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Arbeitswelt
Ungleichheit

Ex-Justizwache erzählt: "Wir fühlen uns vom Ministerium verarscht"

Ein parkendes Polizeiauto.
Über 4.000 Menschen arbeiten in der Justizwache in österreichischen Gefängnissen. Die Arbeitsbedingungen sind schwierig. Foto: Walser123
Mit den Insassen hatte die ehemalige Justizwache Marlene kaum Probleme. Mit dem Justizministerium allerdings schon: Schlechte Arbeitsbedingungen, kein Interesse an Verbesserung, chronische Unterbesetzung und Arbeitszeiten, die das Privatleben killen sind Alltag.
Marlene, die eigentlich anders heißt, hat bis vor kurzem in einem Gefängnis als Beamtin in der Justizwache gearbeitet. Mit MOMENT spricht sie für die Serie „Was ich wirklich denke“ über chronische Unterbesetzung, arbeiten am Limit und darüber, wie das Gefängnis ihr Menschenbild verändert hat.

Ich bin Justizwachebeamtin geworden, weil ich die Sicherheit eines Beamtenjobs wollte. Das Gehalt ist ganz gut. Als Berufseinsteigerin bin ich mit mehr als 2.000 Euro netto ausgestiegen. Schon nach dem ersten Ausbildungstag habe ich aber gewusst: Diese Arbeit will ich nicht bis zur Pension machen.

Am Anfang hatte ich noch große Ideen, was wir alles verbessern könnten. Mit der Zeit habe ich mich damit abgefunden, dass sich nichts ändern wird. Die Menschen im Ministerium leben in einer anderen Welt. Die Kommunikation zwischen Justizwache und Justizministerium ist praktisch kaum vorhanden.

Justizwache: 24-Stunden-Dienste und 70-Stunden-Wochen

Ein großes Problem ist beispielsweise die Sprachbarriere. Der Großteil der InsassInnen spricht nur sehr schlecht Deutsch. Mithäftlinge haben dann übersetzt. Überprüfen konnten wir nicht, ob die Übersetzung stimmt. Das basierte auf gegenseitigem Vertrauen. Im Gefängnis braucht es dringend Fachpersonal, Ärztinnen, Psychiater, die die jeweiligen Sprachen sprechen.

Ich kannte viele InsassInnen, die nicht ins „normale“ Gefängnis gehört haben. Viele hatten schwere psychische oder auch körperliche Erkrankungen. Das war auch für die anderen InsassInnen belastend. Wer mit einem schizophrenen Insassen den Haftraum teilt, hat es nicht einfach. Bis jemand in die Psychiatrie überwiesen wurde, hat es wegen der langen Verfahren ewig gedauert.

Das Arbeitsumfeld ist deprimierend und die Arbeitszeiten töten jedes Privatleben. Die Justizwache muss 24-Stunden-Dienste machen und kommt in manchen Wochen auf 70 Stunden Arbeit. Auch wenn ich eigentlich einen freien Tag hatte, kam immer mal wieder ein Anruf. Dann musste ich in die Arbeit. Fixe Pläne mit Freunden oder Familie waren unmöglich. In Teilzeit gehen, um nebenbei eine Weiterbildung zu machen oder persönlichen Interessen nachzugehen, ist nicht möglich. Die Arbeitsbedingungen sind unflexibel und altbacken.

„Justizwache fühlt sich verarscht“

Die Justizwache fühlt sich vom Ministerium verarscht. Zahlreichen Probleme, die wir angesprochen haben, wurden nicht gelöst. Stattdessen kamen tagtäglich neue Erlasse und Weisungen, Aufgaben, die wir zusätzlich übernehmen und sofort umsetzen sollten. Aber unter welchen Bedingungen? Die großen Gefängnisse waren chronisch unterbesetzt – sie sind es immer noch. Das ist kein Wunder. Zu wenig Personal führt zu schlechten Arbeitsbedingungen, die wieder neue Leute abschrecken. Ein Teufelskreis. Teilweise waren drei BeamtInnen für 120 InsassInnen zuständig. Das kann nicht funktionieren.

In der Anstalt war es meistens ruhig. Schwere körperliche Angriffe auf die Justizwache waren selten. Angst hatte ich im Alltag keine. Ich habe mich immer schon mit Menschen umgeben, die am Rande der Gesellschaft sind. Wer Angst vor InsassInnen hat, ist im Gefängnis im falschen Beruf.

„23 Stunden in einem kleinen Raum zu sitzen, ist einfach scheiße“

Eine der Aufgaben der Justizwache ist die Resozialisierung der InsassInnen. Das heißt: Der Insasse soll so unterstützt werden, dass er nicht wieder eine Straftat begeht. In der Realität hat das kaum funktioniert. Die Justizwache ist von einer Aufgabe zur anderen gehetzt, war überlastet mit Bürokratie. Wir hatten nicht einmal genügend Zeit, um auf das Klo zu gehen. Um die InsassInnen tatsächlich zu betreuen, dafür fehlte schlicht und einfach die Zeit. Immer wieder haben InsassInnen gefährliche Dinge wie Stücke von Rasiermessern geschluckt. Ich glaube, damit wollen sie auf sich und ihre Bedürfnisse aufmerksam machen. Obwohl dies keine Lösung ist, verstehe ich es. 23 Stunden in einem kleinen Raum zu sitzen, ist einfach scheiße.

Die allermeisten InsassInnen landen früher oder später wieder im Gefängnis. Ich kann mir vorstellen, dass die Ergebnisse der Haft in kleinen Häusern besser wären. Trotzdem glaube ich, dass wir Verbrechen nicht verhindern können. Das gehört zum Leben einfach dazu.

Ich habe die Arbeit lange gemacht. Es war keine schlimme Zeit für mich. Ich bin aber froh, dass sie vorbei ist. In den letzten Jahren habe ich viel über mich selbst gelernt. Wie reagiere ich in Extremsituationen? Wie setzte ich mich als Frau in einem Beruf durch, der von Männern dominiert wird? Ich habe eine dickere Haut bekommen. Ich habe aber auch gemerkt, dass ich echt aufpassen muss, um nicht alle Menschen einer bestimmen Gruppe über einen Kamm zu scheren. Jeden Tag habe ich nur die Straftäter gesehen – aber draußen leben ganz viele Menschen verschiedenster Herkünfte ein ganz normales Leben. Das darf man in dem Job nicht vergessen.

 
 

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