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Ungleichheit
Kapitalismus

Wohnen ohne Strom am Gaudenzdorfer Gürtel: Wie eine Bande mit Untermieten Geld abzockt

Man sieht ein graues Wohnhaus.
Dutzende Menschen leben in einem schrottreifen Haus, ohne Heizung, Strom und Warmwasser - und zahlen horrende Mieten. Dahinter steckt eine Masche mit verschachtelten Untermietkonstruktionen, Strohmännern und mutmaßlich kriminellen Abzockern. Alle Beteiligten streiten ab und beschuldigen andere, die Drahtzieher zu sein. MOMENT.at deckt den Krimi um Immobilien-Spekulation und die "Geldbeschaffungsmaschine" am Gaudenzdorfer Gürtel auf. So wie dort läuft es an vielen Orten in Wien. Heute treffen sich die Beteiligten vor Gericht.
„Pass auf dich auf“ steht auf dem Zettel an einer Wand in dem heruntergekommenen Haus am Gaudenzdorfer Gürtel in Wien. Daneben die arabische Übersetzung. Darunter hat jemand handschriftlich das Wort “kommen” dekliniert: Ich komme, du kommst und so weiter. Die Person hat Deutsch gelernt. Inmitten eines großen Raums, in dem bis auf eine Miniküche mit zwei Herdplatten, Spüle und Kühlschrank nichts steht. Aus dem Wasserhahn fließt kein Wasser. Wenn man den Kühlschrank öffnet, bleibt es dunkel. Die Jalousien vor den Fenstern sind heruntergelassen. Sie versperren den Blick auf den vier Spuren breiten Wiener Gürtel. Der Lärm der vorbeirauschenden Lastwagen und Autos ist trotzdem gut zu hören.

Easyroom.at steht in verblassten braunen Buchstaben an der Fassade des Hauses. Das ehemalige Hostel an der Adresse Gaudenzdorfer Gürtel 41 wirkt wie verlassen. Es steht offen. Jede:r kann die Haustür aufdrücken und einfach hereinspazieren. Aber wer will das schon? Vor einigen Wochen hat jemand im 3. Stock die Armaturen gewaltsam entfernt. Was folgte, war eine Überschwemmung bis in die unteren Stockwerke. Wasserlachen am Linoleum-Boden zeugen davon. Und doch leben hier Menschen. Vor einigen der früheren Gästezimmer stehen Schuhe. An einer Tür hängt ein Blatt Papier: „Ohne Strom kein Leben in Österreich. Ich schlafe ohne Strom. Aber das geht nicht leider“, steht darauf. Es klingt wie ein Hilferuf.

Geldbeschaffungsmaschine am Gaudenzdorfer Gürtel

Es ist ein Hilferuf von denen, die ganz unten stehen in einer Reihe von Deals zwischen einem Hausbesitzer und seinen Geschäftspartner:innen. In den Hauptrollen: Die Immobilienfirma Pecado und dessen Geschäftsführer Stanislav Hnat. Ihm gehört das Haus. Die Immobilienverwaltung Omega und ihr Chef Christian Ulreich sollten sich um das Gebäude kümmern. Dazu kommt Hnats – inzwischen ehemaliger – Mitarbeiter Christian N. Er soll sich vor Bewohner:innen des Hauses als Besitzer ausgegeben haben. Mit an Bord brachte N. seinen – jetzt ebenfalls ehemaligen – Geschäftspartner Michael S. Er spielte den Vermieter für die Zimmer. Sie machten aus dem leerstehenden Haus eine “Geldbeschaffungsmaschine”, wie es ein Beteiligter nennt.

Ihre Masche, die anrüchig aussieht, aber legal ist: Vermittelt von N. mieteten S., dessen Lebensgefährtin und eine weitere Frau das ganze Haus etagenweise von Hnats Pecado. Und Michael S. untervermietete dann die einzelnen Zimmer der Etagen an Bewohner:innen. Der Clou: Lösen Pecado und S. den Hauptmietvertrag, sind auch alle Untermietverträge nicht mehr gültig. Die Bewohner:innen können einfach wieder aus dem Haus geworfen werden. Hnats Pecado will das frühere Billig-Hostel zu einem schönen Hotel umbauen. Doch bis er mit seiner Baufirma loslegen und das Haus sanieren kann, steht es leer. Es zwischenzeitlich unterzuvermieten, würde Geld einbringen. Geld, das Hnats Firma offenbar dringend braucht.

Umgehungskonstruktionen kennen wir. Aber sowas haben wir noch nicht erlebt.
Christian Bartok, Wiener Mieterhilfe

Die Anzeigen dafür gingen zielgerichtet an Menschen, die auf dem freien Wohnungsmarkt kaum eine Bleibe finden: weil ihre Hautfarbe, Herkunft, fehlenden Deutschkenntnisse oder ihr prekärer Status nicht passen. Sie stellen weniger Ansprüche und zahlen dafür mehr – selbst für eine Bruchbude und selbst, wenn dort nicht einmal Warmwasser und Heizung funktionieren. “Das ist grauslich abgelaufen. Die nutzen die Notlage der Menschen aus”, sagt ein Mitarbeiter eines Versorgungsunternehmens zu MOMENT.at. Es gibt zahlreiche andere Häuser, in denen dieselbe Masche ablief und offenbar noch immer läuft. Christian Bartok, Bereichsleiter bei der Wiener Mieterhilfe kann einiges erzählen über Pecado und “Umgehungskonstruktionen”, wie er sie nennt. “Aber sowas wie dort haben wir noch nicht erlebt”, sagt er zu MOMENT.at.

