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Gesundheit

„Fehlgeburt“: Ein Tabuthema mit schwerwiegenden Folgen

Eine Person mit orangem Pulli hält eine Decke in beiden Händen.
Viele sind davon betroffen, nur Wenige reden darüber: Schwangerschaftsverluste sind immer noch ein Tabuthema - mit schwerwiegenden Folgen. Wir haben den Überblick über Risiken, Auswirkungen und Hilfe bei der Verarbeitung von Fehlgeburten.

Je nach Berechnung erleben 15 bis 50 Prozent der Frauen* im Laufe ihres Lebens eine Fehlgeburt. Das ist jede zweite bis sechste Frau – in jedem Fall sind es viele. Fehlgeburten müssen anders als Totgeburten nicht gemeldet werden, deshalb gibt es keine genauen Zahlen dazu. Laut den Schätzungen einer Studie kommt es jedes Jahr weltweit zu 23 Millionen Fehlgeburten.

Wir haben für unseren Überblick unter anderem mit der Hebamme Miriam Jakl gesprochen. Sie hat selbst ein Kind verloren und ist außerdem Obfrau des Vereins Nabhinadi, der Hebammenbetreuung nach Schwangerschaftsverlusten anbietet.

Was ist der Unterschied zwischen Tot- und Fehlgeburt? 

In der Medizin wird das abrupte Ende einer Schwangerschaft als „Abort“ bezeichnet. Dabei wird zwischen Fehlgeburten und Totgeburten unterschieden.

Unter einer Fehlgeburt wird der Verlust einer Schwangerschaft definiert, wenn das Kind keine Lebenszeichen aufweist und unter 500 Gramm wiegt. Die Lebensfähigkeit und das entsprechende Körpergewicht werden meist zwischen der 22. und 24. Schwangerschaftswoche erreicht.

Als Totgeburt hingegen wird ein Baby bezeichnet, wenn es ohne Lebenszeichen, aber mit einem Körpergewicht von mindestens 500 Gramm auf die Welt kommt.

Diese Gewichtsgrenze ist rechtlich gesehen wichtig. Nach einer Fehlgeburt besteht kein Anspruch auf Mutterschutz, Hebammenbegleitung oder Teilrückerstattung der Bestattungskosten. Wie lange Mütter nach dem Schwangerschaftsverlust eines Kindes unter 500 Gramm zu Hause bleiben, wird über den Krankenstand geregelt. Ihnen steht kein Mutterschutz zu, es kommt also auf die Kooperation von Arbeitgeber:innen an. Im Fall einer Totgeburt und auch, wenn das Kind unmittelbar nach der Geburt gestorben ist, gelten diese Rechte jedoch.

Dabei sollte eigentlich nicht das Geburtsgewicht des Kindes im Fokus stehen, sondern die körperlichen und psychischen Auswirkungen auf Betroffene. Für die Verarbeitung eines solchen Verlusts ist es meist gleichgültig, in welcher Schwangerschaftswoche man das Kind verloren und wie viel es gewogen hat. Dennoch unterscheidet das Gesetz klar zwischen Fehlgeburt und Totgeburt.

Welche Gefühle können bei einer Fehlgeburt auftreten?

Jede Frau geht anders mit einem Schwangerschaftsverlust um. Gefühle sind sehr individuell und können sich mit der Zeit verändern. Angst, Trauer, Wut und vieles mehr können und dürfen auftreten, genauso wie nicht zu trauern oder nichts zu fühlen.

Viele Frauen suchen die Schuld nach einem Schwangerschaftsverlust bei sich selbst. Das Wort „Fehlgeburt“ ist dabei oftmals ein Trigger und impliziert, dass der Körper der Frau oder das Baby „fehlerhaft“ sind. Um klarzustellen, dass der Frauenkörper in den allermeisten Fällen dennoch gesund arbeitet und die Frauen keine Schuld trifft, sollte vermehrt der Begriff “Schwangerschaftsverlust” verwendet werden. Betroffene bezeichnen Kinder, die vor, während oder kurz nach der Geburt gestorben sind, oftmals auch als „Sternenkinder“.

Was sind Anzeichen einer Fehlgeburt?

