Warum Elon Musk so sauer auf die Wikipedia ist
Nicht einmal eine ganze Minuten dauerte das Interview von Wikipedia Co-Gründer Jimmy Wales bei Thilo Jung kürzlich - dabei ist Jung üblicherweise eher für ausufernd lange, stundenlange Gespräche bekannt. Aber auf die Frage, ob Wales “Gründer” oder “Co-Gründer” der Wikipedia sei, stand der auf und ging.
So kurz das Interview, so lange die Vorgeschichte: Wikipedia entstand vor 25 Jahren als Seitenprojekt des Startups Bomis. (Die verkauften Anzeigen für eine Suchmaschine spezialisiert auf erotische Fotos, Hauptzielgruppe Männer.)
Jimmy Wales war einer der Bomis-Gründer und engagierte Larry Sanger. Der sollte sich um “Nupedia” kümmern - eine neue Online-Enzyklopädie. Deren Inhalte sollten von Expert:innen geprüft werden, was sich aber als langwierig und letztlich wenig erfolgreich entpuppte.
Ganz anders war hingegen der Ansatz, quasi das ganze Internet einzuladen, direkt auf der Webseite - eben einem Wiki - gemeinsam an einer Enzyklopädie mitzuschreiben. Die Wikipedia wurde als Zulieferer für Nupedia gestartet. Doch sie explodierte und wuchs binnen weniger Jahre zur wichtigsten Wissensquelle des Internetzeitalters heran. Wales und Sanger zerstritten sich jedoch schon nach kurzer Zeit. Seit damals diskutieren die zwei, ob Wales alleine oder beide gemeinsam Co-Gründer der Wikipedia sind.
Die Wikipedia funktioniert ohne Egos und Überreiche
Erfreulich daran: es kann uns herzlich egal sein. Dafür, wie die Wikipedia funktioniert und befüllt wird, spielen beide längst keine Rolle mehr. Überhaupt hat kein Einzelner übermäßigen Einfluss auf die Inhalte der Wikipedia. Es könnte auch Elon Musk - oder sonst irgendein Milliardärs-Dude - die Wikipedia nicht übernehmen.
Dabei wird die Bedeutung der Wikipedia immer noch unterschätzt. Unter den 50 meistbesuchten Seiten im Internet ist sie die einzige ohne kommerziellen Hintergrund. Auch meistbesuchte Webseite - Google - baut ganz wesentlich darauf auf. Die Reihung der Ergebnisse wird durch Verlinkungen aus der Wikipedia mitbestimmt - oder es werden überhaupt gleich Wikipedia-Inhalte angezeigt.
Wikipedia hat sich bewiesen
Der Grund dafür ist die erstaunliche Qualität von Wikipedia und ihren Inhalten: war in den Anfangsjahren die Skepsis noch groß - Wikipedia? Da kann ja jeder alles reinschreiben! - gibt es längst keinen Ort im Netz, der bei aktuellen und gerade auch bei umstrittenen Themen einen besseren Überblick zum Stand der Debatte liefert - und das noch dazu zum Nulltarif, ohne nervige Werbebanner und in über 300 Sprachversionen verfügbar.
Zwischenfazit also erstmal: Wir leben ziemlich sicher nicht in der besten aller Welten, aber Wikipedia ist der Beweis, dass wir auch nicht in der schlechtesten aller Welten leben.
Im Jahr 2025 stellt sich aber natürlich die Frage, ob Wikipedia diese große Relevanz für das Weltwissen auch im KI-Zeitalter beibehalten wird. Und damit sind wir auch schon bei Grokipedia: Elon Musks Versuch, die Wikipedia durch eine KI-Enzyklopädia Konkurrenz zu machen.
Wobei der Hauptgrund für die Gründung von Grokipedia jener sein dürfte, dass Musk mit Wikipedia nicht das tun konnte, was er mit Twitter getan hat: Aufkaufen und nach seinen ideologischen Vorstellungen umbauen.
Denn Wikipedia ist trotz seiner enormen Reichweite und Relevanz das Gegenteil dessen, was als Big Tech gerade unsere Demokratie unterminiert: Egal ob Insta, TikTok oder X, alle sind sie profitgetrieben, werbefinanziert, datenkapitalistisch und gesteuert von Algorithmen, die Lautstärke und Polarisierung mit Reichweite belohnen.
