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Der Berliner Mietendeckel ist weg: Bahn frei für Mietwucher?

Das deutsche Bundesverfassungsgericht erklärt den in Berlin geltenden Mietendeckel für nichtig. Jetzt können VermieterInnen nicht nur mehr verlangen, sondern rückwirkend Geld einfordern. Die in Berlin regierenden Parteien von rot-rot-grün verlangen eine deutschlandweite Lösung. CDU und CSU lehnen ab und freuen sich über das Urteil. Das Thema hat das Zeug zum Schlager bei der Bundestagswahl im Herbst.

Die Berliner Volksseele kocht: Nur Stunden nachdem das Bundesverfassungsgericht am Donnerstag den in der deutschen Hauptstadt geltenden Mietendeckel als verfassungswidrig einkassiert hat, gehen bis zu 20.000 Menschen auf die Straße. Sie machen ihren Ärger darüber Luft, dass ein landesweit einzigartiges Instrument gekippt wurde: Der Mietendeckel sollte die in den vergangenen Jahren immer weiter steigenden Mieten in Berlin einfangen.

Unter dem Motto, „wenn Sie uns einen Deckel nehmen, kommen wir mit Tausenden Deckeln wieder!“ schlugen sie auf Kochtopfdeckel und forderten Handeln gegen den „Mietenwahnsinn“. Am Freitag geht der Protest weiter.

Gericht: Mietendeckel mit Grundgesetz „unvereinbar und nichtig“

Zuvor hatten die VerfassungsrichterInnen einstimmig entschieden: Der Mietendeckel gilt nicht, er muss abgeschafft werden. Er sei mit dem Grundgesetz „unvereinbar und nichtig“, heißt es im Urteil. Dabei haben die JuristInnen gar nicht inhaltlich entschieden: Ob der Mietendeckel an sich eine zulässige oder unzulässige gesetzliche Regelung ist, stand nicht zur Debatte.

Es ging einzig um die Frage, ob das Bundesland Berlin überhaupt ein solches Instrument einführen hätte dürfen. Denn auf Bundesebene gibt es mit der Mietpreisbremse bereits ein ähnliches Gesetz. Es ist allerdings viel weniger scharf und wird kritisiert, weil es allzu zahnlos ist.

Doch es gilt: Bundesrecht sticht Landesrecht. Die RichterInnen sahen es als erwiesen an, dass mit der Mietpreisbremse bereits ein Instrument eingeführt worden sei, das auf dem gleichen Spielfeld angesiedelt ist wie der Berliner Mietendeckel: dem Mietrecht. Es gelte, so die RichterInnen: Hat der Bund dort bereits eine Regelung getroffen, kann das Land nicht eine anderslautende einführen. Der Mietendeckel ist damit abgeschmettert.

Schwarzer Tag für Berliner Mieterinnen und Mieter.
Sören Bartol, SPD Bundestagsfraktion

„Wer soll Mieter künftig vor Wucher schützen?“, fragt der Spiegel. „Der Luxus des Wohnens“, titelt die Berliner taz. „Antikapitalistische Blütenträume des Berliner Senats gestoppt“, schlagzeilt hingegen die Welt. Auch die Politik reagierte scharf: Einen „schwarzen Tag für die Berliner Mieterinnen und Mieter“, sieht der stellvertretende SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzende Sören Bartol. Seine Partei forderte umgehend, dass auf Bundesebene Gesetze kommen, die Mietwucher wirksam verhindern.

Die Grünen sehen ebenfalls den Bund in der Pflicht, „jetzt zügig die Mietpreisbremse zu verbessern und die Mieterhöhungsmöglichkeiten bei bestehenden Mietverträgen wirksam zu begrenzen“, sagte Chris Kühn, grüner Sprecher für Bau- und Wohnungspolitik im Bundestag. „Erleichtert“ ist hingegen CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Mit dem Mietendeckel sei der Eindruck entstanden, „dass der Staat immer mehr und immer stärker in die privatwirtschaftliche Gestaltungsfreiheit eingreift“.

Mietendeckel wird wohl Wahlkampfschlager

„Mit CDU und CSU sind immer Miethaie auf der Gewinnerseite, aber nicht die Mieterinnen und Mieter“, kommentierte der Linken-Abgeordnete Gregor Gysi. Das Urteil sei ein Rückschlag. Das Thema wird wohl bei der Bundestagswahl im September eine große Rolle spielen. Ohne eine rot-rot-grüne Mehrheit wird es wohl keinen bundesweiten Mietendeckel geben. Dafür garantieren CDU und CSU sowie FDP und die rechtsextreme AfD.