Anzeichen eines Schwangerschaftsverlusts können je nach Form vaginale Blutungen, Krämpfe oder ein Blasensprung sein. In diesem Fall sollte man sofort eine:n Gynäkolog:in aufsuchen. Bei bestimmten Formen von Schwangerschaftsverlusten kann dieser jedoch auch länger unbemerkt und Befunde unauffällig bleiben.

Am häufigsten tritt der sogenannte Spontanabort auf: Das Kind stirbt plötzlich und löst sich teilweise oder komplett aus der Gebärmutter, die Frau hat meist starke Blutungen und Schmerzen.

Ebenfalls häufig ist der verhaltene Abort, vor allem vor der achten Schwangerschaftswoche. Man bemerkt diese Form meist nicht sofort: Der Embryo stirbt, ohne direkt von der Gebärmutter abgestoßen zu werden. Die Frau zeigt dabei oft keine Symptome, der Verlust kann länger unentdeckt und das Baby im Mutterleib bleiben.

Bei späteren Schwangerschaftsverlusten zwischen der 14. und 24. Schwangerschaftswoche geschieht dies meist aufgrund eines vorzeitigen Fruchtblasensprungs oder durch einen plötzlichen Kindstod ohne medizinisch feststellbaren Grund. Dabei spielen oftmals unbemerkte Infektionen der Blase eine Rolle.

Wie verhalte ich mich nach einer Fehlgeburt?

Nach der medizinischen Feststellung eines Schwangerschaftsverlusts haben Betroffene verschiedene Möglichkeiten. Dabei kommt es auch darauf an, ob das Kind noch im Bauch der Mutter verblieben ist oder sich bereits (teilweise) abgelöst hat. 

Solange kein medizinischer Notfall oder ein akutes Infektionsrisiko besteht, kann jede Frau selbst entscheiden, was das Beste für sie ist. So kann man abwarten, bis die Schwangerschaft von selbst abgeht. Dabei kann es zwischen mehreren Tagen bis zu einigen Wochen dauern, bis Bauchkrämpfe und Blutungen einsetzen. Das Infektionsrisiko ist bei einem natürlichen Abgang nicht zwingend höher.

Die zweite Möglichkeit ist die Einnahme von verschreibungspflichtigen Medikamenten, um den Vorgang zu beschleunigen. Die Blutung sowie Wehen treten dann innerhalb weniger Stunden ein.

Eine dritte Möglichkeit ist die sogenannte Kürettage. Es handelt sich dabei um einen risikoarmen operativen Eingriff, bei dem die oberste Schicht der Gebärmutterschleimhaut abgetragen wird. Damit sollen Infektionen durch zurückbleibende Plazenta-Reste oder stärkere Blutungen verhindert werden. Die Notwendigkeit einer Ausschabung hängt auch von dem Stadium der Schwangerschaft ab. Vor der achten Schwangerschaftswoche sind Embryo, Plazenta und Fruchthöhle (also die noch nicht mit Flüssigkeit gefüllte Fruchtblase) meist noch sehr klein. Es ist zu diesem Zeitpunkt also sehr wahrscheinlich, dass sich das Gewebe von selbst gut ablöst. Wichtig ist dennoch, die getroffene Entscheidung immer auch von einer:einem Ärzt:in oder Hebamme begleiten zu lassen.

Oftmals raten Ärzt:innen schnell zur Medikamenteneinnahme oder einer Kürettage, um Komplikationen zu vermeiden. Je nach Infektionsrisiko und Schwangerschaftswoche können Betroffene jedoch um Bedenkzeit bitten und müssen sich nicht sofort entscheiden. Unabhängig von der gewählten Möglichkeit sollte man danach untersuchen lassen, ob alles vollständig entfernt wurde. Das ist wichtig, damit sich die Schleimhaut in den kommenden Zyklen auch wieder gut aufbauen kann – speziell für eventuelle Folgeschwangerschaften.

Für welche Möglichkeit man sich entscheidet, kann sehr individuell sein. “Für die spätere Verarbeitung spielt es auch eine wichtige Rolle, die Entscheidung nach einer Aufklärung selbst und ohne Druck von außen treffen zu können”, betont Jakl.

Wie verarbeite ich eine Fehlgeburt?