Die Beteiligten des fantasievoll bis möglicherweise kriminell gestrickten Konstrukts überhäufen sich inzwischen gegenseitig mit Vorwürfen. Von Besitzer Stanislav Hnat bis “Vermieter” Michael S.: Alle bestehen darauf, selbst Opfer zu sein. Täter:innen waren die anderen. Und wo das Geld geblieben ist – in bar einkassierte Mieten, Provisionen und Kautionen -, weiß scheinbar auch niemand. MOMENT.at ging den Spuren nach, konnte Einblick nehmen in Verträge, Gesprächsprotokolle, E-Mails und sprach mit allen: den echten und angeblichen Opfern und den möglichen Täter:innen. Es ist ein vertrackter Fall, der zeigt, mit welchen Methoden am Wiener Immobilienmarkt gearbeitet wird. “Es geht allen nur ums Geld”, sagt Hausbesitzer Stanislav Hnat zu MOMENT.at. Und ihm? “Ich bin Geschäftsmann. Ich habe eine Firma und muss meine Mitarbeiter bezahlen. Ich brauche meine Mieteinnahmen.”

Jetzt steht einer der Beteiligten der Masche vor Gericht

Gekämpft wird mit harten Bandagen. Gesprächspartner möchten so manche Dinge lieber nicht offen sagen. “Sonst stehen bald ein paar unfreundliche Leute vor meiner Tür”, sagt einer. Und ein weiterer meint, passend dazu: “Anderswo wird so etwas einfach geregelt. Da schickt man jemanden vorbei.” Was am Gaudenzdorfer Gürtel ablief, beschäftigt inzwischen Gerichte. Am heutigen 22. Mai steht ein Prozesstermin vor dem Bezirksgericht Wien-Meidling an: Gegen S. und seine Lebensgefährtin, die die Zimmer vermieteten, aber mutmaßlich nicht auf eigene Faust handelten. Hnat ist als Zeuge geladen. “Ich werde alles aussagen. Die müssen bekommen, was sie verdienen”, sagt er am Telefon.

Freunde in der Heimat können sie sich kaum vorstellen, dass so etwas in Wien möglich ist.
Hausbewohner Hoshyar

Einer, der die “Geldbeschaffungsmaschine” fütterte, ist Hoshyar. Er heißt nicht wirklich so. Wir haben seinen Namen geändert. Hoshyar fürchtet Konsequenzen. Im vergangenen November zog er in eines der früheren Hostel-Gästezimmer ein und wohnt bis heute hier. 500 Euro Miete soll er laut Untermietvertrag für 30 Quadratmeter Wohnraum zahlen. Auf seiner Etage gibt es sechs Duschen, ein paar Waschbecken, einen Gemeinschaftsraum – und nichts funktioniert: kein warmes Wasser, keine Heizung. Der 45-Jährige ist Tierarzt, spezialisiert darauf, Kühe trächtig zu machen, damit sie Milch geben. Gerne würde er auf einem Bauernhof am Land arbeiten. Bisher hat er nichts gefunden. Hoshyar stammt aus Mossul im Irak und ist seit zwei Jahren in Österreich. “Wenn ich meinen Freunden in der Heimat erzähle, wie ich hier lebe, können sie sich kaum vorstellen, dass so etwas in Wien möglich ist”, sagt er.

Stromkosten von bis zu 200.000 Euro sind offen

Ein paar Wochen nachdem er eingezogen war, gibt es im Haus keinen Strom mehr – und das ist bis heute so. Ende November kappen die Wiener Netze die Stromzufuhr zum Haus und nehmen den Stromzähler mit. Schon zuvor war der Strom eigentlich abgeschaltet. Der Liefervertrag mit Wien Energie endete im April 2022. Doch danach überbrückte jemand die Vorsicherung am Zähler. Ab dem Sommer floss der Strom wieder, illegal. Und bezahlt wurde er natürlich auch nicht. Den Bewohner:innen wurden dennoch monatlich Kosten für Strom und Heizung verrechnet. Sie zahlten im guten Glauben, dass das schon seine Richtigkeit habe. Hoshyar erfährt erst im Gespräch mit MOMENT.at, dass jemand hier getrickst hat, und schüttelt den Kopf.

Als der Techniker am 23. November zum Haus kommt und beginnt, am Stromkasten herumzuschrauben, sorgt das im Haus für Aufruhr. “Einer hat das gesehen und dann sind alle runter”, schildert Hoshyar. Der Techniker ruft die Polizei. Die kommt mit einem halben Dutzend Einsatzwagen. Hoshyar und die anderen Bewohner:innen sind aufgebracht. “Wir haben gehofft, dass die Polizei das sieht und etwas tut für uns”, sagt Hoshyar. Aber die Beamt:innen sind nur da, um für Ruhe zu sorgen.

Laut Christian Call, Sprecher von Wiener Netze, seien bis Ende November 180.000 bis 200.000 Euro Kosten durch die “widerrechtliche Stromentnahme” zusammengekommen. Ein Riesenbetrag. Call erklärt es so: “Nachdem in dem Haus kein Gas bezogen wurde, vermute ich, dass mit Strom auch Warmwasser bereitet und geheizt wurde”, sagt er zu MOMENT.at. Besitzer Hnat und seine Pecado sagt: Sie hätten gar nicht gewusst, aus welchem Anlass der Stromzähler abmontiert wurde. Call von Wiener Netze sagt anderes: Nachdem sie festgestellt hatten, dass illegal Strom bezogen wurde, “haben wir den Eigentümer informiert und der hat uns beauftragt, dafür zu sorgen, dass das beendet wird”. Handlungsspielraum habe es für Wiener Netze nicht gegeben – auch wenn klar war, dass von nun an die mindestens 30 Bewohner:innen des Hauses im Dunkeln sitzen würden.

