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Ungleichheit

Sie ist tot, er hat sie getötet: Die Femizide in Österreich im Jahr 2023

Femizide in Österreich ergeben leider auch 2023 wieder eine lange Liste. Am Bild sieht man eine künstlichere Protestaktion gegen Gewalt an Frauen. Puppen mit Spruchbändern des Widerstands sind an einem öffentlichen Platz aufgestellt. Etwa "Es ist nicht egal" oder "Talk about it".
Femizide in Österreich ergeben leider auch 2023 wieder eine lange Liste. Foto: Mika Baumeister/Unsplash Installation „Broken/(Un)broken“ des Künstlers Dennis Josef Meseg
Ende November, es ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen. In Österreich haben die Autonomen Österreichischen Frauenhäuser (AÖF) bisher 2023 insgesamt 41 Mordversuche an Frauen und 27 erfolgte Frauenmorde registriert. 25 der Tötungen wertet die Organisation als sogenannten “Femizid” (Stand 8.11.). Es werden leider vermutlich nicht die letzten bleiben.
Hinter diesen Zahlen stehen echte Menschen. Die Tötung ist oft nur der Endpunkt einer langen Spirale der Gewalt. Was ist passiert? Wir listen die einzelnen Fälle auf. 

Das sind die 25 bisherigen Femizide des Jahres 2023

#1 – 13.1.2023, NÖ, Berndorf, Bezirk Baden: Ein 57- jähriger Mann streitet mit seinen beiden Schwestern über Geld. Der Bruder nimmt ein Messer. Er tötet eine der Schwestern und verletzt die andere schwer. Er begeht nach der Tat mit einer Schusswaffe Suizid. Das Ermittlungsverfahren gegen den Täter wird infolge seines Todes eingestellt.
Sie wird 59 Jahre alt.

#2 – 25.1.2023, Steiermark, Mürzzuschlag: Sie ist von ihrem Mann geschieden, lebt aber aus finanziellen Gründen noch mit ihm zusammen. Sie möchte sich von ihm auch räumlich trennen. Das sagt sie ihm, während sie zu zweit im Keller sind. Er tötet sie mit dutzenden Messerstichen. Die Frau verblutet. Sie wird tot von ihrer 13- jährigen Tochter gefunden. Die Geschworenen entschieden, dass es kein Mord, sondern Totschlag war. Er wird zu 7 Jahre Haft verurteilt.
Sie wird 34 Jahre alt.
 
#3 – 9.2.2023, Kärnten, Gemeinde Eberndorf/ Edling: Vor einer Aufbahrungshalle wird eine tote Frau gefunden. Sie wird am Heimweg in der Nacht zuvor am Fundort niedergeschlagen. Sie kann nicht mehr aufstehen und erfriert. Drei Männer aus ihrem Umfeld werden verdächtigt aber bisher bleibt der oder die Täter:in unbekannt.
Sie wird 62 Jahre alt.
 
#4 – 12.2.2023, OÖ, Bad Leonfelden, Bezirk Urfahr- Umgebung: Ein 18- jähriger und seine Bekannte gehen in ein Casino in Tschechien. Auf dem Heimweg kommt es zum Streit. Er hat im Casino Geld verloren, will zurückfahren und weiterspielen. Seine Begleiterin möchte nach Hause. Er schlägt und würgt sie im Auto. Sie versucht zu flüchten. Er greift zu zwei Schneestangen und tötet sie mit Stichen und Tritten. Sonntagfrüh findet ein Autofahrer die Leiche der Schülerin. Das Urteil: 18 Jahre Haft, außerdem Unterbringung in einem forensisch-psychiatrischen Zentrum.
Sie wird 19 Jahre alt.
 