Den Verlust eines werdenden Kindes zu verarbeiten, ist nicht einfach. Werden Betroffene nicht dabei unterstützt, kann das schwere und langanhaltende Folgen haben. So entwickeln sich oftmals Krankheitsbilder wie Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen und Angststörungen. Werden diese nicht behandelt, erhöht sich wiederum das Risiko für Krebserkrankungen, Bluthochdruck, Diabetes, Suchtabhängigkeit, Herzprobleme, Essstörungen sowie starke Einschränkungen in der Lebensqualität. Diese können selbst Monate nach dem Verlust noch auftreten. Auch das Suizidrisiko steigt danach auf das Vierfache an. Wird der Verlust nie richtig verarbeitet, können auch im hohen Alter noch verstärkt Probleme wie Schlaganfälle, Thrombosen oder Herzerkrankungen auftreten. Erste Ergebnisse deuten außerdem darauf hin, dass betroffene Frauen später überdurchschnittlich häufig an einer Volkskrankheit wie etwa Diabetes erkranken. Es ist also besonders wichtig, die Auswirkungen eines Schwangerschaftsverlusts ernst zu nehmen und die notwendige Betreuung von Betroffenen sowie genügend Zeit der Erholung zu gewährleisten.

„Man braucht ein Wochenbett, man braucht Ruhe, man braucht Zeit für sich. Der Körper muss sich wieder zurückbilden. Die Organe müssen sich wieder dorthin verschieben, wo sie hingehören und der Beckenboden sich wieder schließen“, erklärt Miriam Jakl.

Frauen haben nach einem Schwangerschaftsverlust meist ähnliche Symptome wie nach einer Lebendgeburt. Der Körper sowie der Hormonhaushalt der Mutter haben sich auf Schwangerschaft und Geburt vorbereitet und müssen sich erst wieder umstellen. So kann zum Beispiel auch nach einem Schwangerschaftsverlust die Milchbildung einsetzen, was besonders schmerzlich sein kann. Auch der Beckenboden hat sich durch die Schwangerschaft verändert. Je länger man bereits schwanger war, desto eher ist Rückbildungsgymnastik erforderlich.

Wichtig für die Aufarbeitung ist es außerdem, das Erlebte nicht zu verdrängen, sondern ohne Zeitstress und im besten Fall mit Begleitung trauern zu können.

Eine Auswertung von Studien der letzten drei Jahrzehnte, an denen insgesamt 2500 Frauen an verschiedenen Orten teilgenommen haben, fasst die psychischen Auswirkungen von Schwangerschaftsverlusten folgendermaßen zusammen:

  • 8 bis 20 Prozent der betroffenen Frauen zeigten Anzeichen einer Depression vier bis sechs Wochen nach dem Verlust.
  • 18 bis 32 Prozent der befragten Frauen entwickelten Angstzustände.
  • 25 bis 39 Prozent der teilgenommenen Frauen erfüllten nach einem Monat die Kriterien für die Diagnose „posttraumatische Belastungsstörung“. Weitere Studien sprechen sogar von 30 bis 60 Prozent – gleichermaßen Frauen wie Männer.

Dabei erhöht sich das Risiko einer psychischen Erkrankung spätestens ab dem Moment, in dem Betroffene ihr Kind im Ultraschall sehen und steigt weiter mit der Länge der Schwangerschaft.

Wann kann ich wieder schwanger werden?

Manche Frauen wollen nach einer Fehlgeburt schnell wieder schwanger werden. Andere wollen hingegen mehr Zeit vergehen lassen. Wann man sich wieder bereit fühlt, kann sehr individuell sein. Fakt ist: Das Risiko für weitere Schwangerschaftsverluste ist nicht erhöht, solange keine Vorerkrankungen der Eltern bestehen. Die meisten Verluste sind auf eine zufällige chromosomale Störung des Embryos zurückzuführen. Diese treten willkürlich auf und das Risiko dafür steigt nicht, wenn man bereits einen Schwangerschaftsverlust durchgemacht hat. Theoretisch kann man also gleich mit der nächsten Periode wieder schwanger werden.

Ganz allgemein sollte man sich aber auf eine neue Schwangerschaft geistig und körperlich vorbereiten. Oft herrscht nach einem solchen Verlust viel Redebedarf. Psychologische Begleitung kann dabei helfen.

Wie spreche ich über eine Fehlgeburt?

