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Ungleichheit

Gemeinsame Obsorge: Gewalt wird völlig ausgeblendet

Grundsätzlich ist es positiv, wenn die Eltern zu gleichen Teilen Verantwortung übernehmen. Einen großen Haken gibt es allerdings: Auch wenn der Vater gegenüber der Mutter gewalttätig ist oder war, ordnet das Gericht zu oft eine gemeinsame Obsorge an. Familienanwältin Christine Kolbitsch kennt solche Fälle und kritisiert die Lücke in unserem Rechtssystem.
Seit sieben Jahren haben verheiratete Eltern automatisch die gemeinsame Obsorge für ihre Kinder, auch nach einer Trennung. Sind die Eltern nicht verheiratet, hat erst die Mutter die Obsorge. Der Vater kann diese allerdings relativ leicht vor Gericht zugesprochen bekommen. Grundsätzlich ist es positiv, wenn Eltern zu gleichen Teilen Verantwortung übernehmen. Einen großen Haken gibt es allerdings: Auch wenn der Vater gegenüber der Mutter gewalttätig ist oder war, ordnet das Gericht gemeinsame Obsorge an.

Familienanwältin Christine Kolbitsch vertritt regelmäßig betroffene Frauen. Im Interview mit MOMENT erzählt sie, wie sie gegen Windmühlen kämpft und wieso gerade bei psychischer Gewalt oft weggeschaut wird.
 

MOMENT: Für mich ist es sehr schwierig mir das vorstellen: Bekommen gewalttätige Väter tatsächlich gemeinsame Obsorge für das Kind?

Christine Kolbitsch: Ja, und zwar laufend. Eigentlich steht ja ausdrücklich im Kriterienkatalog, dass Gewalt gegenüber einem Elternteil dem Kindeswohl schadet und das demnach ein Ausschlussgrund für die gemeinsame Obsorge ist. In der Rechtsprechung hat sich allerdings diesbezüglich wenig getan. Oft heißt es, die Eltern sollen an ihrer Kommunikation arbeiten und im Sinne des Kindes miteinander kooperieren. Dabei wird völlig ausgeblendet, dass ein Elternteil gewalttätig ist.
 

Wenn Sie von Gewalt sprechen, um welche Art geht es da?

Bei körperlich sichtbarer Gewalt oder wenn der Mann schon verurteilt wurde können die Gerichte weniger wegsehen. Bei diesen Fällen geht es also insbesondere um psychische Gewalt, die nach meinem Eindruck oft nicht ernst genommen wird. Dabei sind die Auswirkungen genauso schlimm wie bei anderen Formen von Gewalt.
 

Verstehe. Aber wenn sogar im Gesetz festgehalten ist, dass Gewalt ein Ausschlusskriterium ist, warum entscheiden die Gerichte dann anders?

Es gibt so etwas wie eine Linie für die Rechtsprechung, die vom Höchstgericht vorgegeben wird. Nur wenn der oberste Gerichtshof beispielhaft eine Entscheidung fällt, wären die unteren Gerichte veranlasst, dem zu folgen. Wir müssten also einmal einen Fall durch alle Instanzen ziehen. Wenn wir jetzt eine Frau hernehmen, die jahrelang Gewalt erlebt hat, hat sie oft weder das Geld noch die Kraft gegen die Entscheidung des Erstgerichts anzukämpfen und einen jahrelangen Obsorgestreit zu führen.
 

Welche Auswirkungen hat das für die Betroffenen?

Gemeinsame Obsorge heißt streng genommen, dass beide Elternteile zu 100 Prozent alleine handlungsfähig ist. Die Mutter kann das Kind in einer Schule anmelden, der Vater aber wieder abmelden. So kann ein Elternteil alle Entscheidungen des anderen wieder aufheben. Die gemeinsame Obsorge führt dann dazu, dass der gewalttätige Mann die Kontrolle über das Leben der Frau behält und weiter Macht ausüben kann. Und gleichzeitig bringt die gemeinsame Obsorge den Vätern gar nicht, was sie sich erwartet haben.
 
Wie meinen Sie das?

Die Erwartung war, dass die Väter die Kinder öfter sehen. Aber Kontaktrecht und Obsorge sind zwei unterschiedliche Sachen. Obsorge beschreibt, wer die Entscheidungen treffen kann. Kontaktrecht regelt, wie oft wer das Kind sehen darf.
 

Aber das ist doch unlogisch. Mir kann es passieren, dass ich mich 80 Prozent der Zeit um das Kind kümmere, der Vater nur zu 20 Prozent und trotzdem haben wir dieselbe Macht zu entscheiden?

