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Arbeitswelt

Experte über Jugendarbeitslosigkeit: “Betriebe müssen jungen Menschen eine Chance geben”

Christoph Trauner ist Geschäftsleiter im Wiener WUK und war davor Gesamtkoordinator von spacelab, einem international beachteten Vorzeigeprojekt um Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Mit Jahresende wird das Projekt nach 15 Jahren eingestellt. Im Interview erzählt er, warum im Training mit Jugendlichen auch Farbkübel durch die Gegend fliegen können, welche Angebote diese jungen Menschen wirklich brauchen - und warum durch die Corona-Krise benachteiligte Jugendliche noch mehr ins Hintertreffen geraten.
 
Christoph Trauner, Geschäftsleitung von WUK Bildung und Beratung steht vor einer Ziegelwand und blickt in die Kamera.

Christoph Trauner arbeitet seit 15 Jahren mit arbeitslosen Jugendlichen, die als schwer vermittelbar gelten. Was es wirklich im Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit braucht, erzählt er in diesem Interview. Credit: WUK

MOMENT: spacelab gilt als Pilotprojekt im Bereich Jugendarbeitslosigkeit. Was waren die größten Erkenntnisse in den 15 Jahren, die es gelaufen ist?

Trauner: Die ursprüngliche Idee war, dass Jugendliche am Übergang von Schule zu Beruf ins Training kommen und nach einer Qualifizierungsphase, in denen sie wesentliche Kompetenzen erlernen, auch bald Arbeitserfahrungen sammeln. Dazu gab es eine zeitlich befristete Beschäftigung. Doch das hat sich bereits als viel zu hochschwellig herausgestellt.

 

MOMENT: Warum hat das nicht funktioniert?

Trauner: Eine Beschäftigung bedeutet eine Verbindlichkeit, bei ich um eine bestimmte Zeit da sein und bleiben muss. Für Menschen, die aber schon länger keinen geregelten Tagesablauf haben, ist es schwer, sofort von null auf hundert hochzufahren und in einen Berufsalltag einzusteigen. Wir haben die kreativsten Ausreden für Zuspätkommen gehört, oft tauchen die Jugendlichen auch gar nicht auf. Das muss nicht unbedingt etwas mit Unzuverlässigkeit zu tun haben, sondern oftmals handelt es sich einfach um Angst oder Unsicherheit.

Viele der Jugendlichen, die zu uns kommen, haben in der Schule oder von den Eltern permanent zu hören bekommen, dass sie nichts können und aus ihnen nichts werden wird.

MOMENT: Wie baut man solche Hemmungen ab?

Trauner: Viele der Jugendlichen, die zu uns kommen, haben in der Schule oder von den Eltern permanent zu hören bekommen, dass sie nichts können und aus ihnen nichts werden wird. So etwas fördert natürlich nicht das Selbstbewusstsein. Viele Jugendliche kommen mit einer entsprechenden Abwehrhaltung zu uns. Doch wir versuchen ihnen auf Augenhöhe zu begegnen und ihre Talente zu stärken. Das sind sie oft nicht gewohnt, dass sie ernst genommen und respektiert werden. Da reagieren viele zunächst mit ihren typischen Verhaltensmustern. Darum ist Persönlichkeitsentwicklung auch immer ein wichtiger Teil unserer Arbeit. 

 

MOMENT: Das klingt nach einer Herausforderung.

Trauner: Ist es auch. Wir haben auch ein Anti-Aggressionstraining. Es gibt schon grenzwertige Erlebnisse. Unvergessen ist mir etwa ein Tag, an dem ein Jugendlicher bei Renovierungsarbeiten einer anderen Teilnehmerin einen Farbkübel mit weißem Lack über Gesicht, Haare und Oberkörper geschüttet hat, weil er sich über sie geärgert hat.

 

MOMENT: Was passiert dann in so einer Situation?

Trauner: Wenn so etwas passiert, dann ist der Tag natürlich gelaufen. Der Jugendliche wird nach Hause geschickt. Wenn die Emotionen abgeklungen sind, wird ein Gespräch gesucht. Das Aufzeigen von Grenzen ist das Um und Auf in der Arbeit mit Jugendlichen, die auf der Suche nach Grenzen sind, in dem Alter ist es normal, so etwas auszuloten. Trotzdem ist wichtig, dem betroffenem Jugendlichen in dem Fall mit dem Eimer Lack auch zu vermitteln, dass sein Verhalten nicht in Ordnung ist, er aber trotzdem als Person wertvoll ist. Er muss verstehen, dass er heute eine Chance verpasst hat, aber morgen gerne wieder kommen kann und dann probieren wir einen neuen Anlauf. Es ist ein langer Weg und mit viel Geduld verbunden.

