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Klimakrise
Fortschritt

Helga Kromp-Kolb: "Klimaschutz kann Leben besser machen"

Österreich hat den Klimaschutz verschlafen und der Politik geht es vor allem darum, die Menschen nicht zu beunruhigen, sagt Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb. Die Katastrophe sei zu verhindern, denn "der Mensch kann unheimlich schnell und radikal reagieren, wenn er es sich in den Kopf setzt".

MOMENT: Österreich hat die Wasserkraft, kaum mehr Kohlestrom: eigentlich beste Voraussetzungen für Klimaschutz. Warum hinkt das Land dennoch so hinterher?

Helga Kromp-Kolb: Das fängt schon damit an, dass die meisten nicht einmal wissen, dass wir hinten sind. Wir waren so lange Musterland beim Umweltschutz, dass viele glauben, wir sind das noch immer. Beim EU-Beitritt war Österreich den Umweltgesetzen der EU weit voraus. Es gab die Angst, mit dem Beitritt ruinieren wir unsere hohen Standards. Inzwischen ist die EU vorbeigezogen, wir sind hinterher und müssen schauen, die Standards ja einzuhalten.

Das ist ein bisschen das Vorzugsschüler-Syndrom. Wie beim Kind, das in die erste Klasse kommt und schon lesen kann, dann aber den Anschluss verpasst, wenn die anderen Neues lernen. Denn es ist ja gewohnt, dass es eh schon alles kann.

MOMENT: Inzwischen ist die Klimakrise bei allen Parteien als Problem angekommen. Einige Parteien fordern die CO2-Steuer, die ÖVP will eine Einzelmaßnahme: Mit Wasserstoff CO2 reduzieren. Was ist besser?

Kromp-Kolb: Man kann es sich nicht mehr aussuchen. Es braucht eine Abgabe auf CO2 ebenso wie sinnvolle Einzelmaßnahmen. Wasserstoff ist eine Nischentechnologie für spezielle Zwecke, in der Stahlerzeugung, oder beim Schwerverkehr; aber jedenfalls nicht im Pkw-Bereich. Er ist nicht sofort einsetzbar. Man kann nicht sagen: Jetzt stellen wir um. Das wird vor 2030 bis 2040 nicht relevant werden. Und auch dann wird es nur einen kleinen, aber wichtigen Beitrag abgeben. Österreich als führende Wasserstoffnation und damit ist der Klimawandel gelöst? Das ist eine Illusion und fernab jeder Realität.

MOMENT: Wasserstoff werde vor allem in der Industrie verwendet, sagen die einen. Die CO2-Steuer werde niemanden mehr kosten, versichern die anderen. Die Parteien wollen offenbar den Eindruck erwecken, CO2 ließe sich reduzieren, ohne dass es Einschnitte gibt.

Kromp-Kolb: Ja, es geht auch darum, die Leute möglichst nicht zu beunruhigen. Aber ich glaube das ist eine falsche Strategie. Wir müssen alle sehr viel verändern: in der Industrie und Landwirtschaft, bei der Ernährung und der Stromerzeugung. Das ist aber nicht unbedingt negativ. Wir können die Maßnahmen auch so gestalten, dass die Lebensverhältnisse besser werden.

Moment: Wie kann das Chancen bieten?

Kromp-Kolb: Ein gesünderes Leben erfordert geringeren Fleischkonsum und weniger mit Antibiotika, Hormonen und Pestiziden belasteten Lebensmitteln. Es ist belegt: Menschen, die zur Arbeit gehen, öffentlich fahren oder mit dem Rad fahren, leben gesünder. Oder beim Fliegen: Viele kommen letztlich enttäuscht von einem Hotelaufenthalt am anderen Ende der Welt zurück. Da war dann auch nicht viel mehr zu tun, als sich an den Pool zu legen und damit nichts anderes, als wenn sie in eine Therme im Südburgenland gefahren wären. Dafür hatten sie einen Riesenaufwand, hohe Kosten und viel Stress.

MOMENT: Eine Beobachtung, die mich erschreckt hat: Viele können sich eher das Ende der Menschheit vorstellen als eine Änderung ihres eigenen Lebensstils. Wie sehen Sie das?

Kromp-Kolb: Ich glaube nicht, dass man das bis zum Ende durchhält. Irgendwann ist das nahende Ende der Menschheit mit einer großen Änderung des Lebensstils verbunden. Es kann nicht ewig so weitergehen. Das zu glauben ist ja die eigentliche Utopie. Und nicht zu denken, dass es auch besser gehen könnte.

Ein Großteil der Welt lebt noch in einem Zustand von: Wenn ich die Augen zumache, geht der Klimawandel wieder weg.

 

MOMENT: Das heißt aber auch, es ist derzeit noch bequem, zu sagen: Wir können nichts ändern. Oder anders gesagt: Die Gefahr scheint vielen noch nicht präsent genug.

