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Gesundheit
Arbeitswelt

Katrin Grabner: „Es liegt den Menschen am Herzen, in der Pflege zu arbeiten.”

Foto: Grabner
Der Pflegeberuf ist herausfordernd, anstrengend und oft schlecht bezahlt. Was in der öffentlichen Diskussion zu kurz kommt: Pflegepersonen machen ihre Arbeit trotz der schlechten Umstände gerne. Katrin Grabner hat in ihrem Buch "Und trotzdem - 23 ganz schön ehrliche Geschichten aus der Pflege" mit Betroffenen darüber gesprochen, warum das so ist - und was verbessert gehört.

Derzeit arbeiten etwa 127.000 Menschen in der Pflege. Ein Drittel der vorhandenen Pflegekräfte (ca. 42.000) geht in den nächsten Jahren in Pension. Dazu kommt, dass die Bevölkerung in Österreich immer älter wird und die Ausweitung von Pflegediensten erforderlich ist. Bis 2030 braucht Österreich geschätzt 75.700 zusätzliche Pflegepersonen. Das ist mehr als die Hälfte der bereits heiklen Ausgangssituation. 

Besonders betroffen sind Diplomierte Pfleger:innen, für die der Bedarf bereits ab 2024 nicht mehr gedeckt werden kann. Expert:innen empfehlen dringend, Pflegeberufe attraktiver zu gestalten, um dem drohenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Wie schaffen wir das? Das wissen Pflegepersonen selbst am Besten – und müssen in öffentlichen Debatten häufiger selbst zu Wort kommen. In ihrem neuesten Buch „Und trotzdem – 23 ganz schön ehrliche Geschichten aus der Pflege“ gewährt die Journalistin und Autorin Katrin Grabner einen tiefen Einblick in die Realität der österreichischen Pflegelandschaft. Grabner zeigt, dass neben den Herausforderungen Menschen ihren Beruf mit Professionalität, Freude und Hingabe leisten. Diese Motivation jedoch aufgrund mangelnder Anerkennung und schlechter Rahmenbedingungen verloren geht. Im Interview mit Moment.at betont die Autorin die Bedeutung, mit Pflegepersonen zu sprechen, statt über sie: „Nur sie wissen, was sie jetzt brauchen.“
 

Moment.at: Ihr Buch zeigt, wie facettenreich der Beruf und die Tätigkeitsfelder in dieser Branche sind. Welche Aspekte vermissen Sie und Pflegende in den öffentlichen Diskussionen über den Beruf?
 
Katrin Grabner: In der öffentlichen Debatte geht es meistens nur um den Personalmangel, speziell in Pflegeheimen und Krankenhäusern. Pflege findet aber in ganz vielen Einrichtungen und auf ganz vielen Ebenen statt. Die Sichtbarkeit von allen Bereichen war ein großer Anspruch für dieses Buch. In der Angehörigenpflege geht es zum Beispiel nicht nur um die Eltern, die älter werden, sondern auch um den Alltag von Veronika Engl. Sie ist Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin und Mutter einer Tochter mit Behinderung. Oder auch um Margarete Denner, die ihren Ehemann Manfred mit ALS, seit mehr als 35 Jahren pflegt. Auch Konstantin Prager gibt Einblicke in seine Erfahrungen als sogenannter „Young Carer“. Er hat bereits mit 14 Jahren seine Mutter nach einem Unfall gepflegt.

In der formalen Pflege gibt es ebenfalls viele verschiedene Zugänge zu diesem Beruf. Im Buch erzählen Personen, die in Pflegeheimen arbeiten, in der mobilen Pflege, weiter über den Zivildienst, bis hin zur Arbeit in einem Krankenhaus. Ich spreche mit einer Ordensschwester, mit jemandem aus der Psychiatrie oder auch mit jemandem aus dem forensisch therapeutischen Zentrum. Es ist ein breites Feld, das oft im Verborgenen bleibt. 

Selbstverständlich beleuchten wir im Buch auch die großen Herausforderungen der Branche. Mir ist es aber auch wichtig zu zeigen, warum Menschen trotz dieser Hürden in der Pflege arbeiten. 
 

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Konstantin Prager, 30 Jahre alt. Er pflegt als Jugendlicher seine Mutter, die nach einem schweren Unfall querschnittsgelähmt ist. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten hat die Erfahrung seine Perspektive verändert. Heute arbeitet er als Jurist im arbeits- und sozialrechtlichen Bereich. Er setzt sich aktiv für Verbesserungen im Pflegesystem ein. Er reflektiert, dass die Gesellschaft offener über Pflege sprechen muss und dass es mehr Ressourcen und Schulungsangebote für pflegende Familien geben sollte. Insbesondere kritisiert er, dass das Thema in der Politik oft vernachlässigt wird. Konstantin macht sich Sorgen um die Zukunft der Pflege in Österreich.
42.000 Minderjährige pflegen in Österreich Familienangehörige. Die Anzahl der sogenannten „Young Carers“ beruht auf einer Prävalenzstudie aus dem Jahr 2012 in Grabners Buch.
 

Moment.at: Und warum arbeiten Menschen trotz aller Herausforderungen in der Pflege?

Grabner: Sie sind motiviert und ihnen gefällt die Arbeit mit Menschen. Wenn die Basispflege passt, kann die Persönlichkeit in die Arbeit mit einfließen. Man hat die Möglichkeit, herauszufinden, wie man am besten mit Menschen interagiert.