 

MOMENT: Aber wie schaffen solche Jugendliche nun den Einstieg in den Arbeitsmarkt?

Trauner: Wir haben eben erkannt, dass zahlreiche Jugendliche eine längere Anlaufphase brauchen. Wir haben dann einen offenen Raum konzipiert, der innerhalb der Öffnungszeiten immer aufgesucht werden kann. Und es war auch wichtig, das tageweise Mitarbeiten zu ermöglichen. Dafür bekommen Jugendliche dann auch ein Taschengeld von zehn Euro. Und wenn so etwas eine Zeit lang gut läuft, dann erst gilt es zu überlegen, ob sie bereit für verbindlichere Formen der Arbeit sind.

Die Jugendlichen, die zu uns kommen, müssen oft erst ihre eigenen Fähigkeiten kennenlernen.

MOMENT: Wie sieht denn das Training im spacelab konkret aus?

Trauner: Neben einem gezielten Coaching und Workshops wie eben Anti-Aggressions-Training, gibt es Bewegungs- und Sportangebote. Wir haben eine Holzwerkstatt, weiters eine Medienwerkstatt, die Jugendlichen können auch kreative Techniken erlernen und es wird auch viel im Freien gearbeitet. Wir arbeiten viel mit landwirtschaftlichen Betrieben zusammen, aber es gab aber zum Beispiel auch einmal eine Kooperation mit dem Kunsthistorischen Museum, hier wurde gemeinsam die Prunkstiege renoviert. 

Die Jugendlichen, die zu uns kommen, müssen oft erst ihre eigenen Fähigkeiten kennenlernen und da gehört es dazu, dass sie experimentieren können um überhaupt herausfinden, was ihnen liegt und Spaß macht – und welchen Beruf sie sich in Folge vorstellen können.

 

MOMENT: Bräuchte es nicht angesichts der Corona-Krise viel mehr solcher Projekte wie spacelab?

Trauner: Jugendliche mit schlechter Ressourcenausstattung werden auf alle Fälle ins Hintertreffen geraten. Es mangelt tatsächlich oft an einer technischen Ausstattung und entsprechenden Kompetenzen. Unsere Jugendlichen können zwar ein Handy oder eine App bedienen, aber wenn es um Betriebssysteme wie Windows und die Bedienung von Standardprogrammen wie Word oder Excel geht, da können sie oft nicht mithalten. Bei der Nutzung von virtuellen Lernplattformen stellt das Anlegen eines eigenen Accounts oder das Merken des Passworts oft eine hohe Hürde dar.

spacelab wird zwar mit Ende 2020 eingestellt, es gibt aber mit dem vom Sozialministeriumservice finanzierten Angebot AusbildungsFit ein Programm, in das viele Elemente von spacelab eingeflossen sind, insbesondere die Möglichkeit zur tageweisen Mitarbeit. Ein spacelab-Standort wird zukünftig ein solcher Standort sein und wird unter dem Namen WUK work.space weiter geführt.

Aber ja, ich glaube, die Nachfrage nach solchen Angeboten wird nicht abnehmen, sondern eher steigen.

 

MOMENT: Der Einstieg in die Arbeitswelt ist in den vergangenen Jahren immer härter geworden. Es gibt viel weniger Lehrstellen, Betriebe halten mitunter gar Aufnahmeprüfungen für Lehrlinge ab. Was würden sie sich von Arbeitgebern wünschen?

Trauner: Mein Wunsch ist, dass Wirtschaftsbetriebe jungen Menschen eine Chance geben und Lehrstellen anbieten. Über einen Facharbeitermangel jammern und dann keine Lehrplätze zur Verfügung zu stellen, das ist für mich nicht nachvollziehbar. Mir ist aber auch bewusst, dass es für viele Betriebe schwierig ist, Lehrlinge zu beschäftigen und die Arbeit mit schwierigen Jugendlichen eine Herausforderung ist. Es braucht Geduld und man muss Rücksicht auf die äußeren Umstände nehmen, in denen diese jungen Menschen leben. Es gibt aber oft zu wenig Wissen über Unterstützungssysteme. Firmen wissen oft nicht, wo sie sich hinwenden können und so wird oft eine Chance vertan, mit Jugendlichen gemeinsam doch noch einen Plan zu entwickeln, wie die Lehre gelingen kann.

 

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