Heizen mit Kerzen, geduscht wird mit Schöpflöffel

Wie es sich in so einem Haus lebt? Im Winter kaufte Hoshyar kleine Wärmekerzen vom Hofer, um es auszuhalten. Damit abends zumindest etwas Licht das Zimmer erhellt, besorgte er eine mobile Solaranlage, die Strom erzeugt. Die 1.200 Euro dafür zahlte er aus eigener Tasche. Essen machen er und die anderen Bewohner:innen auf einer kleinen Kochplatte warm, gespeist von Gaskartuschen. Es ist wie beim Camping, nur ohne die Romantik. Gleich sieben Stück davon müssen sie wöchentlich kaufen, sagt Hoshyar. Die Kochplatte erhitzt auch das Wasser fürs Duschen. “Das warme Wasser schaufeln wir dann aus dem Topf raus”, sagt Hoshyar. Ihre Kleidung waschen sie in einem Waschsalon. Das kostet auch jedes Mal. So läuft das. “Wir haben uns an die Situation angepasst.”

Aufmerksam geworden war er auf die Wohnmöglichkeit über eine Facebook-Gruppe der arabischen Community. Dort stellte jemand eine Anzeige ein. Hoshyar meldete sich. So lernte er Michael S. und dessen Lebensgefährtin kennen. Sie regelte alles: Vom Erstkontakt, über die Besichtigung und die Gespräche darüber, was das Zimmer denn kosten sollte. Die Lebensgefährtin von S. spricht Arabisch als Muttersprache, das machte es leichter. Denn Hoshyar spricht kaum Deutsch. Er besucht täglich Kurse, um besser zu werden. Hoshyar fotografierte den ausschließlich auf Deutsch verfassten Mietvertrag ab, übersetzte ihn mithilfe eines Freundes und Google Translate, und war dann bereit zu unterschreiben. Sein Vermieter von nun an: Michael S. “Herr Michael” haben sie ihn im Haus genannt.

 
Zettel mit Vokabeln Deutsch Arabisch in Haus am Gaudenzdorfer Gürtel.

Deutschtraining in der Küche: Zettel mit Vokabeln im Haus am Gaudenzdorfer Gürtel. Foto: A. Bachmann


MOMENT.at konnte zahlreiche der von S. aufgesetzten Verträge einsehen. Sie lauten immer gleich: Knapp 350 Euro Kaltmiete, dazu 9 Euro Betriebskostenpauschale, 20 Euro für mitvermietete Möbel und 40 Euro für Strom, Heizung, Warmwasser. Dazu die Umsatzsteuer von 20 Prozent. In Summe exakt 500 Euro. Bevor Hoshyar einziehen konnte, wollte “Herr Michael” Geld von ihm: 500 Euro an Provision, 500 Euro Kaution, 300 Euro für die Errichtung des Vertrags und die erste Miete von ebenfalls 500 Euro. Hoshyar gab ihm 1.800 Euro in bar. Es ist unwahrscheinlich, dass er das Geld wiedersieht.

Absurde Verträge: Kein Strom, keine Heizung, trotzdem Miete

“Sehr teuer”, nennt Bartok von der Mieterhilfe das, was die Bewohner:innen für die Zimmer abdrücken mussten. Auf den Quadratmeter umgelegt, zahlte Hoshyar 11,66 Euro Kaltmiete. Über 8 Euro mehr als für Wohnungen der Kategorie C verlangt werden kann. Dazu wäre eigentlich noch ein Abschlag von 25 Prozent fällig geworden. Denn die Verträge sind alle auf 36 Monate befristet. Und ob von einem brauchbaren Zustand gesprochen werden kann in einem Zimmer, das nicht beheizt und ohne Strom ist, lässt sich ausschließen. “Das berechtigt zu einer 100-prozentigen Mietpreisreduzierung”, sagt Bartok.

In den Verträgen steht eine Klausel, die einem die Haare aufstellt: Die Mieter:innen verpflichten sich “aus zeitweiligen Störungen oder Absperrungen der Wasserzufuhr oder Absperrungen an den Gas-, Licht-, Kraft-, und Kanalisierungsleitungen und dergleichen keinerlei Rechtsfolgen abzuleiten“. Heißt im Klartext: Wird der Strom im Haus abgedreht, muss trotzdem Miete bezahlt werden. “Das ist gröblich benachteiligend und nicht zulässig”, sagt Bartok. Vor Gericht hält so ein Vertrag niemals. Doch die Bewohner:innen zahlten. Auch Hoshyar überwies noch im Dezember die 500 Euro Miete.

Ich habe alles der Polizei übergeben und sage dazu nichts mehr.
Vermieter Michael S.

Mindestens 30 solcher Verträge schloss S. mit Untermieter:innen im ehemaligen Hostel am Gaudenzdorfer Gürtel ab. Das macht in Summe 15.000 Euro monatlich, die er in bar auf die Hand kassierte und einsteckte. Dazu die Provisionen für ihn und die Kautionen, von denen niemand genau zu wissen scheint, wo sie gelandet sind. S. drückte auf die Verträge eine Art Firmenstempel: “Konsolent [sic] Werbe & Immobilien” steht darauf, und eine Telefonnummer. Als MOMENT.at anruft, um mit ihm über seine Geschäfte zu reden, reagiert S. kurz angebunden: „Ich habe alles der Polizei übergeben und sage dazu nichts mehr“, ruft er ins Telefon und legt auf.