Genau. Die Obsorge ist ja nicht nur ein Recht, sondern eine Pflicht. Und wenn wir uns den Betreuungsalltag ansehen, ist es immer noch so, dass Frauen den Großteil übernehmen.
 

Und wie beeinflusst Gewalt das Kontaktrecht zum Kind?

Im Kontaktrecht läuft das übrigens ähnlich ab vor Gericht. Dass es zu einer Aussetzung des Kontaktrechts kommt, weil der Vater gegenüber der Mutter gewalttätig war, habe ich noch nie erlebt. Nur, wenn er direkt gegenüber dem Kind Gewalt ausgeübt hat. Dabei wissen wir, wie schlimm es für Kinder ist, Gewalt auch nur mitanzusehen. Diese Väter bekommen dann ein begleitetes Kontaktrecht, was bedeutet, dass eine fachkundige Person wie beispielsweise eine Sozialarbeiterin beim Besuch dabei ist. Die Argumentation ist dann, dass er sich eh bemüht und ein guter Vater ist. Dass es für Kinder ja wichtig ist, dass sie Kontakt mit dem Vater haben. Das kann ich auch nicht abstreiten, wenn die Beziehung eine gute ist. Ich möchte aber hinterfragen, ob das bei Gewalt für das Kind wirklich besser ist.
 

Sie sprechen über das Kindeswohl. Ich frage mich aber, was mit dem Recht der Mutter ist, keinen Kontakt mehr zu ihrem Gewalttäter haben zu müssen.

Darauf sagen die FamilienrichterInnen, dass die Mutter ja gar keinen Kontakt haben muss. Sie übergibt das Kind der Begleitperson, die es dann zum Vater begleitet.
 

Können Sie einen Fall schildern, wie kann ich mir das vorstellen?

Ich habe aktuell eine junge Klientin, die mit einem einflussreichen Mann verheiratet war, zwei kleine Kinder, wirtschaftlich abhängig von ihm. Noch dazu liebt sie diesen Mann. Er hat während der Ehe regelmäßig Gewalt ausgeübt, irgendwann hat sie sich an die Polizei gewandt. Ihre Anzeige wurde nicht weiter verfolgt. Im Zuge der Scheidung wurde die Gewalt auch thematisiert, er hat angemerkt, dass die Verfahren niedergelegt wurden. Er wollte nicht nur die gemeinsame Sorge, sondern auch die Hälfte der Betreuung der Kinder. Das Gericht hat ihm recht gegeben, gegen den Willen der Frau. Vor kurzem ist sie wieder zu mir gekommen, sie hat gesagt, das Kontaktrecht funktioniert nicht, der Mann ist neuerlich gewalttätig geworden. Wir beantragen gerade die Aufhebung der gemeinsamen Obsorge.
 

Ich war überrascht, dass ich beinahe nichts über gemeinsame Obsorge in Gewaltbeziehungen gefunden habe, obwohl mir einige Personen aus dem Gewaltschutz gesagt haben, dass das ein Problem ist.

Das liegt wohl daran, dass das Thema für die betroffenen Frauen schwierig und mit viel Scham verbunden ist. Vor Gericht und mit mir müssen sie darüber sprechen, aber auch das fällt ihnen oft schwer. Das Verständnis von psychischer Partnergewalt ist außerdem gering, sowohl in der Gesellschaft als auch an den Familiengerichten. Viele verstehen nicht, wie schlimm die Auswirkungen sind. Die Frauenhäuser und Interventionsstellen haben schon vor 2013 davor gewarnt, dass die neue Regelung der gemeinsamen Obsorge negative Konsequenzen haben wird, aber die Bedenken wurden kaum ernst genommen. Die Väterrechtler haben sich durchgesetzt. Es gibt natürlich engagierte Väter, die sich von der Geburt an liebevoll um ihre Kinder kümmern. Über die möchte ich gar nicht sprechen, die sollen ruhig alle Rechte und Pflichten haben. Aber es gibt eben auch andere.
 

Wenn Sie etwas ändern könnten an den bestehenden Regelungen, was würden Sie machen?

Das Problem liegt nicht im Gesetz, das haben wir ja. Es mangelt an der Anwendung. Eine Richterin hat ausreichend Handhabe, einem gewalttätigen Vater die Obsorge zu versagen. Sie muss es nur tun.


 

 
Porträt zeigt Christine Kolbitsch, die mit verschränkten Armen in die Kamera blickt.

Christine Kolbitsch ist Rechtsanwältin bei Breitenecker Kolbitsch Vana in Wien.

 

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