Wikipedia: Freies Wissen für alle
Anders die Wikipedia: ihr Wissen steht unter freier Lizenz, es gehört uns allen. Sie ist nicht-kommerziell, ausschließlich finanziert über Spenden. Und: sie zwingt zum Kompromiss, zu jedem Thema gibt es nur genau einen Artikel. Am Ende setzt sich nicht durch, wer laut schreit, sondern wer gute Argumente und - vor allem - Belege liefert.
Und genau das hatte Musk 2021 noch gefeiert und Wikipedia noch freundlich zum 20. Geburtstag gratuliert. Kurz darauf ist seine Begeisterung für die freie Enzyklopädie aber in dem Maße geschwunden, in dem seine politischen Überzeugungen zunehmend ins rechtsextreme, ja offen neonazistische abzudriften begonnen haben. Seither wirft er der Wikipedia immer wieder vor, politisch einseitig, links oder woke zu sein.
Musk ärgert sich über seinen Eintrag
Vor allem aber ärgert ihn sein eigener Wikipedia-Eintrag, wie in der Wikipedia selbst gut nachvollziehbar dokumentiert ist. Bereits 2019 bezeichnete er seinen Wikipedia-Eintrag als “verrückt”, ein Jahr später forderte er seine Millionen Twitter-Follower:innen auf, seinen Eintrag zu zerstören. 2022 warf er der Wikipedia noch vor, von “Mainstream-Medien” kontrolliert zu werden, 2024 waren es dann bereits “linksextrem Aktivisten” und er forderte zum Spendenboykott auf.
Jetzt ist Elon Musk beileibe nicht der einzige, der mit seinem Wikipedia-Eintrag unzufrieden ist. Unter Wikipedianer:innen kursiert der Witz, dass es zwei Gründe gibt, warum Menschen unglücklich mit der Wikipedia sind: weil sie keinen Wikipedia-Eintrag haben, oder weil sie einen haben.
Dein Wikipedia-Eintrag als unabhängige Visitenkarte
Der Grund ist eben die gute Platzierung von Wikipedia-Artikeln in Google-Suchergebnissen oder KI-Chatbots. Was über einen Menschen im Wikipedia-Artikel steht, definiert ganz maßgeblich den ersten digital-öffentlichen Eindruck, den andere Menschen bekommen.
Man könnte sagen: vor der Wikipedia sind alle Menschen gleich. Wer eine Person von öffentlichem Interesse ist, muss im Wesentlichen mit dem Bild leben, das die freiwilligen, oft anonymen Autor:innen der Wikipedia zeichnen. Egal wie viele Milliarden Du am Konto hast, Deinen Wikipedia-Eintrag kannst Du damit nicht kaufen.
Musk kann nicht alles kaufen
Für Leute wie Elon Musk, die gewohnt sind, dass alles und alle käuflich sind, ist diese Situation offenbar unerträglich. Deshalb zieht er jetzt mit seiner Grokipedia gegen Wikipedia in die Schlacht. Und auch hier ist Musk nicht der erste, der sich an einer Gegen-Wikipedia versucht, weil ihm der faktenbasierte Ansatz der Wikipedia ideologisch nicht in den Kram passt.
Seit es Wikipedia gibt, gibt es weltanschaulich motivierte Versuche, Gegen-Wikipedias hochzuziehen. Und die freie Lizenz der Wikipedia lädt zu solchen “Forks” genannten Abspaltungen auch geradezu ein: es steht jedem frei, alle Inhalte der Wikipedia zu nehmen und darauf aufbauend eine bessere Alternative zu starten. Musk hat mit Grok ja nichts anderes getan, er musste ja nicht bei Null anfangen, sondern hat über weite Strecken erstmal Wikipedia-Wissen übernommen.
Mögliche Abspaltung als Qualitätsgarantie
Dass solche Forks möglich sind, ist wichtig. Das setzt der Macht sowohl der Wikimedia Foundation als auch von Administrator:innen in der Wikipedia Grenzen. Bis zu einem gewissen Grad wirkt die Möglichkeit eines Forks disziplinierend. Auch deshalb muss Jimmy Wales damit leben, in der Wikipedia als Co-Gründer bezeichnet zu werden. Da zählt sein Wort nicht mehr als das von anderen, arrivierten Wikipedianer:innen.