Psychologische Unterstützung sowie ausreichende medizinische Versorgung spielen dabei eine wichtige Rolle. Oft wird jedoch nicht genug über den Verlust gesprochen – weder im Umfeld der Betroffenen noch von medizinischem Personal. Ein großes Problem ist auch, dass werdende Eltern speziell in den ersten Schwangerschaftswochen meist noch niemandem von dem Baby erzählt haben. Freund:innen und Familie konnten somit noch keine Beziehung aufbauen, weshalb es ihnen besonders schwerfällt, das Ausmaß des Verlusts nachzuvollziehen.

„Berichtet man dann vom Verlust, kann es sein, dass die Person nicht sehr emotional darauf reagiert, weil sie es davor ja noch gar nicht wusste. Es braucht ganz viel Aufklärung der Familie, Freund:innen, Bekannten. Eigentlich generell von unserer Gesellschaft. Viele verstehen nicht, was es eigentlich bedeutet, ein Baby zu verlieren“, so Jakl.

Viele wissen auch nicht, wie sie darüber sprechen sollen, aus Angst, etwas Falsches zu sagen. Laut Betroffenen sei es jedoch sehr wichtig für die Verarbeitung, dass sie darüber reden können.

Dabei sollte man jedoch vorsichtig mit Sätzen wie „Das wird schon wieder“ oder „Versucht es einfach nochmal“ sein. Betroffene empfinden diese Aussagen oftmals als Verhöhnung ihres Schicksalsschlages und fühlen sich in ihrer Trauer nicht ernst genommen.

Was für Gründe und Risikofaktoren gibt es bei einer Fehlgeburt?

Ursachen für Fehl- und Totgeburten sind vielfältig und nicht immer klar. Untersuchungen haben gezeigt, dass in nahezu drei Viertel aller Fälle Erkrankungen des Embryos, wie Chromosomen- und Entwicklungsstörungen oder Fehlbildungen vorliegen. Dafür muss es keine spezifischen Gründe im Körper der Eltern geben, die Störungen können auch zufällig auftreten und sind schwer beeinflussbar. Oft bleiben auch nach medizinischen Untersuchungen die genauen Ursachen unklar.

Schwangerschaftsverluste können hormonell oder durch fehlgesteuerte Reaktionen des Immunsystems ausgelöst werden. Sie können aber teilweise auch genetische Ursachen haben. Kommt es wiederholt zu einem Schwangerschaftsverlust, sollte man sich also untersuchen lassen. Das kommt jedoch selten vor: In den meisten Fällen erleiden betroffene Frauen einmal in ihrem Leben eine Fehlgeburt, etwa zwei Prozent zweimal.

Risikofaktoren für Fehl- oder Totgeburten aufseiten der Eltern können unter anderem Rauchen, übermäßiger Alkohol- oder Koffeinkonsum während der Schwangerschaft, Fehlbildungen der Gebärmutter, frühzeitige Plazenta-Ablösung oder Infektionen wie Listerien oder Toxoplasmose sein.

Aber auch Alter, Gewicht oder übermäßiger Stress können eine Rolle spielen. Ebenso könnten Umwelteinflüsse wie Luftverschmutzung oder Pestizide Risikofaktoren sein, die Forschung hat bisher aber noch keinen eindeutigen Zusammenhang festgestellt.

Innerhalb der ersten acht Wochen ist das Risiko für Schwangerschaftsverluste am höchsten und liegt teilweise zwischen 15 und 20 Prozent. In dieser Zeit entwickelt sich der Embryo besonders schnell. Danach sinkt das Risiko deutlich ab. Nach der zwölften Schwangerschaftswoche liegt die Wahrscheinlichkeit eines Schwangerschaftsverlusts bei einem bis vier Prozent. Dabei spielt das Alter der Mutter eine große Rolle. Die Wahrscheinlichkeit eines Schwangerschaftsverlusts wird davon stark beeinflusst und steigt mit den Jahren an.

Laut einem Bericht sei das Risiko für Schwarze Frauen besonders hoch – um bis zu 40 Prozent höher als bei weißen Frauen. Einer der möglichen Gründe: PoC sind oftmals schlechter in die Gesundheitsversorgung integriert und haben ein höheres Risiko für bestimmte Krankheiten..