Es gibt ein Foto von ihm. Ein Mann, der mit ihm einen Untermietvertrag schloss, hat es geschossen. S. sitzt ihm da in einem Kaffeehaus gegenüber. Schlohweißes halblanges Haar, randlose Brille, roter Pullover, darüber eine rote Daunenjacke. Um sicherzugehen, dass wir immer über die richtigen Personen reden, haben wir es vor dem Gespräch mit Hoshyar ausgedruckt und zeigen es ihm. “Ja, das ist S.”, sagt er. Hinter dem Foto seines Vermieters angeheftet, ist das Bild eines weiteren Mannes: Ein freundlich lächelnder Mittfünfziger mit Halbglatze. Gekleidet in Anzug, rosa Hemd und Krawatte mit bunten Punkten. Am Revers trägt er die Anstecknadel von Remax, eines Franchise-Unternehmens für Immobilienvermittlung. “Halt, den kenne ich auch”, sagt Hoshyar. “Der hat sich als Besitzer des Hauses vorgestellt.”

Der falsche Mann gab sich als Hausbesitzer aus

Es ist Christian N. Und nein, er ist nicht der Besitzer des Hauses. Aber er tat mutmaßlich so. Seine früheren Geschäftspartner, Hausbesitzer Stanislav Hnat und Verwalter Christian Ulreich, sind nicht mehr gut zu sprechen auf ihn. Respekt haben sie aber dennoch. “Er ist nicht dumm. Das so aufzuziehen, bedarf schon einiger Überlegung”, sagt Pecado, sein ehemaliger Arbeitgeber. Nur N. habe den Intellekt dazu und das Wissen über das Immobiliengeschäft, so etwas auf die Beine zu stellen, sagt Ulreich. Es sind vergiftete Komplimente. Denn wer so schlau sei, “ist zu 100 Prozent der Drahtzieher des Ganzen”, ist Ulreich sicher. Sein früherer Chef Hnat meint sogar, N. sei Kopf einer kriminellen Bande – und er habe ihn hintergangen.

Eine Kostprobe seines Intellekts – und seiner Spitzfindigkeit – liefert N. beim ersten Versuch, mit ihm über seine Rolle bei den verwinkelten Mietgeschäften im Haus am Gaudenzdorfer Gürtel zu sprechen. “Nein, das hab ich nicht getan”, antwortet er auf die Frage von MOMENT.at, ob er Mietverträge dort geschlossen hat und legt auf. Ein paar Tage später ein neuer Anlauf und eine Textnachricht mit der Bitte um ein Gespräch. Wenig später ruft er zurück und erklärt sich. “Sie haben gefragt, ob ich dort Verträge unterschrieben hätte. Das trifft nicht zu”, sagt er – und hat recht: Als Vermieter, Hauptmieter oder Untermieter taucht er in keinem der Mietverträge auf, die MOMENT.at vorliegen. Also, falsch gefragt.

Im Herbst 2021 dockte N. bei Pecado an. Nach 30 Jahren als Selbstständiger im Immobilienmarkt “fand ich das interessant”, sagt er. Doch er hatte vielleicht noch andere, wirtschaftliche Gründe, unter das Dach der Pecado zu kommen. Seine Makler-Seite bei Remax ist offline. Blicke in Firmendatenbanken verraten: Kurz zuvor gingen zwei von ihm geführte Unternehmen in die Insolvenz. Dazu ist er in einem privaten Insolvenzverfahren. Es geht um eine persönliche Haftung für den Kredit für ein Immobilienprojekt in Klosterneuburg, 3,5 Millionen Euro. “Die Privatinsolvenz war dann die einzige Möglichkeit, da rauszukommen”, sagt er.

Ziel: Das Haus vermieten, aber jederzeit räumen können

Dass N. hier drin steckt, gibt er offen zu. Aber nicht als Drahtzieher, sondern allenfalls als Mittelsmann. Pecado-Chef Hnat sei mit einer Idee zu ihm gekommen und der Firmenanwalt mit einem fertigen Konzept. Ziel: Leerstehende Häuser vermieten, bis dort saniert, umgebaut und ausgebaut wird. Aber so, dass den Mieter:innen jederzeit gekündigt werden kann und sie aus dem Haus geworfen werden können. Das Ganze rechtskonform. Die Lösung: Pecado schließt Hauptmietverträge mit Personen ab, die gleich eine Etage mieten. Und die wiederum untervermieten die einzelnen Zimmer dort an weitere Personen, Menschen wie Hoshyar. Der Clou: Lösen die Pecado und die Hauptmieter die Verträge, gelten auch die Untermietverträge nicht mehr. So erlaubt es das Mietrecht.

Doch wer sollten die Hauptmieter:innen sein, die jederzeit einvernehmlich bereit wären, den Vertrag aufzulösen? “Hnat hat mich beauftragt, mich darum zu kümmern”, sagt N. Und er fand jemanden: Michael S. und dessen Lebensgefährtin sowie eine weitere Frau. In den Hauptmietverträgen, die MOMENT.at vorliegen, stehen die Konditionen: Für eine Etage mit 390 Quadratmetern Nutzfläche und 12 Zimmern sollte S. monatlich 4.700 Euro an Pecado zahlen. In den beiden anderen Verträgen steht ein höherer Betrag: Jeweils 5.300 monatlich. Macht insgesamt 15.300 Euro, die Pecado monatlich kassieren sollte.

Haben ob des Auftretens unseres Ansprechpartners und der Kosten davon Abstand genommen.
Caritas zu Gesprächen um Unterbringung von Ukraine-Flüchtlingen.

Genauer: die Gaudenzdorfer Gürtel 41 Immobilienentwicklung GmbH. Sie hat ihren Sitz an der Adresse von Pecado. Geschäftsführer ist Stanislav Hnat. In zahlreichen Immobilien von Pecado läuft das so. MOMENT.at liegt ein Gesprächsprotokoll  vor, in dem ein Bewohner eines Hauses in der Goldschlagstraße schildert, was er erlebt habe. Auch hier an Bord: N. und S. Dazu mehrere Tausend Euro Provisionen und Kautionen, die der Untermieter an S. habe zahlen müssen.