Im Ergebnis ist Wikipedia-Wissen deshalb ziemlich fundiert und ausgewogen. Und auch deshalb haben die Abspaltungen in der Vergangenheit nie so wirklich funktioniert. Die meisten solcher Projekte wirken kaum über einen engen Kreis von ohnehin bereits Überzeugten hinaus.
Woher bei der Grokipedia der Bias kommt
Ob das bei der Grokipedia anders sein wird, lässt sich noch nicht mit Sicherheit beantworten. Zu neu ist der radikal KI-basierte Ansatz. Sehr wahrscheinlich aber sind Relevanz und damit Erfolg von Grokipedia eng mit dem Schicksal von Musks Social Network X, ehemals Twitter, verknüpft. Das ist das eigentlich spannende: was passiert, wenn ich eine KI-basierte Enzyklopädie mit einem sozialen Netzwerk integriere?
Das hat einen politischen Bias. Musk soziales Netzwerk X und seine KI Grok sind weltanschaulich stark geprägt. Einerseits durch die Nutzerbasis, die Musk pflegt und anspricht. Andererseits, weil auch Musk selbst immer wieder interveniert. Das wird sich auch in der Grokipedia zeigen - und tut es schon jetzt.
Grokipedia: Weit rechts
Die größten Unterschiede zur Wikipedia gibt es vor allem in Themenfeldern, die von weit rechten Kulturkämpfern in den USA besonders intensiv bespielt werden. Deshalb finden sich dort zum Beispiel auch längst wissenschaftlich widerlegte Theorien über den vermeintlichen Zusammenhang von Intelligenz und Hautfarbe. Und rechtsextreme Propaganda und Fantasiequellen.
Woher genau das immer kommt, lässt sich nicht nachvollziehen. Denn während jede Änderung in der Wikipedia dauerhaft transparent sichtbar bleibt, ist Grokipedia eine totale Blackbox. Von Außen lässt sich nicht nachvollziehen, wie die KI zu ihren Inhalten kommt und welche Rolle zum Beispiel politisch motivierte Eingriffe von Elon Musk dabei spielen.
Wird Musk mit Grokipedia also am Ende erfolgreich sein? Das kommt darauf an. Er wird der Wikipedia damit nicht den Rang ablaufen und sie nicht als wichtigste Wissensressource unserer Zeit ablösen. Aber als Stichwortgeber und Verstärker rechter Narrative in Online-Netzwerken, als Werkzeug, um das Vertrauen in Wissenschaft und Fakten in manchen Gruppen weiter zu untergraben - das ist möglich..
Umgekehrt macht der Vergleich mit Grokipedia noch einmal deutlich, wie wertvoll Wikipedia als nicht-kommerzielle, radikal transparente und, vor allem, nicht käufliche Plattform ist. Bei all ihren Schwächen - von zu wenigen weiblichen Autoren bis hin zu veralteten Artikeln - ist Wikipedia ein digitales Gemeingut im besten Sinne.
Mehr Wikipedia in der Tech wäre gut
Daraus lässt sich auch etwas für den Umgang mit BigTech lernen. Denn nur mit Regulierung lassen sich die von rechten Milliardären und profitorientierten Algorithmen gesteuerten Plattformen nicht unter Kontrolle bringen.
Was es stattdessen braucht, sind digital-öffentliche Räume, die nicht käuflich sind: deshalb findest Du zum Beispiel Hinweise auf die neusten Videos und Artikel von Moment.at nicht nur auf YouTube und Instagram, sondern auch auf Mastodon. Mehr noch, unter social.moment.at betreiben wir einen eigenen Mastodon-Server. Nicht, um YouTube oder Instagram zu ersetzen. Aber um jene Teile im Netz zu stärken, die auch Elon Musk oder Mark Zuckerberg nicht kaufen kann.
Bock auf Mastodon? Hier findest du ein kleines Österreich-Starterpaket, damit dein Feed am Anfang nicht so leer ist.