Die Datenlage zu Fehlgeburten muss insgesamt verbessert werden, um Risiken sowie Folgen für Betroffene besser einschätzen zu können. In der Forschung allgemein und speziell im medizinischen Bereich liegt der Fokus immer noch stark auf Männern. „Unser gesamtes Gesundheitssystem ist nicht sehr frauenzentriert. Gerade bei Themen wie Schwangerschaft und Geburt bräuchte es noch viel mehr Forschung. Aber Geld oder die Kapazitäten fehlen einfach“, bringt es Miriam Jakl auf den Punkt.

Um die Wahrscheinlichkeit eines Schwangerschaftsverlusts möglichst gering zu halten, sollte man die allgemeinen Empfehlungen für eine gesunde Schwangerschaft zu befolgen: genügend Schlaf, eine ausgewogene Ernährung sowie möglichst wenig Stress. Dennoch kann ein solcher Verlust prinzipiell jede treffen, unabhängig von individuellen Risikofaktoren.

Was muss gesetzlich verbessert werden?

Die Bürger:inneninitiative „Mut zeigen“, hinter der insgesamt 17 Organisationen und Expert:innen stehen, will gesetzliche Verbesserungen rund um das Thema Schwangerschaftsverluste schaffen und hat einen Forderungskatalog an die Politik ausgearbeitet. Es fehle an bundesweiten Richtlinien in Bezug auf den Umgang mit Eltern, die ihre Kinder verloren haben – unabhängig von der Schwangerschaftswoche und dem Geburtsgewicht. So erklärt auch Miriam Jakl: „Egal in welcher Woche der Verlust eintritt, der Körper hatte ja dieselben Schwangerschaftssymptome, wie wenn das Kind noch leben würde. Man war ja schwanger, der Hormonhaushalt und der Körper haben sich genauso umgestellt.“

Die Gründer:innen der Bürger:inneninitiative kritisieren vor allem, dass man bei einer Totgeburt unter 500 Gramm nicht genug Rechte habe und zu wenig Unterstützung vom Staat bekäme. Sie fordern Mutterschutz und Wochengeld unabhängig vom Geburtsgewicht, da auch bei frühen Schwangerschaftsverlusten der Körper einen ähnlichen, wenn nicht sogar den gleichen Prozess wie bei einer Lebendgeburt durchmacht und dazu auch noch die Trauer kommt. Außerdem soll der Kündigungs- und Entlassungsschutz angeglichen werden – dieser beträgt aktuell nur vier Wochen nach einer Fehlgeburt. Auch für Partner:innen der Betroffenen fordert die Initiative die Möglichkeit einer vergüteten Freistellung von mindestens zwei Wochen.

Ein weiteres Thema ist die Hebammenbetreuung. Diese wird erst ab der 18. bis 22. Schwangerschaftswoche von der Krankenkasse übernommen und auch dann nur, wenn das Kind bei der Geburt mindestens 500 Gramm wog und Lebenszeichen aufwies. Deshalb werden viele Betroffene von früheren Schwangerschaftsverlusten nicht begleitet. Die Initiative fordert eine staatlich finanzierte Hebammenbetreuung ab der medizinisch festgestellten Schwangerschaft.

Zudem fordert „Mut zeigen“ die Kostenübernahme der psychologischen Nachbetreuung und einen bundesweiten Bestattungskostenbeitrag auch bei Schwangerschaftsverlusten unter 500 Gramm.

Eine leicht umsetzbare, jedoch nicht weniger wichtige Forderung ist die gesetzliche Abänderung des Begriffs „Fehlgeburt“ in „kleine Geburt“ oder „Schwangerschaftsverlust“ und die Klarstellung, dass es sich bei der Grenze des Geburtsgewichts von 500 Gramm lediglich um eine personenstandsrechtliche Angabe handelt.

Warum sind die Forderungen der Bürger:inneninitiative wichtig?

Vor kurzem wurden die Forderungen von “Mut zeigen” dem Familienausschuss im österreichischen Parlament zugewiesen und könnten schon am 4. Juni auf der Tagesordnung stehen. Unterstützer:innen hoffen auf erste Gesetzesänderungen noch in der aktuellen Legislaturperiode. Die Überarbeitung der Gesetze sei schon allein notwendig, weil sie veraltet seien. Die diesbezüglichen Bestimmungen gehen auf eine Gesetzeslage aus den 1950er Jahren und eine Rechtsprechung aus den 1970er und 1980er Jahren zurück. Sie seien laut Initiative nicht evidenzbasiert, nicht zeitgemäß und aus heutiger Sicht gleichheitswidrig, daher auch verfassungswidrig.