Von den herein kommenden Zahlungen der Untermieter:innen hätten S. und die beiden Frauen 10 Prozent für sich behalten sollen, schildert N. Doch dann kam eine neue Idee auf. Im Frühjahr 2022 flüchteten infolge des russischen Angriffskrieges auf ihr Land Zehntausende Ukrainer:innen nach Österreich. Die unterzubringen, wurde zur Herkulesaufgabe. Pecado wollte sich dem annehmen. Aus reiner Nächstenliebe aber eher nicht. Das Unternehmen führte konkrete Gespräche mit der Caritas darüber, Geflüchtete aus der Ukraine in dem Haus unterzubringen. Die Caritas bestätigt MOMENT.at, dass Mitarbeiter:innen sich das Haus angesehen hätten. “Wir haben aber ob des Auftretens unseres Ansprechpartners und der Kosten davon Abstand genommen”, heißt es von dort. Ganze 22 Euro pro Quadratmeter wollte Pecado haben. “Das ist deutlich mehr, als wir in der Lage sind zu bezahlen”, sagt die Sozialorganisation.

In den anderen Häusern hat das auch so funktioniert.
Christian N., Beteiligter des Konstrukts

Also hieß es zurück zur Ursprungsidee. N. besteht darauf: Alles sei vom Inhaber ausgegangen. Er habe die Verträge lediglich gestempelt. Es war offenbar ein erprobtes Konzept. “In den anderen Häusern hat das auch so funktioniert”, sagt N. Laut Informationen von MOMENT.at bestand etwa der Untermietvertrag in der Goldschlagstraße seit 12. Februar vergangenen Jahres. Auch die Mieter:innen selbst untervermieteten ihre Zimmer noch einmal. Laut Bewohner Hoshyar sollen in Hochzeiten 200 Menschen in dem Haus am Gaudenzdorfer Gürtel gelebt haben. Die vielen zusätzlich aufgeklebten Namen an den Briefkästen im Eingang des Hauses und die stapelweise nicht abgeholten Briefe zeugen davon, dass hier weit mehr als rund 30 Menschen gelebt haben.

Der Pecado-Chef will von nichts gewusst haben

Genau weiß es scheinbar niemand, N. nicht und auch Besitzer Stanislav Hnat nicht. Der gibt sich erstaunlich ahnungslos darüber, was in seinem Haus seit dem Sommer 2022 so alles ablief. “Das Haus stand leer, wir wollten nicht vermieten”, sagt Hnat im Gespräch mit MOMENT.at am Firmensitz seiner Pecado GmbH. Der ist ein unscheinbares einstöckiges und blau-weiß getünchtes Gebäude mit Giebeldach ganz im Süden von Simmering. Weiter raus geht es in Wien kaum. Gleich dahinter verläuft die Landesgrenze zu Niederösterreich.

Rund um den großen Besprechungstisch stehen ein Dutzend abgewetzter Bürosessel. An der Stirnseite hängt ein ziemlich großer Flatscreen. Hnat, 43 Jahre alt, Kurzhaarfrisur, trägt ein blaues Glanzsakko und darunter ein weißes Hemd. Laufschuhe an den Füßen. “Das ist das erste und letzte Mal, dass ich mit einem Journalisten über das Thema rede”, beginnt er das Gespräch. Er fühlt sich missverstanden und will ein paar Dinge klarstellen. “Es ist verrückt: Wir gelten als die Bösen, aber niemand kommt, um die Sache aufzuklären”, sagt er. Laut ihm hätten alle anderen ihn hintergangen. Laut ihm war es N., der mit der Idee kam. “Er hat uns überzeugt, dass es gut ist, die Häuser zu vermieten, anstatt sie leer stehen zu lassen.” Irgendwann wollte Hnat das aber doch nicht mehr. Er habe seinem damaligen Mitarbeiter N. am 30. Juni vergangenen Jahres verboten, Mietverträge in dem Gebäude zu schließen.

Warum aber hätten S., seine Lebensgefährtin und die weitere Frau dann überhaupt das frühere, jetzt leerstehende und heruntergekommene Hostel mieten und dafür monatlich mehr als 15.000 Euro zahlen wollen? Hnat gibt darauf keine Antwort. Christian Bartok von der Mieterhilfe sagt: “Die können schlecht davon ausgegangen sein, dass die drei dann dort einziehen.” Was Hnat sagt, ist für ihn eine Schutzbehauptung. Zudem: In den Hauptmietverträgen steht eine Klausel, die es erlaubt, die Objekte unterzuvermieten. Hnat steht darin als Vermieter. Die Verträge tragen das Datum des 16. Juli. Eigentlich steht dort 16. Juni, doch das wurde durchgestrichen und neu datiert.

Datum und Preis geändert: Hand angelegt bei den Verträgen

Überhaupt sind sämtliche Verträge an vielen – und entscheidenden Stellen – händisch geändert worden: Mal ist es das Datum, dann eine:r der Vertragspartner:innen oder die Höhe des Mietzinses, die ursprünglich anders lauten. Von den Untermietverträgen will Hnat nichts gewusst haben. “Das sind Verträge, die ein 5-Jähriger schreibt. Das habe ich nicht gekannt und nie unterschrieben.” N. und S. hätten die Untermietverträge aufgesetzt, in Eigenregie. Von den in den Hauptmietverträgen vereinbarten Mieten sei kaum etwas bei ihm angekommen. Einmal habe S. 20.000 Euro eingezahlt, das war’s. Den Rest – Kautionen, Provisionen, Mieten der Bewohner:innen – hätten andere eingesackt. “Die armen Leute dort haben ihnen ihr Geld gegeben, bar, ohne Nachweis”, sagt Hnat.

