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Demokratie

Jugendarbeitslosigkeit: Droht eine verlorene Generation?

Die hohe Jugendarbeitslosigkeit aufgrund der Corona-Krise könnte sich langfristig negativ auf unsere Gesellschaft auswirken. Warum es eine Jobgarantie und Ausbildungspflicht für alle bis 24 Jahren helfen könnte.
 
Der Soziologe Johann Bacher und der Wirtschaftswissenschafter Dennis Tamesberger sprechen über die Narben, die eine hohe Jugendarbeitslosigkeit in unserer Gesellschaft hinterlassen kann und zeigen auf, dass die Corona-Krise wie ein Brennglas wirkt. Sie meinen: Es braucht eine Jobgarantie und Ausbildungspflicht für alle bis 24 Jahren und endlich eine Verkürzung der Arbeitszeit.
 
Porträts von Johann Bacher (links) und Dennis Tamesberger (rechts).

Soziologe Johann Bacher und Wirtschaftswissenschafter Dennis Tamesberger über Jugendarbeitslosigkeit.

MOMENT: Sie beiden haben sich in ihrer Forschung ausführlich mit Jugendarbeitslosigkeit beschäftigt. Droht uns angesichts der hohen Jugendarbeitslosigkeit durch die Corona-Krise eine verlorene Generation?

Dennis Tamesberger: Der Begriff ist nicht völlig unberechtigt. Die Forschung zeigt eindeutig, dass eine Arbeitslosigkeit von sechs Monaten bei Jugendlichen zu weitreichenden negativen Folgen führt. Das sind die berühmten Narben, die bleiben: Ihr gesamtes Leben haben sie ein höheres Risiko, ihren Job zu verlieren, wenn sie einen haben verdienen sie relativ gesehen weniger als andere und ihr Gesundheitszustand ist generell schlechter. Angesichts der Tatsache, dass nun ein großer Teil der jungen Menschen arbeitslos ist und länger bleiben wird, bleibt zu befürchten, dass sich ihre Zukunftsperspektiven langfristig verschlechtern.

 

Johann Bacher: Die Bezeichnung “verlorene Generation” ist zugespitzt. Aber ja, die genannten negativen Folgen sind wissenschaftlich gut beschrieben.

 

MOMENT: Unter der türkis-blauen Regierung wurde das AMS-Budget gekürzt und vor allem Projekte für langzeitarbeitslose Jugendliche und ältere Menschen eingestampft. Würden wir nicht genau jetzt in der Krise solche dringend brauchen?

Tamesberger: Es gab einen Aufschrei: Von den Gewerkschaften über die Arbeiterkammer bis hin zur Opposition. Trotzdem wurde die überbetriebliche Lehrausbildung, Produktionsschulen und vorbereitende Maßnahmen drastisch zurückgefahren. Ein Beispiel: Für die überbetriebliche Lehrausbildung gab es im Jahr 2017 noch ein Budget von 176 Millionen, 2019 nur noch 157 Millionen. Das ist nicht nur problematisch für die Jugendlichen, die gerade unmittelbar von Arbeitslosigkeit betroffen sind, sondern hier wurden Strukturen zerstört, hier ging Wissen verloren – was wir nun alles dringend brauchen würden.

 

Bacher: In Studien wurde nachgewiesen, dass sich die besagten eingestampften Maßnahmen durchaus positiv ausgewirkt haben. Auch die Aktion 20.000, bei dem staatlich geförderte Jobs an ältere Langzeitarbeitslose vergeben wurden, war durchaus ein Erfolg, obwohl sie nur ein halbes Jahr gelaufen ist. Auch die Projekte für Jugendliche waren ein Erfolg, das sehen wir in den Zahlen. Bis vergangenes Jahr war der Anteil der Jugendlichen ohne Beschäftigung bis 19 Jahren zurückgegangen. Mit altersbedingtem Auslaufen von Maßnahmen sehen wir einen Anstieg in der Gruppe dieser Jugendlichen von 20 bis 24 Jahren. Das zeigt, wie wichtig eine Jobgarantie und eine Ausbildungspflicht im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit wären.

 
MOMENT: Sie plädieren für eine Ausbildungspflicht und gar eine Jobgarantie bis 24 Jahren. Was heißt das genau und wie soll das in der Praxis aussehen?

Tamesberger: Seit 2015 gibt es in Österreich eine Ausbildungspflicht für alle Jugendlichen bis 18 Jahren. Das heißt, die Erziehungsberechtigten müssen dafür sorgen, dass Jugendliche nach Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht bis 18 Jahre eine weitere Ausbildung bekommen. Kein Jugendlicher sollte länger als vier Monate arbeitslos sein, wird kein Job und kein Lehrplatz gefunden, so sollte er in einer Maßnahme untergebracht werden. Das kann eine weiterführende Ausbildung, eine Schulung sein, unter gewissen Umständen auch eine Hilfstätigkeit, die jedoch in Folge eines Perspektivenplans erfolgen muss.

 

Bacher: Es gibt eben auch Schulabbrecher, die sich erst mit 17 oder 18 zu einer Lehre entscheiden. Und darum wäre es sinnvoll, dass die Ausbildungspflicht bis 24 Jahre verlängert wird.

 

MOMENT: Aber wie sieht es nun mit der Jobgarantie aus?

Tamesberger: Ein weiteres Problem der Jugendarbeitslosigkeit liegt darin, dass es einfach zu wenig Arbeitsplätze gibt, vor allem für die 20- bis 24-jährigen.  Eine verbesserte Ausbildung trägt natürlich dazu bei, dass sich für einzelne die Arbeitsmarktchancen verbessern. Doch viele der Arbeitslosen haben eine Ausbildung abgeschlossen und finden trotzdem keine Jobs, weil es eben zu wenige gibt.

