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Ungleichheit

Coronakrise und Gewalt in der Familie: Experte befürchtet dramatischen Anstieg

Coronakrise und Gewalt in der Familie: Experte befürchtet dramatischen Anstieg

Fälle von häuslicher Gewalt nehmen in der Corona-Krise zu. Experten befürchten einen dramatischen Anstieg. Nun gibt es eine neue Hotline für gewalttätige und gewaltbereite Männer.

Ausgangssperren, Homeoffice, Heimunterricht, dazu existenzielle und gesundheitliche Ängste – die Corona-Krise stellt viele Familien vor enorme psychische Mehrfachbelastungen. Fälle von häuslicher Gewalt nehmen leider zu. Nun gibt es eine neue Hotline für gewalttätige und gewaltbereite Männer. Ins Leben gerufen hat sie Alexander Haydn, Psychotherapeut und Leiter der Gewaltarbeit bei der Männerberatung Wien. Im Interview erklärt er, warum Täterarbeit auch Opferschutz bedeutet und wie es ein Entrinnen aus der Aggressionsspirale gibt.

MOMENT: Sie haben eine neue Plattform und Hotline eingerichtet, um Männer in Gewaltsituationen besser beraten zu können. Verzeichnen Sie bereits einen enormen Anstieg von psychischen und physischen Konflikten innerhalb von Familien?

Alexander Haydn: Die Zahl der Männer mit Gewaltproblematik, die mit österreichischen Männerberatungsstellen Kontakt aufnehmen, hat sich noch nicht dramatisch erhöht. Bei den Frauenhotlines sieht es anders aus, hier gab es einen enormen Anstieg. Auch gibt es noch nicht viel mehr Wegweisungen, oder Betretungsverbote. Aber das wird nicht so bleiben. 

 

MOMENT: Weil Frauen mit ihren Gewalttätern zu Hause sitzen und keine Chance haben Hilfe zu rufen oder ihre Sachen zu packen und zu verschwinden?

Das wird ein Grund sein. Ich glaube sehr wohl, dass viele Frauen derzeit versuchen, deeskalierend zu wirken. Sie gehen Konflikten aus dem Weg, im Sinne des Überlebens. Ich denke, dass es erst nach der Krise einen enormen Anstieg geben wird. 

Für viele Männer ist die aktuelle Situation aber auch entgegen allen Erwartungen oft entspannend, viele genießen sehr wohl die Zeit mit der Familie. Ein weiterer Grund könnte sein, dass viele Männer bislang nicht wussten, wohin sie sich wenden können. Und dafür gibt es jetzt unsere Hotline.

 

MOMENT: Richtet sich die Hotline an Männer, die schon lange gewalttätig sind, oder geht es Ihnen eher um Präventionsarbeit?

Beides. Wir sind aber auch selbst sehr gespannt, denn auch wir machen so etwas zum ersten Mal. Wir haben dieses Projekt in kürzester Zeit auf die Beine gestellt, wir wissen selbst noch nicht, was da auf uns zukommt.

 

MOMENT: Aber viele Gewalttäter wollen ja nicht einsehen, dass sie welche sind. Was bringt da so eine Hotline?

Natürlich wissen sie es. In der Außenkommunikation sind aber immer die anderen Schuld, etwa weil sie von ihrer Frau provoziert wurden, oder weil sie Stress am Arbeitsplatz haben und überhaupt versteht sie niemand. Das ist aber genau der Punkt, an dem wir Männer abholen. Wir konfrontieren sie konkret mit ihren Gewalttaten und lassen ihnen keine Ausflüchte. Wir wollen genau wissen, was sie meinen, wenn sie von einer “kleinen Auseinandersetzung” sprechen. Da müssen sie dann auspacken und genau erzählen, dass sie ihre Frau etwa am Oberarm gepackt oder gegen die Wand gedrückt haben.