#5 – 1.3.2023, Wien, Liesing: Er wird schon länger von der Polizei als Hochrisikofall eingestuft. Dreimal wird über ihn ein Betretungs- und Annäherungsverbot gegenüber seiner Mutter verhängt. Zum Zeitpunkt der Tat gibt es keines. Nachbar:innen haben öfter Auseinandersetzungen gehört. Der 22-Jährige ist verpflichtet, Beratungstermine beim Bewährungshilfeverein wahrzunehmen. Er besucht seine Mutter, möchte sich bei einem Zustelldienst etwas zu essen bestellen. Die Mutter nicht. Sie streiten. Er greift zum Messer und tötet sie. Der Mann wird für den Mord an seiner Mutter zu 20 Jahren Haft verurteilt.
Sie wird 54 Jahre alt.
 
#6 – 13.3.2023, Steiermark, Graz- Umgebung, Raaba: Er ist bei der Polizei auffällig: Betrunken Fahren, Betretungsverbote, Wegweisungen, häusliche Gewalt. Nachbarn sind seine Wutausbrüche und Alkoholprobleme bekannt. Es kommt zwischen dem Paar zum Streit. Er stößt die Frau zu Boden und schlägt sie gegen ihren Hals. Am nächsten Tag ruft er die Polizei. Der 30-jährige Lebensgefährte ist geständig, die Frau im Streit getötet zu haben.
Sie wird 33 Jahre alt.
 
#7 – 3.4.2023, NÖ, Bezirk Gänserndorf, Strasshof an der Nordbahn: Sie ruft um 4.55 Uhr in der Früh bei der Polizei an und sagt, sie wird mit einem Messer bedroht. Als die Polizei eintrifft, ist die Frau tot. Der 27 – jährige Sohn tötet seine Mutter mit einem Messer und verletzt seinen Stiefvater und sich selbst schwer. Der Täter ist laut einem psychiatrischen Gutachten nicht zurechnungsfähig und damit nicht schuldfähig. Die U-Haft wird in eine vorläufige Anhaltung umgewandelt. Der Fall liegt weiter bei der Staatsanwaltschaft.
Sie wird 60 Jahre alt.
 
#8 – 6.4.2023, Wien, Ottakring: Sie stirbt in Folge eines stumpfen Schädel-Hirn-Traumas. Ihr 53- jähriger Lebenspartner schreibt seiner Mutter, dass sich seine Freundin nicht mehr bewegt. Kurz darauf trifft die Polizei in der Wohnung ein. Ob der Tod der Frau vorsätzlich oder durch einen Unfall herbeigeführt wurde, ist derzeit noch Gegenstand von Ermittlungen. Der Mann wird freigelassen.
Sie wird 57 Jahre alt.
 
#9 – 22.4.2023, Steiermark, Graz, Wetzelsdorf: Sie will die Beziehung beenden. Es folgt ein Streit. Er geht mehrmals mit dem Messer auf sie los. Er verletzt sie schwer und flüchtet. Ein Nachbar findet sie und leistet Erste Hilfe. Sie stirbt noch vor Ort. Der Täter fährt mit dem Auto bewusst frontal in ein entgegenkommendes Fahrzeug und tötet dabei   einen 31- jährigen Grazer. Der Täter muss sich wegen Doppelmordes vor Gericht verantworten. Ein Prozesstermin steht noch nicht fest.
Sie wird 39 Jahre alt.
 
#10 – 5.5.2023, Steiermark, Bezirk Murtal, Hohentauern: Sie hat sich bereits im Jänner von ihm getrennt. Am 5.5 erwürgt er sie bei ihr zu Hause. Nach der Tat versucht er Suizid. Der 24- jährige ist wegen Mordes angeklagt.
Sie wird 22 Jahre alt.
 
#11 & #12 – 14.6.2023, Steiermark, St. Peter am Kammersberg: Die Polizei findet drei Tote mit Schusswunden. Einen Mann, seine Ehefrau und eine weitere Frau. Die registrierte Schusswaffe wird in der Nähe des 47- jährigen Mannes festgestellt. Er tötet die beiden Frauen und dann sich selbst. Die Ermittler gehen demnach von einem Doppelmord aus.
Die Frauen werden 62 und 65 Jahre alt.
 