 

MOMENT: Und wie kann das geändert werden?

Tamesberger: Grundsätzlich sollte nun die Konjunktur belebt werden. Wir wissen, dass vor allem männliche, arbeitslose Jugendliche stark von einer generellen Belebung der Wirtschaft profitieren. Im internationalen Vergleich hat Deutschland zum Beispiel schon viel schneller und umfassender Konjunkturpakete umgesetzt, Österreich war da meiner Meinung nach bislang zu zaghaft.

Weiters könnte der Staat und dabei vor allem die Gemeinden und Bezirke mehr öffentliche Jobs schaffen. Hier sollte es mehr Pilotprojekte wie das Aktion 20.000 geben.

 

Bacher: Ich glaube allerdings, dass wir zukünftig nur genug Jobs schaffen können, wenn wir die Arbeitszeit reduzieren.

 

MOMENT: Doch wir haben nun eine Wirtschaftspartei an der Macht, die sogar für einen 12-Stunden-Tag plädiert. Sehen Sie wirklich Chancen auf eine baldige Arbeitszeitreduktion?

Bacher: Langfristig wird daran kein Weg vorbeiführen. Arbeit muss gleicher verteilt werden, sonst werden soziale Konflikte auftreten. Ein Grundeinkommen kann nicht die soziale Integration erfüllen, wie es eine Erwerbsarbeit tut. Und deshalb sollte es der politische Wille sein, dass jeder einen Job hat. Es gibt ja schon Ideen, etwa Solidaritätsmodelle, dass einige ihre Arbeitszeit reduzieren, damit ein neuer Job geschaffen werden kann.

 

Tamesberger: Wir haben heuer die größte Arbeitszeitverkürzung in der Geschichte der zweiten Republik erlebt: Die Kurzarbeit. Durch dieses geförderte Modell konnten viele Arbeitsplätze gerettet werden. Die Alternative zu einer freiwilligen Arbeitszeitreduktion ist die unfreiwillige, nämlich die Arbeitslosigkeit – und das ist die teuerste.

 

MOMENT: Zurück zu den arbeitslosen Jugendlichen, denen der Einstieg in die Arbeitswelt nicht gelingt und die noch gar keinen Job haben: Die meisten von ihnen waren bereits Risikoschüler. Herr Bacher, sie meinen ja, dass sich bereits im Bildungssystem viel ändern muss. Was läuft da schief?

Bacher: Dank den PISA-Studien wissen wir seit zwanzig Jahren, dass es Österreichs Bildungssystem nicht gelingt, allen SchülerInnen ausreichende Kompetenzen zu vermitteln. Der Anteil der Risikoschüler am Ende der Schulpflicht beträgt 18 bis 22 Prozent. Um zu verdeutlichen, was es heißt, ein Risikoschüler zu sein, möchte ich Ihnen eine einfache Mathematik-Aufgabe geben: Stellen Sie sich eine Stiege mit zehn Stufen vor. Die Stiege ist insgesamt 149 Zentimeter hoch. Wie hoch ist eine einzelne Stufe? Das ist ein einfaches Rechenbeispiel, bei dem nur durch zehn dividiert werden muss. Doch etwa ein Drittel der Risikoschüler scheitert an dieser Aufgabe.

 

MOMENT: Wer ist besonders gefährdet, Teil dieser Risikogruppe zu sein?

Bacher: Den statistischen Daten zu Folge handelt es sich überwiegend um männliche Schüler, deren Eltern ebenfalls nur einen niedrigen Bildungsabschluss vorweisen. Häufig besteht ein Migrationshintergrund. In der Schule landen sie dann oft mit anderen in der Klasse, deren Schüler sich in einer ähnlichen sozialen Lage befinden. Hier kommt es dann zu Verstärkungsprozessen in den Klassen, da werden schnell andere Sachen wichtiger als das Lernen. Und mitunter muss dieser Schüler dann eine oder mehrere Klassen wiederholen und hat am Ende seiner Pflichtschulzeit gerade einmal die Mittelschule geschafft und nicht einmal den polytechnischen Lehrgang besucht.

 

MOMENT: Und was muss sich ändern, damit solche sozial benachteiligten SchülerInnen nicht so stark abgehängt werden?

Bacher: Hier müsste bereits im Kindergarten angesetzt werden. Der Elementarpädagogik wird zu wenig Beachtung geschenkt. Kindergärten sind keine Betreuungseinrichtungen, sondern Bildungseinrichtungen. Der sozialen Ungleichheit könnte bereits hier durch gezielte Förderung entgegengewirkt werden und wir sollten uns fragen, ob wirklich ein verpflichtendes Kindergartenjahr reicht.

Ein zweiter Punkt ist die frühe Bildungsentscheidung: Einerseits müssen sich SchülerInnen mit 10 oder ihre Eltern entscheiden, in welche Schule sie weitergehen und dann nochmals mit 14, ob sie eine Lehre beginnen oder in eine höhere Bildungseinrichtung weitergehen. Das ist zu früh. Wir sollten über eine Schulpflicht bis 16 Jahren diskutieren. Die frühe Bildungsentscheidung führt zu sozialer Selektion und dann sitzen eben viele Risikoschüler in einer Schule, für die es zu wenig Mittel gibt. Solche Brennpunktschulen bräuchten drittens dringend mehr Geld. Durchgerechnete Modelle dazu liegen vor.

Und als vierter Punkt müsste die Ganztagesschule ausgebaut werden. Corona hat deutlich ein seit langem bestehendes Problem des österreichischen Schulsystems gezeigt, nämlich dass viele Aufgaben an die Eltern delegiert werden. So kann soziale Ungleichheit nicht bekämpft werden.

 

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