Volker Ullrich, rechtspolitischer Sprecher der bayerischen CSU, sagte, mit seiner Partei werde es „solche sozialistischen Experimente auf Bundesebene nicht geben“. Der Mietendeckel habe „Investitionen ausgebremst und keine einzige neue Wohnung geschaffen“, sekundierte Bauminister Horst Seehofer. Er habe „für Unsicherheit auf den Wohnungsmärkten gesorgt“.

Jetzt drohen BerlinerInnen Nachzahlungen und höhere Mieten

Die Unsicherheit haben jetzt die MieterInnen: Ihnen werden demnächst gepfefferte Rechnungen ihrer VermieterInnen in die Wohnung flattern. Denn sie müssen die durch den Mietendeckel „eingesparten“ Mietzahlungen zurückzahlen, die VermieterInnen ohne den Deckel verlangen hätten können.

Betroffen davon bin nun auch ich, der Autor dieses Artikels: Deshalb kann ich beispielhaft erzählen, was das Urteil bedeutet. Bevor der Mietendeckel eingeführt wurde, landete ein neuer erhöhter Mietbescheid im Postkasten meiner Berliner Wohnung. Kurz nachdem er das gesamte Gebäude gekauft hatte, forderte der Vermieter, ein großer Immobilieninvestor unter Kontrolle der Gebrüder Samwer, ihm 15 Prozent mehr Geld zu überweisen.

Die seit 2014 deutschlandweit geltende Mietpreisbremse verbot es lediglich, sie bei Neuvermietungen auf mehr als 110 Prozent der ortsüblichen Miete hinaus zu erhöhen. Bei generell steigenden Mieten erhöht sich diese ortsübliche Miete aber auch, womit die Mieten weiter steigen. Und: Die Mietpreisbremse gilt nicht für Neubauten oder sanierte Gebäude.

Ohne Mietendeckel: Alle drei Jahre 15 Prozent mehr

Der Mietendeckel stoppte die Spirale nach oben: Er fror ab Februar 2020 die Mieten rückwirkend auf dem Stand von Mitte 2019 ein. Betroffen davon waren 1,5 Millionen Wohnungen in Deutschlands Hauptstadt. Viele VermieterInnen mussten die Miete zähneknirschend senken.

In meinem konkreten Fall hieß das: Die Miete war um 13 Prozent höher als es der Mietendeckel zuließ. Jetzt droht mir, diese 13 Prozent für jedes seitdem vergangene Monat nachzahlen zu müssen, also für beinahe zwei Jahre. Da kommt ein ganz schöner Batzen zusammen.

Viele HauseigentümerInnen wissen genau, wie hoch diese „Schattenmieten“ sind. Also die Mieten, die ohne den Deckel möglich sind. Denn sie wussten: Kippt das Verfassungsgericht ihn, werden diese fällig – und zwar „unverzüglich“, wie Reiner Wild, Chef des Berliner Mietervereins warnt. Ein Problem, vor dem jetzt Zehntausende Berliner stehen.

Viele Mieterinnen und Mieter müssen darum bangen, dass sie aus ihrer Nachbarschaft verdrängt werden.
Susanne Hennig-Wellsow, Linkspartei-Vorsitzende

Besonders betroffen davon sind jene, deren Einkommen so niedrig sind, dass sie die Miete gerade so zahlen können. Wer keine Rücklagen hat, steht vor einem Riesenproblem. Eine Wohnung ist bei solch hohen Mietschulden schnell gekündigt. Im überhitzten Berliner Wohnungsmarkt eine andere Bleibe zu finden, ist für wenig verdienende Menschen schwer bis unmöglich – zumal in zentrumsnahen Vierteln.

Dort würde die Gentrifizierung weitergehen, also die Verdrängung von Menschen, die nicht überdurchschnittlich verdienen. „Viele Mieterinnen und Mieter müssen jetzt wieder darum bangen, dass sie aus ihrer Nachbarschaft verdrängt werden und dass sie ihre Mieten nicht zahlen können“, sagte die Linkspartei-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow.

So schnell wie die Mieten können Löhne gar nicht steigen

Denn auch wer sich jetzt seine Wohnung noch leisten kann, bekommt schnell Probleme, wenn die Miete alle drei Jahre um 15 Prozent steigt. Zum Vergleich: In Deutschland stiegen die Reallöhne in den drei Jahren vor Ausbruch der Corona-Pandemie jeweils lediglich zwischen 1,0 bis 1,3 Prozent. Im Krisenjahr 2020 sanken sie laut Statistischem Bundesamt um 1,1 Prozent. So schnell wie die Mietkosten in den deutschen Ballungszentren steigen, können die allerwenigsten Menschen in Deutschland ihre Einkünfte erhöhen.

Zum Artikelbild: Foto von Florian Reischauer. Mehr Bilder aus Berlin und Geschichten von Berlinerinnen und Berlinern auf seinem Blog piecesofberlin.

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