#13 – 3.7.2023, Wien, Ottakring: Sie hat ihm gesagt, dass sie ihn nicht mehr liebt.Der 35-jährige tötet sie mit einem Messer. Er überlebt einen Suizidversuch und ist geständig.
Sie wird 28 Jahre alt.
 
#14 – 7.7.2023, Kärnten, Eberndorf: Sie ist seine Ex- Frau. Sie trinken etwas. Sie stürzt. Das macht ihn wütend. Er tötet sie mit einem Messer. Er gesteht es seiner Tochter per SMS und überlebt einen Suizidversuch. Der 69-jährige befindet sich in Untersuchungshaft.
Sie wird 62 Jahre alt.
 
#15 – 25.7.2023, Steiermark, Bezirk Weiz, Birkfeld: Ihre Söhne können sie telefonisch nicht mehr erreichen. Die Polizei trifft ein und findet das Ehepaar tot auf. Ihr Ehemann erschießt sie mit der registrierten Schusswaffe und begeht nach der Tat Suizid. Eine „psychische Erkrankung“ soll laut Polizei der Hintergrund sein. Der 66-Jährige hatte ein waffenrechtliches Dokument und war rechtmäßig im Besitz der Schusswaffe.
Sie wird 65 Jahre alt.
 
#16 – 8.8.2023, Salzburg, Flachgau, Lamprechtshausen: Sie wird mit einem stumpfen Gegenstand von ihrem 41- jährigen Ehemann getötet. Nach der Tat begeht er Suizid.
Sie wird 35 Jahre alt.
 
#17 – 27.8.2023, Steiermark, Altenmarkt bei Fürstenfeld: Er ist eifersüchtig. Sie streiten. Ihr 55- jähriger Ehemann tötet sie mit einem Messer. Er begeht mit seiner registrierten Schusswaffe Suizid.
Sie wird 42 Jahre alt.
 
#18 – 6.10.2023, Wien, Liesing: Sie wird von ihrem 63- jährigen Ehemann mit einem Messer getötet. Er begeht einen Suizidversuch und liegt danach mit lebensgefährlichen Verletzungen auf der Intensivstation. Gegen ihn wird wegen Mordverdacht ermittelt.
Sie wird 34 Jahre alt.
 
#19 – 6.10.2023, Wien, Leopoldstadt: Ein 64- jähriger Mann tötet seine Ehefrau mit einem Messer.
Sie wird 54 Jahre alt.

#20  -15.10. 2023 Wien, Hietzing: Sie streitet mit ihrem 73-jährigen Vater. Er tötet sie mit einer Schusswaffe. Nach der Tat begeht er mit seiner registrierten Waffe Suizid. Neben dem Toten wurde eine auf ihn registrierte Faustfeuerwaffe gefunden.
Sie wird 51 Jahre alt.
 
#21 – 21. 10. 2023, Steiermark, Wolfsberg im Schwarzautal: Sie ist bereits einige Monate geschieden. Ihre Tochter findet sie zu Hause schwer verletzt und versucht sie zu reanimieren. Die Frau stirbt noch vor Ort. Ihr 52- jähriger Ex- Mann hat sie mit seiner registrierten Schusswaffe getötet. Nach der Tat begeht er Suizid.
Sie wird 47 Jahre alt.
 
#22 – 21.10. 2023 NÖ, Strasshof an der Nordbahn: Ein Mann tötet seine Ex- Freundin mit einer illegalen Schusswaffe auf offener Straße. Sie waren 15 Jahre ein Paar, als sie sich Ende August von ihm trennt und bei ihrer Mutter einzieht. Vor ihrem Haus tötet der 35- jährige sie. Es hat zuvor auch körperliche Übergriffe gegeben. Der Mann habe ein verpflichtendes sechsstündiges Anti-Gewalt-Training absolviert.
Sie wird 33 Jahre alt.
 
