print print
favorites-circle favorites-circle
favorites-circle-full favorites-circle-full
Ungleichheit

Die Lieder der Burschenschaften

NatsAnalyse Cover zeigt ein gezeichnetes Porträt von Natascha Strobl mit zwei Sprechblasen. In dieser Ausgabe geht es um "Dogwhistling".
In der NatsAnalyse kommentiert Natascha Strobl das politische Geschehen.
Jetzt ist schon wieder etwas passiert. Liederbücher sind aufgetaucht. Liederbücher von schlagenden Verbindungen, in denen hohe FPÖ-Funktionäre Mitglieder sind.

Diese distanzieren sich von den Liedern, aber nicht von den Verbindungen, die diese Lieder publizieren und wohl auch singen (warum wären sie sonst in einem Liederbuch?). Die Abwehrstrategie der FPÖ in fünf Schritten ist immer dieselbe, wenn etwas in dieser Art auftaucht.

„Alles nur Spaß!“

Man dürfe so etwas nicht so genau nehmen, denn eigentlich ist das ein satirischer Text. Wie wir wissen, sind Burschenschaften der Hort der satirischen Bearbeitung des Nationalsozialismus. Was sonst sollten sie auch bierdunstig in rein männlicher Runde in ihren Kellern machen? Wahrscheinlich gefolgt von einer Improvisations-Tanz-Vorstellung, die sich kritisch mit Männlichkeit beschäftigt.

Alles ist immer nur Spaß und ein Witz, nur haben wir das nicht verstanden. Man darf das nicht 1:1 nehmen und aus dem Kontext reißen. Wo genau der Witz bei Textzeilen wie dem Nazigruß oder derben Sprüchen über sexuelle Handlungen mit nicht-arischen Frauen ist (die ich beide an dieser Stelle nicht wiederholen möchte), wird nie erklärt. Satire lebt von der Doppelbödigkeit und ihrer verkleideten Kritik an den Mächtigen. Derbe Sprüche, die sich gegen unten wenden, können also nicht Satire sein, sondern sind einfach grausam misogyn, rassistisch, antisemitisch und ähnliches.

„Die Anderen haben auch…“

Wenn man wo nicht rauskommt, dann kann man immer versuchen, den Gegner mit in den Abgrund zu ziehen. So zeigte die FPÖ sehr schnell mit den Fingern auf Andere und versuchte, ein Äquivalent auf linker Seite aufzubauen. Die Sozialistische Jugend vertreibe ja auch CDs mit Liedern und auf dieser sei der heimliche Aufmarsch in der Version von Ernst Busch (vertont von Hanns Eisler, geschrieben von Erich Weinert) zu hören. Dass man sich Mitte der 1930er auch musikalisch gegen Krieg und vor allem gegen einen faschistischen Überfall auf die Sowjetunion wehrte, ist aber kein Verbrechen. Stattdessen gibt es bei den besagten Burschenschaftsliedern keinen historischen Kontext, sondern der „Witz“ liegt in der Derbheit, der Abwertung und Verhöhnung verschiedener Menschengruppen. 

„Es wird ja gar nicht gesungen, es ist quasi totes Liedgut“

Es hat also rein musealen Charakter, dass diese Lieder da drinnen sind. Gesungen würden sie nicht. Überhaupt würde ja niemand den Text kennen. Deswegen gibt es ja Liederbücher, möchte man meinen. In den schlagenden Verbindungen würden sowieso nur immer die drei gleichen Lieder („Gaudeamus Igitur“, „Die Gedanken sind frei“, „Die alte Burschenherrlichkeit“) gesungen. Warum dann überhaupt Lieder abdrucken und für sich in einem Liederbuch beanspruchen? Dass schlagende Verbindungen besonders singfaul wären, ist auch eine Verteidigungslinie, die nicht unbedingt dem bis dahin verbreiteten Selbstbild der Verbindungen entspricht.

„Alles wird aufgeblasen“

Das sei nur ein lässliches Detail. Eine Kleinigkeit zur großen Sache aufgeblasen. Doch es geht ja nicht nur um die Lieder. Sie sind bloß Sinnbild für die vielen Kritikpunkte an schlagenden Verbindungen. Viel mehr ist es ein weiterer Beleg für den inhärenten Antisemitismus, Rassismus und die Frauenverachtung in schlagenden Verbindungen, die strukturell vorhanden und gewollt sind. Die Liederbücher sind nur ein Ausfluss einer grundsätzlichen Haltung.

„Haben wir keine größeren Sorgen?“

Wenn man ganz in die Ecke gedrängt ist, hilft immer noch der Verweis darauf, dass es eigentlich viel Wichtigeres gäbe. Damit macht man die KritikerInnen lächerlich und attestiert ihnen „Hysterie“, während gleichzeitig viel gröbere Missstände völlig unbeachtet existieren. Es gibt aber fast immer ein noch gröberes Problem und man kann sich auch mit vielen Dingen gleichzeitig beschäftigen. 

Es ist wenig überraschend, aber trotzdem schockierend. In den Kellern der Burschenschaften sitzen bierdunstige Männerrunden zusammen, die sich für nichts weniger als die Elite halten. Sie finden es unglaublich witzig, über Nazigrüße zu singen und ihrer Frauenverachtung, ihrem Rassismus und ihrem Antisemitismus freien Lauf zu lassen. Das Tragische ist: Diese Menschen waren und sind in den höchsten Ämtern dieses Landes. 

 

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Kommentare 0 Kommentare
    Kommentar hinzufügen

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Beitrag!