Kromp-Kolb: In einem Gespräch habe ich heute ganz selbstverständlich gesagt, dass wir bis 2050 auf null kommen müssen beim CO2. Das war für den Gesprächspartner völlig neu. Das hat ihn von den Socken gehauen. Und das gilt für viele andere auch. Wir leben teils in verschiedenen Welten. Der Wissenschaft ist klar, was passieren muss, damit wir das schaffen und auch, was passiert, wenn wir das nicht schaffen. Ein Großteil der Welt lebt noch in einem Zustand von: Wenn ich die Augen zumache, geht der Klimawandel wieder weg.

MOMENT: Ist das auch ein Versagen der Politik? Sind die Parteien zu wenig alarmistisch und müssten sie nicht mehr aufklären über die Gefahr der Klimakrise?

Kromp-Kolb: Nicht nur das. Sie müssen mit nachprüfbaren, klaren Maßnahmen an die Öffentlichkeit gehen und das vorleben. Wenn ich in Schulen vortrage, dann ist eine der letzten Fragen der Kinder und Jugendlichen immer, wie ich dorthin gekommen bin. Wenn ich dann sagen würde, mein Ferrari steht vor der Tür, dann hätte ich mir die Sache sparen können. Vorbild sein ist ganz wesentlich.

MOMENT: Selbst aus der Wirtschaft gibt es Rufe nach mehr Klimaschutz. Müssen manche Politiker wachgerüttelt und ihnen gesagt werden: Tut was, so geht es nicht weiter?

Kromp-Kolb: Die Wirtschaft ist schon einen Schritt weiter. Mit den richtigen Rahmenbedingungen wäre sie im Großen und Ganzen bereit zu reagieren. Heute werden Firmen, die umweltbewusst handeln, ja noch bestraft. In vielen Fällen sind sie dann nicht mehr konkurrenzfähig. Das darf nicht sein.

MOMENT: Viele Parteien argumentieren, Klimaschutz bürde der Wirtschaft zusätzliche Kosten auf, die zum Standortnachteil werden. Sebastian Kurz sprach sogar davon, der Stahlriese VÖEST könnte abwandern…

Kromp-Kolb: …Worauf der Chef der VÖEST sofort gesagt hat, er weiß nicht, woher Sebastian Kurz das hat.

MOMENT: …Während die SPÖ, womöglich auch aus Sorge um den Wirtschaftsstandort, nur eine EU-weite Lösung haben möchte. Ist das realistisch?

Kromp-Kolb: Die Realität widerspricht diesen Argumenten. In Ländern, die eine CO2-Steuer eingeführt haben, ist die Wirtschaft nicht zusammengebrochen. Natürlich wäre es schön, wenn wir eine gesamteuropäische Lösung hätten. Wenn man aber sieht, wie lange es dauert, bis sich alle EU-Länder einmal einig sind, ist das im Grunde ein Verschieben auf den Sankt-Nimmerleins-Tag.

MOMENT: Dass Unternehmen höhere Kosten an die Konsument:innen weitergeben, die das dann also zahlen, scheint mindestens plausibel.

Kromp-Kolb: Das macht nichts, denn sie bekommen ja den Klimabonus. Ein Bonus, der dazu führt, dass die unteren Einkommen mehr im Geldbörserl haben, als die Teuerung ausmacht. Typischerweise verbrauchen sie weniger Energie als die Wohlhabenden. Das heißt, die Wohlhabenden, nicht die Ärmeren zahlen drauf.

MOMENT: Wenn nun aber Auto-Pendler:innen ihre 500 Euro Klimabonus dafür verwenden, ihre Mehrausgaben beim Sprit auszugleichen: Ist das nicht nur ein Hin- und Herschieben von Geld?

Kromp-Kolb: Das stimmt nicht ganz. Wenn Energie teurer wird, lohnt es sich finanziell, zu schauen, wie man weniger Energie verbraucht. Aber natürlich muss es parallel dazu ein attraktives Angebot an öffentlichen Verkehrsmittel geben, das billiger ist als das Auto.

Wie können wir jetzt den Indern sagen, sie sollen sich kein Auto kaufen und dabei selber drei Stück vor dem Haus stehen haben?

 

MOMENT: Die FPÖ schreibt in ihrem Wahlprogramm, CO2 in Österreich zu reduzieren sei wertlos, wenn die USA und China nicht mitmachen. Ist es ohne die Großen nicht sinnlos?

Kromp-Kolb: Bis 2050 müssen alle Länder auf Null kommen. Da hat es keinen Sinn auf andere zu zeigen. China stößt 27 Prozent des CO2 aus, die USA 15 Prozent. Natürlich sind das die großen Brocken. Aber wir sind ein Teil vom großen Rest. Wir haben Verantwortung, auch dafür, was wir bereits in die Atmosphäre geblasen haben. Damit haben wir den bisherigen Klimawandel schon verursacht. Wie können wir jetzt den Indern sagen, sie sollen sich kein Auto kaufen und dabei selber drei Stück vor dem Haus stehen haben? Wir müssen Vorbild sein, sonst können wir das von den Entwicklungsstaaten nicht erwarten.

MOMENT: Sie sagen Wissenschaft und Wirtschaft sind der Politik voraus. Wo stehen deren Wähler:innen?