#23 – 22.10.2023, OÖ, Linz: Sie ist schwer krank. Ihr 81- jähriger Ehemann tötet sie und begeht danach Suizid. Die Ermittler gehen von einem “erweiterten Suizid” aus (Anm.: – dabei geschieht die Tötung ohne das Wissen des Opfers.)
Sie wird 78 Jahre.
 
#24 – 29.10. 2023, NÖ, Bezirk Krems, Langenlois: Ihr 34-jähriger Ex-Partner tötet sie auf einem Friedhof in Tschechien. Danach tötet er sich in einer Scheune selbst.
Sie wird 39 Jahre.
 
#25 – 7.11.2023, Steiermark, Bezirk Murtal, Pöls Oberkurzheim: Er ist eifersüchtig und tötet seine Ehefrau mit einem Messer. Der 61- jährige befindet sich derzeit in Untersuchungshaft. Er hat bereits ein umfassendes Geständnis abgelegt.
Sie wird 57 Jahre.

Was ist ein Femizid?

Wir halten uns bei unserer Auflistung an die Definition, die die Autonomen Österreichischen Frauenhäuser verwenden. Diese lautet folgendermaßen: “Femizid ist die vorsätzliche Tötung einer Frau durch einen Mann aufgrund ihres Geschlechts bzw. aufgrund von ‘Verstößen’ gegen die traditionellen sozialen und patriarchalen Rollenvorstellungen, die Frauen zugeschrieben werden. Femizide gehören daher zu den Hassverbrechen.”

Warum sind Femizide überhaupt eine eigene Kategorie?

Weil sich Tötungen an Männern und Frauen bzw. deren Motive deutlich unterscheiden – es also geschlechtsspezifische Besonderheiten und Probleme gibt, die man auch lösen und deshalb in einem ersten Schritt konkret beschreiben sollte. 

Einige Beispiele: Männer werden in Österreich insgesamt seltener Opfer von Tötungsdelikten als Frauen. Das ist im Vergleich mit anderen Ländern durchaus ungewöhnlich. Es liegt unter anderem daran, dass Österreich recht wenig Kriminalität hat. Wenn Kriminalität gewalttätig wird, sind Männer häufiger davon betroffen.

Frauen sind aber häufiger Opfer von Tötungsversuchen in persönlichen Beziehungen – etwa durch (Ex-)Partner, Väter, Brüder oder Söhne. Getötete Männer stehen seltener in einer nahen persönlichen Beziehung zu den Täter:innen. Und was diese Form der Gewalt anbelangt steht Österreich international nicht gut da.

Was sich bei Tötungen von Männern und Frauen gleicht, aber trotzdem geschlechtsspezifisch ist, ist die Tendenz bei den Täter:innen. Sowohl männliche als auch weibliche Tötungsopfer werden hauptsächlich durch Männer getötet. Das Institut für Konfliktforschung hat alle Tötungen und Tötungsversuche erhoben, die es zwischen Jänner 2010 und Dezember 2020 in Österreich gab. 395 Tötungsversuche wurden von Männern begangen – nur 44 von Frauen (und 10 von ungeklärten Täter:innen). Männer vollenden den Versuch auch häufiger (275 zu 25 Tötungen, bei 20 ungeklärten).

Insbesondere bei Tötungen innerhalb von Familienverhältnissen machten Männer 96,3%  der Täter:innen aus.

Was sollte ich zu dem Thema noch wissen?

Woher kommt die Gewalt gegen Frauen? Wie erzeugen wir Täter? Wer sind die Opfer und ihre Angehörigen? Welche Schuld tragen oder welchen Beitrag leisten Gesellschaft, Kultur, Medien und Staat? Und was lässt sich verbessern? In unserem preisgekrönten MOMENT.at Podcast „Man tötet nicht aus Liebe“ besprechen wir all das ausführlich. 

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