Bei den geforderten Gesetzesänderungen handelt es sich laut Gründer:innen der Initiative auch um Gesundheitsprävention. Die Folgen eines nicht verarbeiteten oder nicht ausreichend begleiteten Schwangerschaftsverlusts können sich bis ins hohe Alter ziehen – werden die Forderungen umgesetzt, werde es Betroffenen auch später im Leben besser gehen.

Das bestätigt auch Jakl: „Wir bekommen immer wieder Anfragen, wo Frauen mit 85 Jahren erzählen, dass sie den Verlust noch immer nicht verkraftet haben. Sowas löst natürlich auch später noch schlimme gesundheitliche Probleme aus. Unsere Forderungen dienen also auch der Gesundheitsprävention: Werden Betroffene von Anfang an gut begleitet, sinkt auch das Risiko für Depression im Alter, Alzheimer, Demenz und Krebs.“

Die Bürger:inneninitiative kann man hier unterstützen.

Was braucht es sonst noch?

Insbesondere auch die Art und Weise, wie die Mitteilung der Diagnose abläuft, beeinflusst das Erlebte stark. Betroffene erzählen oft, dass es auch bei Ärzt:innen, Pflegepersonal und Hebammen an Mitgefühl oder Wissen mangelt. Miriam Jakl betont, dass es ebenso wichtig sei, medizinisches Personal besser zu schulen, um Betroffenen mit der notwendigen Empathie und aktuellem Fachwissen zur Seite stehen zu können. In der Hebammenausbildung beispielsweise werde das Thema nun bereits etwas mehr behandelt, den Großteil ihres Wissens zu (frühen) Schwangerschaftsverlusten und deren Verarbeitung hat sie sich jedoch durch Fortbildungen und eigene Erfahrung angeeignet. Auch Studien bestätigen, dass sich vor allem Hebammen mehr Schulungen zum Thema wünschen, da sie in der Praxis oft damit in Berührung kommen und die Betreuung von Schwangerschaftsverlusten auch für sie stark belastend sein kann. Eine umfassende Wissensvermittlung in diesem Bereich sollte daher bereits ins Medizinstudium sowie in die Ausbildung von Hebammen und Pflegepersonal einfließen.

Betroffene müssen sich aktuell selbst um die (psychologische) Betreuung nach einem Schwangerschaftsverlust kümmern. Es gibt zwar Vereine, die bei der Verarbeitung unterstützen, jedoch müssen Eltern sich selbst bei ihnen melden. Im Krankenhaus bekommen sie meist nur wenige Infos dazu. Betroffenen fehle es gerade in der ersten Zeit häufig an Energie, um selbst nach Unterstützung zu suchen und sich durch den Dschungel an Angeboten zu kämpfen, erklärt Miriam Jakl. Die vorhandenen Hilfsangebote müssen besser kommuniziert werden; man sollte aktiv auf Betroffene zugehen und sie mit Beratungsstellen vernetzen. Die fehlende Wahrnehmung sei nämlich eines der Hauptprobleme. „Ich würde mir wünschen, dass unsere Angebote in den Krankenhäusern prominenter aufliegen. So können alle betroffenen Eltern erreicht werden. Einen Zettel nach einer Fehlgeburt in die Hand gedrückt zu bekommen, reicht nicht aus“, so Jakl.

Sie fasst es so zusammen: “Am wichtigsten ist es, Betroffenen genügend Zeit für Entscheidungen und die Verarbeitung zu gewährleisten – egal, wie diese aussehen. Man muss sie fragen: ‘Was braucht ihr gerade?’ und Betroffene dann individuell betreuen. Nur so kann man sie wirklich auffangen und schwerwiegende Folgen vermeiden.”

 

Unterstützungsangebote nach Schwangerschaftsverlusten

Seit 1.4.2017 ist es in Österreich außerdem möglich, seine früh verstorbenen Kinder auch unter 500 Gramm Geburtsgewicht ins Personenstandsregister eintragen und sich eine Urkunde ausstellen zu lassen.

 

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