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Gesundheit

"Die sollen sich halt isolieren"

"Die sollen sich halt isolieren"
Grafik NatsAnalyse

Immer wieder taucht jetzt die Idee auf, dass sich die Mitglieder der Risikogruppen ja isolieren könnten, um allen Anderen ein normales Leben zu ermöglichen.

 

Immer wieder taucht jetzt die Idee auf, dass sich die Mitglieder der Risikogruppen ja isolieren könnten, um allen Anderen ein normales Leben zu ermöglichen. Das kommt nicht nur von ein paar rechten Trollen, sondern aus der vermeintlichen Mitte der Gesellschaft. Auch die liberalen MeinungsmacherInnen übernehmen diesen Diskurs bereitwillig, etwa „Die Zeit„.

Denken wir uns das kurz durch. „Die sollen sich isolieren“. Was impliziert dieser Satz?

#1 Hass auf die Risikogruppe

Die Ausgangslage ist zunehmender Unmut über bis hin zum Hass auf die Risikogruppen. „Wegen denen geht jetzt alles kaputt“. „Wegen denen müssen jetzt auch die gesunden Kinder daheim sitzen“. Die Konfusion und der Frust mit der Situation und dem Virus überträgt sich zunehmend auf die verwundbarsten Gruppen. Der Tenor, auch von Leuten, die sich als links bezeichnen: Die können sich ja weiter schützen, aber die Anderen sollen jetzt Bitteschön wieder in eine Normalität zurückkehren dürfen. Die Belastungen und Verwerfungen der Virusbekämpfung werden komplett den zu schützenden Gruppen umgehängt.

Das ist doppelt falsch. Zum Einen treffen all die negativen Auswirkungen ja auch die ominöse Risikogruppe. Es gibt ja niemanden, der einfach nur „Risikogruppe“ ist und sonst nichts. Diese Menschen sind ja zum Beispiel auch Eltern und Kinder, oder einsame und nun arbeitslose Menschen. Zum Anderen bleibt unklar, wer diese „Risikogruppen“ eigentlich sind. Es gibt sehr viele Vorerkrankungen, sodass ein wirklich großer Prozentsatz der Bevölkerung betroffen ist. (Bluthochdruck, Diabetes, Asthma, Personen ab 65, Herzerkrankungen, Lungenkrankheiten, Übergewicht, Krebserkrankung, HIV-positiv, RaucherInnen, usw.)

#2 Das Ende der demokratischen Gesellschaft

Wenn man die Forderung zu Ende denkt, ist sie das Ende der demokratischen Gesellschaft. De Umsetzung der Forderung ist einerseits praktisch nicht möglich, da ja all diese Personen Angehörige haben oder mit anderen Personen im selben Haushalt leben. Die müsste man dann ebenso isolieren. Dann wären wir schnell bei über 50% der Gesellschaft.

Es ist aber auch gar nicht wünschenswert, da es ein unumkehrbarer gesellschaftlicher Spaltungsprozess wäre. Zwei große gesellschaftliche Gruppen, die fast keine physischen Berührungspunkte mehr haben. Von denen die Einen (die Gesunden und Jungen) Normalität spielen und sich frei bewegen können und die Anderen (die Kranken und Alten) isoliert und ohne Teilhabe sind. Das ist keine solidarische Gesellschaft mehr, sondern eine Dystopie irgendwo zwischen „Die Zeitmaschine“ von H.G. Wells, „Flucht ins 23. Jahrhundert „, („Logan’s Run“) und „Gattaca“. 

Solidarität statt Spaltung

Viel wichtiger als solche zynisch und empathielos vorgetragenen, autoritären Wünsche, wäre es zu fragen: Wie können wir eine Gesellschaft solidarisch gestalten unter den Bedingungen einer Pandemie. Es gibt hier keine einfachen oder restlos befriedigenden Antworten. Denn es gibt Familien, da ist der Vater herzkrank und die Tochter leidet darunter, nicht in die Schule zu können. Diesen Situationen muss man sich stellen, statt alle sich selbst zu überlassen.

Keinen gesellschaftlichen Rahmen zu bieten, das bevorzugt jene, die Zugang zu Wissen haben und sich auch in komplexen medizinischen Studien von „Lancet“ und „Science“ zurechtfinden. Jene, die ausreichend finanzielle Mittel haben und jene, die ein privates Netzwerk haben, das sie trägt. Gesellschaft ist aber auch und gerade für jene da, die das alles nicht haben. In ihrem Sinne braucht es jetzt eine Diskussion mit Fragen wie: Welche Rechte haben ArbeitnehmerInnen der Risikogruppe in ihren Betrieben? Wie sind Schulen auf z.B. lungenkranke Kinder vorbereitet? Was können Kindergärten tun, um z.B. herzkranken Kindern den Besuch zu ermöglichen? Wie stellen wir umfassende medizinische Betreuung von älteren Personen sicher, die nicht in Wartezimmern und Ambulanzen stundenlang warten möchten? Was tun wir gegen Vereinsamung? Was tun wir gegen Angst?

Das ist nicht einfach und es gibt nicht immer eine exakte Antwort. Das ist aber der Preis dafür, dass wir nicht einfach einen Teil der Gesellschaft, den wir als „Risikogruppen“ verorten, zurücklassen. Und dafür, dass wir so nebenbei die demokratische Gesellschaft aufrechterhalten.

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