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Ungleichheit

Warum der “Gemeindebau für Alleinerziehende” nicht der Weisheit letzter Schluss ist

Die Stadt Wien verspricht im neuen Gemeindebau den "optimalen Grundriss" für Alleinerziehende. Kritiker:innen bemängeln, dass die Mutter wohl in der Wohnküche schlafen soll. Die Stadt verweist auf Leistbarkeit. Geht das nicht anders?

Wohnen wird immer teurer, die nächste Mieterhöhung steht kurz bevor. Wer wenig Geld zu Verfügung hat, kann da leicht ins Straucheln kommen. Alleinerziehende leben besonders oft an der Armutsgrenze.

Die Stadt Wien kündigte in der vergangenen Woche ein großes Wohnprojekt für diese Gruppe an. Unter anderem ein neuer Gemeindebau ist entstanden, der auf die Bedürfnisse alleinerziehender Elternteile ausgerichtet sein soll. 105 Gemeindewohnungen wurden im Rahmen des Bauprojekts Wolfganggasse in Meidling geschaffen. In jedem Geschoss gibt es einen Raum, um Kinderwägen abzustellen. Im Bau gibt es einen Spielplatz, daneben einen Kindergarten.

Der Großteil der Wohnungen hat zwei Zimmer auf 46 bis 55 Quadratmeter. In einer Presseaussendung liest man, sie hätten einen „optimalen Grundriss für Alleinerziehende“.

 
Zu sehen ist der Grundriss für die Gemeindewohnungen. Es gibt einen Abstellraum, einen Vorraum, ein Bad, einen Balkon, eine größere Wohnküche und ein Zimmer.

Etwa so werden mehr als die Hälfte der Gemeindewohnungen in der Wolfganggasse aussehen. Kritiker:innen befürchten, die Mutter wird am Sofa schlafen müssen. (Grundriss bereitgestellt von der Stadt Wien, Grafik von MOMENT)

 

Felicitas* bezweifelt das. Sie zieht ihren Sohn alleine groß. „Das mit dem optimalen Grundriss kann nur ein Witz sein“, sagt sie zu MOMENT. „Wo soll die Mutter schlafen? In der Wohnküche? Das bedeutet, dass sie auf Privatsphäre verzichten muss und keinen Rückzugsort hat.“ Dazu kommt, dass Küchengeräte laut sein können. Der Kühlschrank surrt, der Geschirrspüler läuft. Oder das Kind holt sich in der Nacht ein Glas Wasser.

Alleine aus der Sicht einer Alleinerzieherin mit einem Kind ist die Wohnung zu klein, kritisiert Felicitas. Was ist mit Frauen, die mehr Kinder haben? Sie hat den Eindruck, die Stadt verstehe Alleinerziehende als aufopfernde Mütter, die nur für ihre Kinder leben.

Einen Rückzugsort hatte sie lange selbst nicht. Bis ihr Sohn vier Jahre alt war, lebten sie zu zweit in einer Einzimmerwohnung. Besuch hatte sie dort nie. Dann zogen sie in eine Wohnung mit zwei Zimmern. Felicitas musste im Wohnzimmer schlafen.

Gemeindebau für Alleinerziehende: Leistbarkeit gegen Privatsphäre?

Seit rund anderthalb Jahren lebt sie mit ihrem Sohn in einer Wohnung mit drei Zimmer. „Ich habe jetzt seit zehn Jahren zum ersten Mal ein Schlafzimmer“, sagt sie. „Das macht einen riesigen Unterschied. Ich habe endlich einen Platz für meinen Schrank. Auch im Umgang miteinander hilft das. Mein Sohn braucht seinen privaten Raum genauso wie ich.“

Felicitas engagiert sich beim „Aufstand der Alleinerziehenden“. Die Gruppe kritisiert den neuen Gemeindebau als „PR-Aktion, die mit den Bedürfnissen und Interessen von Alleinerziehenden recht wenig zu tun hat“. Es fehlen neben Rückzugsorten auch Gemeinschaftsräume im Haus.

Die Stadt sieht das anders. Der Fokus liege auf Leistbarkeit, betont die Unternehmenssprecherin von Wiener Wohnen gegenüber MOMENT. Die Wohnungen kosten pro Quadratmeter 7,50 Euro inklusive Betriebskosten. „Wir werden im Gemeindebau nicht alle Wünsche erfüllen können, aber wir versuchen, für diese Zielgruppe mehr zu leisten.“ Sie kündigt außerdem an, dass der Bau in der Wolfganggasse nur der Anfang sei. In folgenden Projekten werde man das Feedback miteinbeziehen. Es werde dann auch unterschiedliche Grundrisse und Varianten geben.

„Wohnraum ist ungerecht verteilt“

Architektin Gabu Heindl hat sich in einer eigenen Studie den Bedürfnissen von arbeitenden Frauen beim Wohnen gewidmet. Gerade in Bezug auf Alleinerziehende spricht sie von einem „Recht aufs eigene Zimmer“. Das heißt: lieber drei kleinere Zimmer als das Ausziehsofa in der Wohnküche.

Die Debatte um guten Wohnraum und Leistbarkeit ist nicht neu. „Seit hundert Jahren werden kreative Lösungen gesucht, um zu verschleiern, dass Wohnraum ungerecht verteilt ist“, sagt Heindl. „Lohnschere, Teilzeitarbeit, Kinderbetreuung – all das trägt dazu bei, dass viele Alleinerziehende auf jeden Euro schauen müssen.“ Die Kosten der Wohnungen werden nach der Fläche berechnet. Weniger Geld heißt also weniger Raum. „Das endet dann immer wieder mit der Frau, die den Gürtel enger schnallt und sagt: Ich kann ja auf dem Sofa schlafen.“

Gemeindewohnungen sind heute deutlich teurer als noch vor zehn Jahren. Laut einer Berechnung des Momentum Instituts sind Mieten dort um 35,5 Prozent höher als noch 2010. Das liegt deutlich über der allgemeinen Teuerung. Im Vergleich zu Wohnungen am privaten Markt sind sie aber immer noch günstig. Der Bedarf an leistbaren Wohnraum ist jedenfalls groß.

 
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„Wir diskutieren diesen Grundriss der 2-Zimmer-Wohnungen ja so heftig, weil es zu wenig Angebot gibt“, sagt Heindl. „Wir brauchen einfach mehr Gemeindewohnungen, und wenn diese dann unterschiedlich gestaltet sind, können sich die Alleinerziehenden selber aussuchen, welche Wohnung ihren Bedürfnissen entspricht.“

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*Name geändert

 
 

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