Warum die FPÖ als Wahlsieger nicht in die Regierung kommen muss. Wie geht es jetzt weiter?
Alle fünf Jahre wird in Österreich der Nationalrat gewählt. Im Anschluss an die Wahl wird die Regierung gebildet. Die meisten der Wählenden, mehr als ein Viertel von ihnen, haben heuer eine Partei gewählt, die Verbindungen zu rechtsextremen Gruppen hat, den Rechtsstaat und die Demokratie angreift, NS-Rhetorik anwendet und gegen Minderheiten hetzt. Die FPÖ ist Wahlsieger, zweitstärkste Partei ist mit massiven Verlusten die ÖVP. Die SPÖ rutscht mit einem gehaltenen Ergebnis auf niedrigem Niveau auf Platz 3. Die Grünen landen hinter den Neos auf Platz 5 – beide bleiben unter 10 Prozent. Die Kleinparteien schafften den Einzug in den Nationalrat nicht. Keiner scheint mit der FPÖ zu wollen, was jetzt?
Wie werden Stimmkreuzerl zu Mandaten?
Insgesamt wurden 183 Abgeordneten gewählt. Welche Partei wie viele Sitze im Nationalrat bekommt, regelt ein dreistufiges Verfahren. Auf insgesamt 39 Regionalwahlkreise sind grundsätzlich alle 183 Sitze im Nationalrat aufgeteilt. Wie viele Mandate zu einem Wahlkreis gehören, hängt damit zusammen, wie viele österreichische Staatsbürger:innen dort leben. Alle zehn Jahre wird das Verhältnis neu berechnet und die Mandate dementsprechend verteilt.
Wie viel ein Mandat an konkreten Stimmen auf den Wahlzetteln „kostet“, legt die Wahlzahl fest. Sie wird je nach Bundesland unterschiedliche berechnet. Alle gültigen abgegebenen Stimmen eines Landwahlkreises werden durch die Zahl der dort zu vergebenden Mandate dividiert. Alle Sitze, die dann noch übrig sind, werden auf Bundesebene vergeben.
Welche Partei bekommt wie viele Mandate?
Die FPÖ bekommt dadurch nach aktueller Auszählung 58 Sitze im Parlament. Die ÖVP hat 52 Mandate. Die SPÖ zieht mit 41 Abgeordneten in den Nationalrat. Die Neos bekommen 17 Sitze und die Grünen 15. Für eine Mehrheit im Hohen Haus braucht es mindestens 92 Sitze. (Auszählung Wahlkarten Stand: Montag, 30. September 2024).
Welche Koalitionen gehen sich aus?
Eine Koalition ist ein Bündnis, das politische Parteien miteinander eingehen, um gemeinsam die Regierung zu bilden. Das braucht es, wenn bei einer Nationalratswahl keine der Parteien die absolute Mehrheit, also über 50 Prozent der Mandate, erreicht hat. Und somit keine Alleinregierung möglich ist.
Nach der FPÖ, hat die ÖVP die meisten Stimmen bekommen. Karl Nehammer hat im Wahlkampf die Zusammenarbeit mit der FPÖ nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Eine Regierung mit Beteiligung von FPÖ-Chef Herbert Kickl lehnt er aber ab. Sollte die ÖVP ihr Versprechen brechen und doch mit einer Kickl-FPÖ kooperieren, wäre Blau-Schwarz naheliegend.
Möglich ist auch eine Große Koalition aus ÖVP und SPÖ. Sie ist im Nationalrat mit 93 Mandaten zwar dünn abgesichert, aber möglich. Nicht unmöglich ist auch eine Drei-Parteien-Koalition, die von der ÖVP, der SPÖ und den Neos gebildet wird. Die Grünen haben als Juniorpartner nach den hart umkämpften Jahren mit der ÖVP als Regierungspartner schlechte Karten.
Was sind Sondierungsgespräche?
Nach den Wahlen ist vor den Sondierungsgesprächen. Dabei wird in den Wochen nach der Wahl ausgelotet, ob und in welcher Form eine Zusammenarbeit zwischen Parteien, die eine Mehrheit haben, denkbar und möglich ist. Im Anschluss an die Sondierungsgespräche werden konkrete Koalitionsverhandlungen geführt. Danach wird – im besten Fall – eine Koalitionsvereinbarung geschlossen und eine Regierung gebildet.
Wie laufen Koalitionsverhandlungen ab?
Nach den Sondierungsgesprächen starten die Koalitionsverhandlungen. Hier werden vor allem die politischen Ziele und Ressortaufteilungen verhandelt. Wird der Koalitionsvertrag von allen Parteien angenommen, kann die Koalitionsregierung gebildet werden.
Können sich Parteien nicht auf eine Regierung einigen, kann es zu einer Neuwahl kommen – eine Alternative wäre auch eine Minderheitsregierung. Das ist eine Regierung, die nicht über die absolute Mehrheit im Parlament verfügt – also weniger als 92 Sitze hat. Um Gesetze beschließen zu können, braucht es eine einfache Mehrheit, bei manchen Gesetzen eine Zweidrittelmehrheit. Das kann eine Minderheitsregierung nur durch Unterstützung oder “Duldung” von anderen Parteien erreichen.
Wie lang dauert die Regierungsbildung?
Bei Koalitionsverhandlungen geht es um zwei Fragen: Wer bekommt welche Posten? Und welche Partei setzt sich mit ihren inhaltlichen Positionen durch? Seit 1945 dauerte das Aushandeln und Bilden einer neuen Regierung in Österreich im Schnitt 68 Tage. Je mehr Parteien und je unterschiedlicher die Positionen, desto länger dauert es, einen Deal zu finden. Es gibt keinen verpflichtenden Zeitpunkt, bis zu dem eine neue Regierung feststehen muss. Sollte die Regierungsbildung aber ganz scheitern, würden 2025 Neuwahlen ins Haus stehen.
Was hat der Bundespräsident für einen Einfluss?
Alexander Van der Bellen wird in den kommenden Wochen Gespräche mit allen im Nationalrat vertretenen Parteien führen. Dabei soll ausgelotet werden, welche Mehrheiten es geben könnte. Bis auf 1999 bekam in Österreich bisher stets die stimmenstärkste Partei den Auftrag. Das ist eine Tradition, aber nicht mehr als das. In der Verfassung festgeschrieben ist das nicht. Die Entscheidung steht dem Präsidenten als einzigem, direkt gewählten Politiker auf Bundesebene zu.
Van der Bellen wolle darauf achten, dass bei der Regierungsbildung die Grundpfeiler der liberalen Demokratie wie Rechtsstaat, Gewaltenteilung sowie Menschen- und Minderheitenrechte respektiert würden, sagte er sowohl direkt nach der Wahl als auch in den Jahren davor immer wieder. Das scheint eine implizite Absage an die FPÖ zu sein. In Österreich steht es dem Bundespräsidenten frei, welcher Partei er als Erstes den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt.
Kann Kickl also Kanzler werden?
Sollte der Bundespräsident Herbert Kickl wirklich den Regierungsbildungsauftrag geben, müsste der FPÖ-Parteichef es erst einmal schaffen, eine Koalition formen. Von den anderen Parteien bietet sich aktuell niemand an, Kickl zum Kanzler zu machen. Der einzige Weg wäre dann eine Minderheitsregierung der FPÖ.