Im Juli oder August will er mitbekommen haben, was im Haus abläuft – und habe N. “aufgefordert, das zu beenden”. Das geschah aber nicht, im Gegenteil: Im Sommer 2022 nahm das Geschäft richtig Fahrt auf. In einem E-Mail von Pecado an N., das MOMENT.at vorliegt, fordert die Immobilienfirma ihren damaligen Mitarbeiter auf, “sämtliche Vermietungstätigkeit in allen unseren Häusern mit sofortiger Wirkung zu unterlassen”. Dazu äußert die Geschäftsleitung den Verdacht, N. habe Geld veruntreut und gewerbsmäßigen Betrug begangen. Nur: Der Warnschuss an N. wurde nicht im Sommer abgefeuert, sondern erst am 13. Oktober 2022. Ziemlich spät.

In der Antwort zeigt sich N. “erschüttert, dass dieser Verdacht auf mir lastet”. Er schreibt, “die Vermietung ist offensichtlich während meines Urlaubs im August durch Herrn S. aus dem Ruder gelaufen”. N. verspricht, er werde alles tun, um die Sachlage aufzuklären. Acht Tage später landet bei der Pecado ein Schriftstück. Titel: Schuldanerkenntnis. Verfasser: Michael S. Darin gibt er zu Protokoll, im Haus am Gaudenzdorfer Gürtel 41 “ohne Beauftragung, Vollmacht oder Erlaubnis und entgegen ausdrücklicher schriftlicher Anweisung” unter anderem falsch datierte Mietverträge ausgefüllt zu haben, falsch als “Vermieter” aufgetreten zu sein, Kautionen “und vermutlich Provisionen” von Untermieter:innen entgegengenommen zu haben und Mieten ohne Befugnis kassiert zu haben. S. habe dadurch einen Schaden von 33.000 Euro verursacht. Im letzten Satz des Schreibens bietet er an, “den Schaden auch durch Anbahnung von neuen Mietverträgen im Objekt Gaudenzdorfer Gürtel 41 abzuarbeiten”. Läuterung liest sich anders.

Vermieter erkennt Schuld an – auf Druck seines Geschäftspartners?

N. wäre damit reingewaschen. Zwei Wochen später landet ein weiterer Brief im Postkasten von Hnats Firma. Darin widerruft S. sein Schuldanerkenntnis. Er sei von N. gebeten worden, “diese Erklärung abzugeben”. Der habe ihm zugesichert, “dass damit keine rechtlichen Folgen verbunden sind”. N. würde dadurch lediglich “aus einer für ihn unangenehmen Situation” kommen, habe dieser ihm gesagt. Nun behauptet S., er habe alles “ausnahmslos auf Weisung und in Abstimmung mit Hrn. N.” getan.

Im November entlässt Pecado N. “Wir bereiten eine Betrugsanzeige gegen ihn vor”, sagt Firmenchef Hnat beim Interview. Er zeigt im Gespräch Whatsapp-Nachrichten an N., in denen er seinem ehemaligen Vertrauten schreibt, er werde ihn nicht davonkommen lassen und sich alles zurückholen. N. gibt sich gelassen: “Wenn er es ernst meint mit den Vorwürfen, dann soll er eben eine Anzeige stellen”, sagt er. Das sei bisher nicht erfolgt. Und was die Untermietverträge angeht: das läge ganz bei S., siehe dessen Schuldanerkenntnis.

Spätestens im Herbst musste allen Beteiligten klar gewesen sein, dass im Pecado-Haus am Gaudenzdorfer Gürtel einige Dinge schieflaufen. Am 6. September melden Bewohner:innen bei der Hausverwaltung Omega, dass es kein warmes Wasser mehr gäbe. Die Hausverwaltung informiert einen Tag später Pecado und schreibt dazu: “PS: Danke für das Tempo der Erledigungen.” Die Mail liegt MOMENT.at vor, sie ging auch an Stanislav Hnat. Erledigt wird nichts.

Das ist eine Lüge und Unterstellung. Das können Sie so zitieren.
Hausverwalter Christian Ulreich

Zwei Wochen später melden Techniker, dass im Heizkessel des Nachbarhauses rund 200 Liter Wasser verloren gegangen seien. Das Nachbarhaus speist auch das ehemalige Hostel. Erklären kann sich das niemand, die Heizung wird vorsichtshalber abgedreht. Auch als Ende November im Haus die Lichter ausgehen, passiert nichts. Hnat sagt, er habe die Hausverwaltung Omega gebeten, “dafür zu sorgen, dass der Strom wieder angestellt wird. Das wurde nicht gemacht”. Die Hausverwaltung habe ihre Pflichten verletzt und stecke mit N. unter einer Decke. “Die haben zusammengepackelt”, behauptet Hnat.

“Das ist eine Lüge und Unterstellung. Das können Sie auch so zitieren”, sagt Christian Ulreich zu MOMENT.at. Er ist Geschäftsführer der Omega-BC Hausmanagement GmbH und jetzt doch etwas aufgebracht. Seine Firma sitzt in einem ebenerdigen Büro in Wien-Ottakring, ein Pelletsofen flackert, der Espresso ist gut. Ulreich ist knapp 60 Jahre alt, sieht aber jünger aus. Er läuft Extrem-Marathons, 24 Stunden am Stück. Wer die meisten Kilometer schafft, gewinnt. Ulreich verwaltet zahlreiche Häuser für Pecado, oder besser: verwaltete.

Mit Anfang Mai beendeten die Unternehmen ihre Zusammenarbeit, im Unfrieden. Wegen der Sache am Gaudenzdorfer Gürtel wurde Ulreichs Firma öffentlich heftig kritisiert. Wie kann er zulassen, dass dort kein warmes Wasser fließt, dass es keinen Strom gibt und keine Heizung, weil irgendwo im Keller Wasser aus den Rohren tritt? „Ich bin am Pranger, und das völlig zu Recht“, sagt er. Er ist nun einmal der Verwalter des Schrotthauses.

