Expertenregierung statt FPÖ-ÖVP Koalition?

Klingt das nach den grotesken Koalitionsverhandlungen verlockend? Vielleicht. Aber ist es wirklich eine gute Idee, die Verantwortung in die Hände von Personen zu legen, die nicht demokratisch gewählt wurden? Wer und wie werden die Expert:innen bestimmt? Und wie unabhängig sind diese „Expert:innen“ tatsächlich von bestehenden Machtstrukturen und ideologischen Vorstellungen?
Was ist eine Expertenregierung?
Eine Expertenregierung, auch als Technokratenregierung oder Übergangsregierung bekannt, ist eine Regierungsform, die sich von der herkömmlichen politischen Struktur in Österreich unterscheidet. Sie setzt sich aus Fachleuten verschiedener Bereiche wie Wissenschaft, Wirtschaft oder Verwaltung zusammen, die in der Regel/im Idealfall nicht mit politischen Parteien verbunden oder zumindest nicht zu deren Spitzenpersonal zu zählen sind. Diese Art der Regierung wird oft in Krisensituationen oder bei politischen Umbrüchen als vorübergehende Lösung eingesetzt.
Wer wählt die Expert:innen und nach welchen Kriterien?
In Österreich entscheidet der Bundespräsident auf Vorschlag des Kanzlers oder der Kanzlerin, wer Mitglied einer Expertenenregierung wird. Die Auswahl basiert im Idealbild auf Kriterien wie fachlicher Kompetenz, Verwaltungserfahrung, politischer Neutralität, Reputation im Fachgebiet und der Fähigkeit, in Krisensituationen effektiv zu handeln.
Wie lange bleibt eine Expertenregierungen im Amt?
Theoretisch gibt es keine anderen Regeln als für jede andere Regierung. In der Regel dienen sie nur als Übergangslösung und bleiben meist nur für wenige Monate im Amt, bis Neuwahlen stattfinden oder eine neue Regierung gebildet wird.
Welche Erfahrungen hat Österreich mit Expertenregierungen?
Österreich hatte zuletzt von Juni 2019 bis Januar 2020 eine Übergangsregierung unter Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein. Diese Regierung wurde nach einem Misstrauensantrag gegen die vorherige Regierung unter Sebastian Kurz eingesetzt. Bierlein, wurde so die erste Bundeskanzlerin Österreichs. Sie führte ein Kabinett aus zwölf Ministern – sechs Frauen und sechs Männer.
Diese Übergangsregierung war in Umfragen positiv bewertet und wurde von der Bevölkerung gut aufgenommen. Dazu ist aber auch zu sagen, dass unabhängig wirkende Personen wie Expert:innen populärer bewertet werden als Politiker:innen.
In anderen europäischen Ländern gibt es ebenfalls immer wieder Erfahrungen mit Übergangsregierungen. In Italien beispielsweise wurde 2011 eine Technokratenregierung unter Mario Monti eingesetzt, um das Land durch die Finanzkrise zu führen. In Griechenland übernahm 2011-2012 eine Übergangsregierung unter Loukas Papademos die Amtsgeschäfte, um Reformen durchzuführen.
Übergangsregierungen werden in Ausnahmesituationen eingesetzt, um politische Krisen zu überbrücken oder notwendige Reformen durchzuführen. Sie sind in der Regel von kurzer Dauer und dienen dazu, die Stabilität des Landes zu gewährleisten, bis eine neue gewählte Regierung die Amtsgeschäfte übernehmen kann.
Was sind die Nachteile einer Expertenregierung?
Eine Expertenregierung mag auf den ersten Blick als Lösung für politische Krisen erscheinen, birgt jedoch erhebliche Risiken für die Demokratie und das politische System.
Ein Nachteil ist die geringere demokratische Legitimation. Eine Regierung wird in Österreich zwar nie direkt gewählt, in einer Koalitionsregierung sitzen aber normalerweise zumindest vor allem Menschen, die sich auch den Nationalratswahlen davor gestellt haben.
Die begrenzte Handlungsfähigkeit einer Expert:innenregierung ist ein weiteres kritisches Problem. Ohne eine sichere parlamentarische Mehrheit ist sie anfälliger für Blockaden und Verzögerungen bei wichtigen Entscheidungen. Dies führt zu politischem Stillstand in Zeiten, in denen entschlossenes Handeln erforderlich wäre.
Zudem besteht die Gefahr, dass etablierte politische Netzwerke in Ministerien die Arbeit von politisch unerfahrenen Minister:innen beeinflussen. Dies untergräbt die vermeintliche Unabhängigkeit und Neutralität einer Übergangsregierung.
Könnte eine Expertenregierung die aktuelle politische Krise in Österreich lösen?
Eine Expertenregierung könnte als Übergangslösung dienen, falls sich ÖVP und FPÖ nicht auf eine Koalition einigen können. Allerdings täuscht die Verpackung. Expert:innen können eine fachliche Autorität mitbringen, sind aber keine unpolitischen und unbeeinflussten Menschen. Eine Regierung ist immer dem Nationalrat gegenüber verantwortlich und kann nie unabhängig von Politik und politischen Mehrheiten existieren. Und sie ist auf lange gewachsene Stukturen in Politik und Verwaltung abhängig. Dass einzelne Menschen nicht gegen politische Mehrheiten agieren können, ist in einer Demokratie grundsätzlich auch gut so.
Die Vernunft der Demokratie
Der Drang hin zur Technokratie basiert aber auf einem eher pessimistischen Menschenbild. Sie braucht auch den naiven Glauben, dass es eine richtige, objektive Politik geben kann und dass einzelne Menschen wissen, welche das ist. Die Demokratie beruht auf einem optimistischen Bild, in dem die Gesellschaft sich Politik ausdiskutiert – und ausdiskutieren muss. Und sie setzt darauf, dass aus dem fairen Wettbewerb der Ideen von demokratischen Bewegungen die von der Bevölkerung erwünschten und deshalb besten Maßnahmen entstehen.
Demokratie setzt darauf, dass die Mehrheit der Menschen zu Vernunft, Eigenverantwortung und Dialog fähig ist. Das mag mühsam und herausfordernd sein, doch die politische Auseinandersetzung ist unverzichtbar. Expert:innenregierungen können nur in Ausnahmefällen funktionieren, da auch ihre Entscheidungen letztlich nicht frei von politischen Einflüssen sind.