Kromp-Kolb: Seit es Fridays for Future gibt, ist ein gesteigertes ernsthaftes Bewusstsein da. Es ist ein neuer Höhepunkt erreicht. Nur müssen die jungen Leuten auch einmal sehen, dass sie etwas bewirken. Sonst wird es schwerer durchzuhalten.

MOMENT: Was wäre ein solcher Erfolg?

Kromp-Kolb: Wenn der Nationalrat in seiner Sitzung im September den Klimanotstand ausruft, können sie schon sagen: Das haben wir erreicht. Das ist nicht viel, aber so ein Klimanotstand ist doch an gewisse Maßnahmen gebunden. Solche Erfolge brauchen sie, um dranzubleiben.

 
Protest der Gelbwesten - zu sehen ist ein Mann mit gelber Warnweste, auf dem Rücken trägt er die Aufschrift "On Lâche Rien".

Protest der „Gilets Jaunes“ (Gelbwesten) in Lyon. // Photo by ev on Unsplash

 

MOMENT: In Schweden und anderen Ländern wurde die CO2-Steuer geräuschlos eingeführt, in Frankreich gingen die Gelbwesten gegen höhere Spritsteuern auf die Barrikaden. Wie kann es gelingen, dass Abgabe für Klimaschutz akzeptiert werden?

Kromp-Kolb: Man darf nicht die Steuer einführen und sagen, wir werden euch nachher entlasten. Man muss von vornherein sagen, diese Steuern werden nicht verwendet, um Budgetlöcher zu stopfen, sondern 1:1 an die Bürger:innen zurückgegeben, zum Beispiel als fixer Bonus, bei dem jeder dieselbe Summe bekommt. Davon haben die weniger gut Verdienenden mehr als die Reichen. Das hat Macron nicht gemacht; da hat sein politisches „Gspür“ versagt.

MOMENT: Müssen wir nicht grundsätzlich unser Wirtschaftssystem überdenken? Kann es Klimaschutz geben, wenn unaufhörliches Wachstum verlangt wird?

Kromp-Kolb: Es ist völlig klar: Ein Wirtschaftssystem, das Wachstum braucht, um stabil zu sein, kann niemals nachhaltig sein. Wirtschaftswachstum heißt immer zusätzlicher Ressourcenverbrauch. Das kann stärker oder schwächer sein, aber letztlich ist es immer mehr. Es gibt zwei Möglichkeiten: Man kann sagen, dieses System ist ungeeignet, und damit auch das Finanzsystem. Wir bauen es um und damit ergibt sich der Klimaschutz. Die Umsetzungschancen halte ich für sehr gering. Ich sehe nicht, wer das wirklich vorantreibt.

Die umgekehrte Möglichkeit ist, zu sagen, der Klimaschutz ist unumgänglich und wir müssen alles tun, um die Reduktionsziele einzuhalten. Dabei würden sich auch das Wirtschafts- und Finanzsystem mitverändern. Das erscheint mir der erfolgversprechendere Weg.

Der Mensch kann unheimlich schnell und radikal reagieren, wenn er es sich in den Kopf setzt.

MOMENT: Sind Sie zuversichtlich, dass wir die Erwärmung auf 2 Grad begrenzen können?

Kromp-Kolb: Es genügt nicht, wenn wir näher am Ziel sind als jetzt. Wir müssen das Ziel erreichen. Denn halb daneben ist auch daneben. Dann steht uns eine Entwicklung bevor, die für mich in meinem Alter nicht mehr so dramatisch ist. Aber für die jüngeren Leute führt sie zu traumatischen Situationen. Das Klima wird sich dann immer weiter erwärmen, unabhängig davon, was wir tun. Wir könnten dann nicht mehr eingreifen. Es geht also nicht darum: Wenn wir uns anstrengen, wird es statt 2 Grad vielleicht 3 Grad wärmer. Das wäre nämlich genauso fürchterlich wie wenn es 4 Grad werden, weil es oberhalb der Grenze liegt, ab der es zu spät ist.

MOMENT: Können Sie nachvollziehen, dass die einzelnen Menschen sich angesichts der Größe der Aufgabe ohnmächtig fühlen und zweifeln, ob sie etwas bewirken können?

Kromp-Kolb: Ja, aber der Mensch kann unheimlich schnell und radikal reagieren, wenn er es sich in den Kopf setzt. Es geht darum, die Katastrophe zu verhindern. Aber die Maßnahmen bieten auch die Möglichkeit, die Lebensumstände zu verbessern und aus dem Weg zu räumen, was uns die Lebensqualität nimmt. Wenn man das versteht, fallen Ängste weg und es werden Energien frei und es geht sich vielleicht aus. Für mich habe ich beschlossen, im Privaten und Beruflichen alles zu tun, damit wir das Ziel erreichen. Und ich hoffe, dass möglichst viele Menschen mitziehen, dann sind die Chancen größer.


 

Zur Person: Helga Kromp-Kolb (Jg. 1948) ist Meteorologin und Klimaforscherin an der Universität für Bodenkultur in Wien. Sie ist Obfrau des Climate Change Centre Austria. Sie engagiert sich seit Jahren im Kampf gegen die Klimakrise. 2013 erhielt sie das Große Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich.

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