Pecado und Omega schaffen es nicht, Strom anzustellen

Doch er sagt auch: Ihm seien die Hände gebunden. Wenn Pecado nicht will, dass der Strom angeschlossen wird, dann gibt es auch keinen. Dass er sich nicht darum bemüht habe, weist er zurück. Ulreich steht vom Café-Tisch im Vorraum seines Büros auf, geht ins Nebenzimmer und kommt mit einem Packen ausgedruckter E-Mails zurück. Schriftverkehr zwischen ihm, Pecado und Wien Energie. Von November 2022 bis Februar 2023 ging es da um die Sache mit dem Strom. Am 23. November – dem Tag, an dem der Zähler abgeschraubt wurde – schließt Ulreich mit Wien Energie einen Stromliefervertrag.

Drei Tage danach bestätigt der Versorger den Vertrag. Er müsse jetzt nur noch aktiviert werden. Ulreich gibt das weiter an Pecado und bittet um Weisung. Zwei Tage später antwortet ein Mitarbeiter von Pecado. “Meiner Meinung nach sollten wir keinen Vertrag abschließen, sofern die Verhältnisse im Objekt NICHT geklärt sind”, heißt es da. Dann passiert lange nichts. Ende Dezember startet Omega einen weiteren Anlauf. Am 27. Dezember steht der Vertrag – aber nicht lange. Wien Energie sagt zu MOMENT.at, der Kontrakt wurde schon am Silvestertag wieder gelöst, und einen weiteren gab es danach nicht.

Wie wollen wir die Räumung zeitnah durchsetzen?
Hausverwaltung in E-Mail an Pecado

Ulreichs Fazit: Er habe sich bemüht, das Haus wieder an den Strom zu bringen. Pecado habe ihn ausgebremst. In anderen E-Mails, die MOMENT.at vorliegen, zeigt sich allerdings eine andere Seite von Christian Ulreich. Am 6. Dezember schickt die Wiener Mieterhilfe eine Nachricht an Pecado und Omega mit einem angehängten Schreiben. Darin fordert ein Sachbearbeiter der Mieterhilfe, die Stromversorgung innerhalb von einer Woche wiederherzustellen und die bisherigen Untermieter:innen als Hauptmieter:innen anzuerkennen. Geschähe das nicht, werde man sich über kurz oder lang vor Gericht wiedersehen. “Das Imperium schlägt zurück”, schreibt Ulreich an einen Mitarbeiter von Pecado, “hat fast zu lange gedauert”.

Er schlägt vor: “Ich würde aus taktischen Gründen den Strom aktivieren” und erläutert das. Da es keine Heizung gibt, würden die Bewohner:innen dann Strom-Heizkörper aufstellen. Folge: Das Stromnetz würde überlastet und wieder ausfallen. Dann wären aber nicht mehr Pecado und Omega dafür haftbar zu machen, sondern die Bewohner:innen schuld. Ulreich fragt auch: “Wie soll hier allgemein vorgegangen werden? Wie wollen wir die Räumung zeitnah durchsetzen?” Spätestens hier wird klar: Der Immobilienbesitzer und die Hausverwaltung wollen die verbliebenen Bewohner:innen aus dem Haus haben. Darauf von MOMENT.at angesprochen, weicht Ulreich aus. Er habe darauf hinweisen müssen, dass das Netz überlastet werden würde. “Das ist ja gefährlich, lebensgefährlich”, sagt er. Wie ein “Hinweis” liest sich seine Nachricht jedoch nicht. Sondern eher wie ein Plan, sich aus der Verantwortung zu stehlen.

Vandalismus oder Absicht? Wasser durchflutet das Haus

Und zur Räumung: “Ich muss dort räumen, weil die Wohnungen ja nicht benutzbar sind”, sagt Ulreich. Tatsächlich verlassen in dieser Zeit viele Bewohner:innen das Haus. Verständlich angesichts der Zustände. Problem: Wer freiwillig geht, kann kaum damit rechnen, die an S. und mutmaßlich auch N. gezahlten Provisionen und Kautionen zurückzubekommen, und die überteuerten Mieten auch nicht. Bewohner Hoshyar bleibt. Er sagt: Ende Dezember seien im Haus Zettel aufgehängt worden, im Stiegenhaus neben dem nicht funktionierenden Fahrstuhl. Die Bewohner:innen wurden darin aufgefordert, das Haus bis Jahresende zu verlassen. “Von wem das kam, weiß ich nicht. Es stand kein Name oder eine Firma auf den Zetteln”, sagt Hoshyar.

Anfang Jänner sei ein unangekündigter Besuch ins Haus gekommen. Sechs Männer hätten in alle Zimmer geschaut. “Sie haben geklopft. Wenn keiner geantwortet hat, sind sie rein mit einer Kopie des Schlüssels”, berichtet Hoshyar. “Ich war schockiert.” Er wechselte danach das Schloss in seinem Zimmer aus. Beim Gespräch mit Hoshyar liegt auch ein Foto von Pecado-Chef Stanislav Hnat auf dem Tisch. Hoshyar zeigt darauf und sagt: “Das war der Mann.” Einfach in die Zimmer zu gehen und zu schauen, ist selbst laut des zwielichtigen Untermietvertrages, den Hoshyar unterschrieben hat, nicht erlaubt. Hnats Pecado bestreitet: Der Geschäftsführer sei nicht im Haus gewesen.

Flur im Haus am Gaudenzdorfer Gürtel. Am Boden Wasserlachen.

