Eine Assistentin für schwerbehinderte Menschen erzählt: “Stunden werden eingespart”
Wir haben zum Beispiel ein Bällebad. Das ist sehr toll, weil auch jene, die sich nur wenig bewegen können, sehen, dass ihre Bewegungen eine Wirkung haben. Im Sommer sind wir viel draußen, spüren das Wetter, die Sonne und stellen ein Planschbecken auf.
Zu zweit betreuen wir die Sechser-Gruppe. Der Großteil kann sich wenig oder gar nicht bewegen und braucht viel Unterstützung – sowohl beim Essen als auch bei der Inkontinenzversorgung, also beim Wechseln von Erwachsenenwindeln. Fast alle kommunizieren anders als mit gesprochener Sprache – ich kann ihre Körpersprache und ihre Mimik lesen.
Alle sagen: „Das könnte ich nicht“
Wenns dicht wird bei uns, kann es so ausschauen: Ich halte eine Person bei Laune, damit sie sich keinen epileptischen Anfall herbeiholt, eine andere kippt daweil in ihr Muster des Erbrechens hinein und der Dritten soll bitte bei mir bleiben und nicht alle herumstehenden Getränke austrinken. Der Vierte beginnt laut zu brummen und sich zu schlagen, weil er das Geschrei vom Dritten nicht hören kann. Die Fünfte schmeißt die Sesseln um und der Sechste dreht den Wasserhahn auf und überflutet unseren Gruppenraum. Da haben zwei Betreuungspersonen ausreichend zu tun.
Fast immer, wenn ich von meiner Arbeit erzähle, höre ich als Reaktion: “Das könnte ich nicht.” Ich wiederum kann mir andere Jobs nicht vorstellen, Zahnärztin oder Kellnerin. Wir sind gut ausgestattet, ich arbeite sehr gern mit meinen KlientInnen und im Team halten wir zusammen.
Vom Teilzeitgehalt leben ist schwierig
Was mich allerdings belastet, sind die Arbeitsbedingungen, die sich in den letzten Jahren verschlechtert haben. Wir haben zu wenig Personal. KollegInnen kommen deswegen mitunter krank oder kränklich in den Dienst, nur um die anderen nicht “hängen” zu lassen. Die administrative Arbeit wird mehr, zugleich haben wir weniger Zeit dafür. Als ich begonnen habe, war es ganz üblich, vor und nach dem Dienst Zeit für die Dokumentation des Tages und die Planung unserer Tätigkeiten zu haben. Mittlerweile muss ich das alles nebenbei machen, also während ich unsere KlientInnen betreue.
Das bedeutet auch, dass die immobilen Personen längere Zeit in ihren Rollstühlen verbringen müssen. Da steigert sich das Unwohlsein. Manche beginnen sehr laut zu werden, andere werden ganz leise.
Aktuell arbeite ich 30 Stunden, weil ich zwei kleine Kinder habe, mein Mann genauso. So können wir uns die Betreuungsarbeit gut aufteilen. Langfristig möchte ich aber aufstocken, weil es schwierig ist, vom Teilzeitgehalt zu leben. Mein Arbeitgeber meint aber, die Arbeit ist zu belastend, um sie Vollzeit zu machen.
Das muss aber nicht sein. Die zusätzliche Zeit brauche ich ja eigentlich für die administrativen Tätigkeiten, für Teambesprechungen und Planung.
Nicht in der gesellschaftlichen Mitte angekommen
Ich denke, dass hier auch finanzielle Hintergedanken eine Rolle spielen. Nötige Stunden, die Qualität sicherstellen, werden einfach eingespart. Ich hoffe, dass die Arbeitszeitverkürzung kommt und damit die Arbeit, auch die administrative, besser zwischen uns aufgeteilt werden muss. Die wenigen Vollzeitangestellten wären dann ja weniger da.
Mich betrifft der Kampf um die 35-Stunden-Woche genauso wie AltenpflegerInnen und KinderbetreuerInnen. Der Behindertenbereich wird aber gern übersehen. Ich glaube, das liegt daran, dass sich viele unter unserer Arbeit nichts vorstellen können. Der Umgang mit schwerstbehinderten Menschen ist in unserer gesellschaftlichen Mitte noch nicht angekommen.
Letztlich mache ich meine Arbeit sehr gerne. Ich verlasse jeden Tag die Arbeit mit dem Gefühl, etwas Sinnvolles gemacht zu haben. Auch wenn mir etwas misslingt, wenn ich es manchmal nicht schaffe, die Bedürfnisse meiner KlientInnen zu verstehen, ist immer etwas gut gelaufen und hat Sinn gemacht. Wir versuchen, die gemeinsame Zeit gut miteinander zu verbringen, und das gelingt häufig – auch wenn die Rahmenbedingungen die Arbeit sehr verdichten.
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*Name geändert