Wir vermitteln ihnen aber auch ganz klar: Wir verurteilen die Taten und nicht die Täter. Wir arbeiten eng mit Opferschutzeinrichtung zusammen und verstehen unsere Arbeit als Teil der Interventionskette. Denn Prävention ist ja auch Opferschutz. Und wir bieten Männern einen Ort, an dem sie ihren Ärger, ihre Wut oder Ohnmacht ventilieren können. Dort wird alles analysiert und in die richtige Richtung gelenkt. Wir bieten einen Weg aus dieser Gewaltspirale.

 

MOMENT: Können aufgrund dieser speziellen Krisensituation auch Männer, die bislang noch nie gewalttätig waren, leicht die Nerven verlieren und zuschlagen?

Denkbar ist alles. Menschliches Verhalten ist schwer vorauszusehen. Aber ich denke nicht, dass Männer, die vor Corona nicht gewalttätig waren, es nun plötzlich werden. Wir dürfen eines nicht vergessen: Der überwiegende Teil der Männer ist nicht gewalttätig. Wenn es zu Gewalt kommt, dann sind es aber zu einem überwiegenden Teil Männer. 

Jene, die vor dieser Krise bereits ein Problem mit ihrer Impulskontrolle hatten, die haben natürlich ein erhöhtes Risiko, dass diese Situationen vermehrt auftreten und eskalieren. Ihr Verhalten ist meisten längst allen im Umfeld bekannt. Sie explodieren leicht. Im Volksmund nennt man solche Menschen oft ein Häferl, dass schnell übergeht.

 

MOMENT: Wie kann jemand bemerken, dass er oder sie gleich die Kontrolle verliert?

Es ist wie ein Kochtopf, der anfängt zu sieden. Die körperlichen Merkmale sind Muskelanspannung, auch im Kiefer, oft krampft sich der Magen zusammen. Emotional stellt sich natürlich Nervosität oder Unruhe ein, es kann auch ein Ohnmachts- oder Verlustgefühl sein. Und oft gibt es eine Gedankenschleife: Wenn die Frau jetzt das noch macht oder sagt, dann passiert etwas!

 

MOMENT: Gibt es aus einer solchen Situation denn noch ein Entkommen?

Das einzige, das da hilft, ist ein Timeout. Sich der Situation entziehen. Raus gehen, frische Luft schnappen und warten, bis das rationale Denken wieder funktioniert. Oft hat sich danach das ursprüngliche Problem ohnehin erledigt, oder erscheint nachträglich gar nicht mehr so schlimm.

 

MOMENT: Wie soll ich mich verhalten, wenn ich gewalttätige Konflikte in der Nachbarschaft bemerke?

Die Polizei rufen. Es gibt zwar auch andere Ansätze, etwa anklopfen und nach Lebensmitteln fragen, aber ich persönlich würde mich nicht selbst einmischen. Die Polizei ist genau für solche Fälle da, das Personal ist geschult, sie können auch unmittelbar ein Betretungsverbot oder eine Wegweisung aussprechen und die Konfliktparteien trennen. 

 

MOMENT: Anfang 2019 kam es in Österreich zu einer regelrechten Mordserie an Frauen, die durch die Hand ihres Partners oder Ex-Freundes starben. Damals gab es einen großen Aufschrei, die Regierung hat Expertengruppen zusammengestellt und Maßnahmen angekündigt. Es wurde auch mehr Geld für Opferschutz und Täterarbeit versprochen. Waren das damals nur leere Floskeln, oder ist wirklich etwas passiert?

Ja, es gab Fortschritte im Gewaltschutzgesetz. Erstmals europaweit wurde die Täterarbeit gesetzlich verankert. Männer, die von zu Hause weggewiesen werden müssen, oder über die ein Betretungsverbot verhängt wird, müssen sich verpflichtend beraten lassen. Das Gesetz tritt ab 1. Jänner 2021 in Kraft. Die Zugeständnisse sind da, wenn auch noch nicht das Geld. Wir sind nach wie vor prekär finanziert, aber trotzdem zuversichtlich, dass alles in die richtige Richtung läuft.

 

Die Männerberatung bei Gewalt in der Familie ist unter 0720/70 44 00 von Montag bis Freitag von 10 bis 18 Uhr zum Ortstarif erreichbar. Mails können an beratung@maennerinfoat gesendet werden. Alle Infos unter maennerinfo.at

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