Anfang März riss jemand Armaturen aus den Duschen, Wasser schoss durchs Haus. Lachen am Boden zeugen davon. Foto: A. Bachmann


Anfang März eskaliert die Situation mal wieder: In den Waschräumen im 3. Stock des Hauses werden die Armaturen entfernt, aus den Druckleitungen schießt das Wasser, überflutet die Böden. Hoshyar und die anderen stopfen die Leitungen und ersetzen die abgerissenen Ventile und Wasserhähne – auf eigene Kosten. Hoshyar glaubt nicht, dass es ein willkürlicher Akt des Vandalismus war, von Bewohner:innen etwa oder einer Person, die zufällig vorbeikam. Er habe beobachtet, wie kurz bevor das Wasser durchs Haus lief, ein Techniker im Blaumann aus dem Haus ging. Hoshyar vermutet, Hausbesitzer oder Verwaltung hätten den Akt des Vandalismus selbst beauftragt.

Der Hausbesitzer sagt, er wurde um 400.000 Euro betrogen

“Das würde ich nie machen, weil es verwerflich ist”, sagt Ulreich von Omega. Er selbst stellte bei der Polizei Strafanzeige gegen Unbekannt wegen des Schadens. Auch Pecado weist den Verdacht zurück: “Das waren wir nicht, das wäre auch illegal.” Außerdem würde man wohl kaum das eigene Haus so schädigen. Es gibt ein Video des Vorfalls. Ende Februar tauchte es auf Twitter auf. Damit konfrontiert, behauptet Besitzer Hnat: “Dieser Wasserschaden war schon im Sommer 2022, das ist nicht aktuell.” Er ruft noch während des Gesprächs mit MOMENT.at den zuständigen Installateur an. Der bestätigt ihm das.

Für Hnat könnte die Geschichte teuer werden. “Die Kautionen wollen sie jetzt von uns zurück”, sagt er. Das betrifft nicht nur das Haus am Gürtel, sondern zahlreiche Gebäude, in denen die gleiche Masche lief. 400.000 Euro hätten die angeblichen Drahtzieher:innen an Kautionen für sich und hinter seinem Rücken abgezwackt. Wer die bis zu 200.000 Euro an offenen Stromkosten zahlen soll, ist nicht klar. Bisher habe Hnat von Wien Energie oder Wiener Netze keine Rechnung erhalten. “Das liegt jetzt aber wohl bei uns”, sagt eine Pecado-Mitarbeiterin.

Ich zahle Millionen mehr Kreditzinsen, der Verkauf läuft schleppend.
Pecado-Chef Stanislav Hnat

Zahlreiche Gesprächspartner:innen schildern, dass Pecado in den vergangenen zwei Jahren ins Schlingern geraten sein soll, was das Geld angeht. Bauarbeiten gingen sichtbar nicht voran. Kredite wurden aufgenommen, die angesichts steigender Zinsen jetzt teurer würden fürs Unternehmen. Immobilienwerte sind gefallen. Dazu kämen Investoren, die Rendite erwarteten. “Man kann nicht immer auf die Butterseite fallen, es gibt auch Schattenseiten”, umschreibt es ein Beteiligter.

Fehlen der Firma finanzielle Mittel? “Teilweise ja, teilweise nein”, sagt Hnat. An den Baustellen gehe es voran. Wenn etwas länger dauert, liege das an der Magistratsabteilung 37, also der Baupolizei. Die komme nicht hinterher, Anträge zu bearbeiten. Und zu den Krediten: “Ich zahle jetzt 2,5 Millionen Euro mehr Zinsen als vor einem Jahr, der Verkauf läuft schleppend”, gibt er zu. Aber damit hätten jetzt alle Immo-Unternehmen zu kämpfen. An seinem Plan will er festhalten und das ehemalige Hostel mit Wasserlachen im Flur, den Vandalismusschäden, der kaputten Heizung und dem fehlenden Strom bald umbauen.

Im Mai steht schon wieder die Polizei im Haus

Nur: Solange die Geschichte mit dem Haus nicht geklärt ist; solange niemand weiß, wo eigentlich das ganze Geld gelandet ist, das die dort untergebrachten Menschen zahlen mussten; solange es keine Einigung gibt, ob und wer sie entschädigt und wo sie in Zukunft wohnen sollen; und solange nicht klar ist, wer hier die Opfer sind und wer die Täter:innen; solange wird das wohl nichts.

Der bisher letzte Akt im Drama: Am 9. Mai schickt Bewohner Hoshyar eine Nachricht. Um 6 Uhr früh stand wieder die Polizei vor dem Haus. Sie brachten Papiere und Listen im Zusammenhang mit dem Haus mit, schildert Hoshyar. “Sie wollten herausfinden, wie viele tatsächlich im Haus leben”, schreibt er. Ihre Anzahl war viel größer als gedacht: rund 50 Menschen. Die Polizei will MOMENT.at “aus datenschutzrechtlichen Gründen” nichts zu dem Einsatz sagen. Hoshyar hofft, dass er bald zu seinem Recht kommt. “Ich weiß, dass das gesetzlich nicht in Ordnung ist, was mit uns passiert”, sagt er. “Aber die Verfahren dauern so lange.”

Bestes Beispiel: Zum Prozesstermin am 22. Mai waren alle Beteiligten geladen: Stanislav Hnat als Kläger gegen Michael S. Christian N. als Zeuge, ebenso Christian Ulreich von der Hausverwaltung Omega. Der Erkenntnisgewinn der dreistündigen Verhandlung war gering. Zum Schluss vertagte der Richter das Verfahren auf unbestimmte Zeit. Erst nach dem 30. Juni würde es weitergehen. Dann leitet jemand anderes das Verfahren – und wird sich wohl erstmal einlesen müssen in den Fall. Im Schrotthaus am Gaudenzdorfer Gürtel wird es nachts wohl noch lange dunkel bleiben.

*Update 22.5., 14:30 Uhr: Artikel ergänzt mit Informationen zum gelaufenen Prozesstermin.

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