pro Jahr. Genauso viel müssen DurchschnittsverdienerInnen in drei Monaten an Steuern und Abgaben leisten – und haben dabei eben nicht die Möglichkeit, ihr Kapital durch geschicktes Anlegen oder Mieteinnahmen noch zu vermehren.
Kritik und Lösung
Dennoch zeigen renommierte ÖkonomInnen der Vermögenssteuer die rote Karte: Margit Schratzenstaller vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) nennt die Vermögenssteuer im Gespräch mit Moment ein „Auslaufmodell“. IHS-Chef Kocher betrachtet sie als „derzeit nicht realistisch oder sinnvoll“. Ein Argument: „Eine jährliche Steuer auf den Besitz hat einen sehr hohen Aufwand“ sagt er. Klar, wenn Jahr für Jahr Sachverständige ausrücken müssen, um die Anzahl der Perlenketten in den Schmuckschatullen der ÖsterreicherInnen zu zählen, wird es schnell kompliziert. Aber muss es so laufen?
„Der alte Meister im Vorzimmer. Das ist bei so reichen Haushalten wurscht, solche Dinge kann ich rausnehmen“, sagt Kapeller. Er plädiert für einen pragmatischen Ansatz: „Man braucht ein komplettes Register der Immobilien. Bei Unternehmen kann ich das Eigenkapital als Grundlage nehmen. Das dauert zehn Sekunden“, sagt er.
Doch was ist, wenn sich das Vermögen der Reichsten plötzlich buchstäblich aus dem Staub macht, um dem Fiskus zu entkommen? „So eine Steuer gibt einen großen Anreiz den Wohnsitz zu verlagern“, sagt Martin Kocher. „Und das gerade bei größeren Vermögen, denn dort ist die Ersparnis am größten.“ Auch für Jakob Kapeller ist „klar, dass eine gewisse Menge des Vermögens verschwindet, ungefähr 25 Prozent“.
Schreckgespenst Abwanderung
Ein Grund deshalb gleich die Flinte ins Korn zu werfen, sei das aber nicht. Die Gefahr, dass Reiche ihr Vermögen und ihre Unternehmen ins Ausland schaffen, sei vor allem „ein strategisches Argument, um abzuschrecken und die Diskussion zu unterbinden“, sagt Kapeller. „Kein Unternehmer in Oberösterreich denkt sich: Jetzt bau ich meine Fabrikhalle ab und fahr nach Ungarn, weil ich ein halbes Prozent Steuern spare.“.
IHS-Chef Kocher fürchtet hingegen, dass auch Betriebsvermögen abwandern könnten. „Obwohl ich die Kritik verstehen kann, dass Reiche zu wenig zahlen, sehe ich eine Sondersteuer für Reiche skeptisch“. Um die zunehmende Vermögenskluft zwischen Mittelschicht und Superreichen zu bearbeiten, will er woanders ansetzen: bei der Grundsteuer. „Wenn Vermögen besteuert werden soll, dann bietet sich Grund und Boden dafür an“, so Kocher. Denn: „Das ist alles schon fertig. Wir müssen nur die Sätze erhöhen und hätten so höhere Steuern auf Vermögen“. Mit den Einnahmen könne man dann „die Steuern auf Arbeit verringern“. Davon profitiere vor allem „die Mittelschicht, die nicht allzu viel Vermögen hat“, so Kocher.
„Die zunehmende Ungleichheit wurde auch durch die immer geringeren Steuern auf Vermögen gefördert“, stellt Wifo-Forscherin Schratzenstaller fest. Tatsächlich sank der Anteil der Vermögenssteuern am gesamten Steueraufkommen in Österreich seit Mitte der 60er Jahre immer weiter: Von 4 Prozent auf inzwischen nur noch 1,3 Prozent.
Um das zu ändern, würde Schratzenstaller vor allem bei der Erbschaftssteuer ansetzen. Anders als die Vermögenssteuer müsste diese nicht jährlich erhoben werden, sondern nur einmal. Und: „Bei relativ großen Freibeträgen sind ganz viele Erbschaften nicht erfasst. Das ist dann oft das Eigenheim und das sollte steuerfrei sein“, so Schratzenstaller. „Auf der anderen Seite hat man aber noch immer hohe Einnahmen aus der Erbschaftssteuer, weil das Vermögen so stark konzentriert ist.“
Fragt man die ÖsterreicherInnen, so ist dennoch regelmäßig ein großer Teil von ihnen dagegen, vererbtes Vermögen zu besteuern. „Es ist eine schwierige Debatte“, sagt Schratzensteller. Viele würden ihr Vermögen falsch einordnen und erwarten, später doch einmal ein substanzielles Erbe versteuern zu müssen, oft eine Fehleinschätzung. In einer Studie schrieb der Ökonom Stefan Humer, dass bereits bei einem Freibetrag von einer Million Euro 98 Prozent der Erbschaften in Österreich steuerfrei wären. „Wenn man die Leute darüber informiert, wie ungleich Vermögen und Erbschaften tatsächlich verteilt sind“, so Schratzenstaller, „dann wäre die Zustimmung zu Vermögenssteuern auch größer.“
Für diesen Text haben wir mit ExpertInnen zum Thema gesprochen: Vielen Dank an Margit Schratzenstaller vom österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung, Martin Kocher vom Institut für Höhere Studien Wien und Jakob Kapeller vom Forschungsinstitut für die Gesamtanalyse der Wirtschaft an der Johannes Kepler Universität in Linz.