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Arbeitswelt

"Degressives Arbeitslosengeld": Warum nur am Anfang die Richtung stimmt

Wenn nach langer Arbeitslosigkeit das Geld gekürzt wird, dann leiden am Ende wieder die Schwächsten der Gesellschaft darunter. Warum wir beim degressiven Arbeitslosengeld genau hinschauen müssen.

Der grüne Vizekanzler Werner Kogler möchte das Arbeitslosengeld neu gestalten. In einem Kurier-Interview dachte er laut über ein “degressives” Modell nach. Das ist prinzipiell die Idee, die Höhe der Unterstützungsleistung mit Dauer der Arbeitslosigkeit abzusenken. Das Schlagwort fand sich auch schon im türkis-blauen Regierungsprogramm, wurde aber nie umgesetzt.

Details blieb der Vizekanzler großteils schuldig. Er schlug vor, das Arbeitslosengeld zu Beginn von derzeit 55 Prozent des letzten Gehalts auf den OECD-Durchschnitt von 65 Prozent zu erhöhen – oder pauschal 150 Euro mehr im Monat auszuzahlen.

Arbeitslosengeld ist in Österreich anfangs sehr niedrig

Wenn die Grünen meinen, dass das Arbeitslosengeld am Anfang höher ausfallen soll und der Rest gleich bleibt, wäre das ein sozialpolitischer Fortschritt. In Österreich ist die Leistung bei kurzer Arbeitslosigkeit im Vergleich mit ähnlichen Ländern niedrig. Eine ausführliche Analyse des Momentum Instituts hat das gezeigt.

Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie, in der rund 900.000 Menschen entweder arbeitslos oder in Kurzarbeit sind, ist eine Erhöhung auf 80 Prozent des Letztgehalts sinnvoll. Mehr Einkommen für Arbeitslose durch eine höhere Nettoersatzrate würde auch den Konsum und damit die Konjunktur stimulieren.

 
Nettoersatzraten im internationalen Vergleich. Österreich liegt mit einer Ersatzrate von 55% des früheren Einkommens weit unter dem EU-27 Schnitt von 65%. Nur Griechenland, Polen, Irland, Großbritannien, Rumänien und Malt liegen hinter Österreich.

Arbeitslose kürzen? Schlecht für Wirtschaft und Gesundheit

Gefährlich ist die Idee allerdings dann, wenn das Geld zwar anfangs steigt, den Langzeitarbeitslosen aber gekürzt wird. Behinderte Menschen, Kranke, schlecht Qualifizierte, Frauen in Teilzeitjobs sowie BerufsanfängerInnen und vor allem Ältere trifft längere Arbeitslosigkeit am häufigsten. Die Schwächsten wären die Hauptverlierer einer solchen „Reform“. Ihre verminderte Kaufkraft würde wiederum der Wirtschaft schaden. Auch die eigene Gesundheit leidet, wie eine Studie des Linzer Ökonomen Alexander Ahammer zeigt: Langzeitarbeitslose neigen bei einem niedrigeren Arbeitslosengeld öfter zu Herzinfarkten und Medikamentenmissbrauch.

Dass die Grünen das meinen, wenn sie sich ein degressives Modell vorstellen, muss man nicht annehmen. Zu befürchten und zu hören ist aber, dass die ÖVP als größere Regierungspartnerin genau in diese Richtung arbeitet. Sie schreckt nicht davor zurück, bei den Schwächsten zu sparen.

Wenn Werner Kogler also öffentlich Vorschläge zur Neugestaltung des Arbeitslosengeldes macht, sollte er nicht offen lassen, ob arbeitslose Menschen am Ende des Tages weniger Geld in der Tasche haben werden, um Essen zu kaufen und die Miete zu bezahlen. Dann daran wäre nichts gerecht.

 

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