Die Pflegekräfte im Buch schätzen die Vielseitigkeit des Berufs. Er ermöglicht ihnen, verschiedene Bereiche zu erkunden und sich in unterschiedliche Richtungen zu entwickeln. Die Flexibilität bietet ihnen zahlreiche Möglichkeiten zur beruflichen Entfaltung mit Menschen.

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Kornelia Rümmele-Gstrein, 51, ist eine engagierte Pflegefachfrau mit über 27 Jahren Erfahrung in der Versorgung dementer Menschen. Mit Therapieangeboten wie Gedächtnistraining strebt sie an, positive Erinnerungen hervorzurufen. Kornelia setzt sich für gewohnte Umgebungen und individuelle Raumkonzepte ein, um Menschen mit Demenz Sicherheit zu bieten. In Liechtenstein schätzt sie die Wertschätzung für Pflegekräfte und die Förderung von Fortbildungen. In Österreich sieht sie jedoch Verbesserungsbedarf in der Zugangsmöglichkeit zur Pflegeausbildung und finanzieller Unterstützung für Fortbildungen. Ihre Hoffnung für die Gesellschaft ist, Demenz nicht als Schreckgespenst zu betrachten, sondern als Anlass zur Reflexion über Werte und eine Chance zur Neudefinition unserer Gesellschaftsform. Foto: privat

 

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Yemi Abebe, 56 Jahre alt, findet ihre Berufung in der Pflege mit 40 Jahren. Ursprünglich aus Äthiopien, absolvierte sie eine Umschulung zur Heimhelferin und später zur Pflegeassistentin. Nach Jahren auf der Kinderstation, die während der Pandemie zur Coronastation geworden ist, zieht Yemi nach Wien, angetrieben vom Pflegemangel. In einer Wiener Privatklinik findet sie ihre Position als Pflegeassistentin. Yemi sieht insbesondere im Bereich der Pflegebedingungen und Entlohnung Verbesserungsbedarf im Gesundheitssystem. Sie sagt, dass die Bedingungen in privaten Einrichtungen oft besser sind als in überlasteten öffentlichen Krankenhäusern. Sie kritisiert, dass eine qualitativ hochwertige Pflege oft von finanziellen Ressourcen abhängt, was zu Ungleichheiten in der Versorgung führen kann. Sie schätzt den direkten Kontakt zu den Patientinnen und Patienten sowie den Zusammenhalt im Team. Trotz der Probleme in der Pflege plant sie weiterhin in Wien zu arbeiten und betont die Bedeutung der Menschlichkeit in ihrem Beruf.  Foto: privat

 

Moment.at: Die Vielfalt in der Pflege wird oft als Argument herangezogen, dass es schwierig ist, einheitliche Lösungen für Probleme zu finden. Haben Sie während Ihrer Gespräche mit Personen aus der Pflege gemeinsame Forderungen oder Lösungsansätze bemerkt, die von allen Bereichen geteilt werden?

Grabner: Allen ist es wichtig, dass das Bewusstsein gesamtgesellschaftlich weiter dafür gestärkt werden muss, was Pflege ist. Es gibt immer noch dieses vorherrschende Bild, dass Pflege „lieb sein und Händchen halten” ist. Es ist aber eine hochprofessionelle Tätigkeit mit Richtlinien und Ausbildungen.

Ein weiteres häufig genanntes Problem ist die ungleiche Verteilung von Care-Arbeit und ihren Wert in unserer Gesellschaft. Über 80% in der Pflege sind Frauen. Die Soziologin Emma Dowling erklärt im Buch, dass aus der Gesellschaft dringend Druck gemacht werden muss, Sorgearbeit nicht als etwas Selbstverständliches abzutun, was nebenher geschieht. Sie plädiert für eine grundlegende Umstrukturierung des Pflegesystems, eine finanzielle Aufwertung der Pflegeberufe und eine Veränderung der gesellschaftlichen Einstellung gegenüber Sorgearbeit.
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Nada Zerzer, 51 Jahre alt. Sie erzählt von ihrer Erfahrung mit Betreuungsarbeiten für ältere Familienmitglieder. In ihrer Familie übernehmen vorwiegend Frauen, wie sie selbst, die Sorgearbeit. Sie beschreibt, wie sie bei ihren Tanten in Notfällen eingesprungen ist und dabei die ungleiche Verteilung der Care-Arbeit innerhalb der Familie erlebt hat. Nada betont, dass diese ungleiche Verteilung gesellschaftlich nicht zumutbar ist und eine Form des Patriarchats darstellt. Sie fordert eine gerechtere Aufteilung, die auch den politischen Willen und das Zugeständnis der Männer erfordert. Nada ermutigt Frauen dazu, für die eigene Unabhängigkeit einzustehen. Ihre persönliche Erfahrung prägt ihre Überzeugung, dass Sorgearbeit fair aufgeteilt werden muss. Foto: Rümmele

 

Moment.at: Welche konkreten Maßnahmen schlagen die Pflegenden in ihrem Buch vor, um das Bewusstsein für die Pflege zu stärken?

Grabner: Pflege wird nicht gut genug in der Politik repräsentiert. Es wird deshalb eine stärkere Standesvertretung gefordert. Also eine Organisation oder Einrichtung, die die Interessen gegenüber der Politik sowie anderen Institutionen gut vertritt. Es wurde in meinen Interviews auch eine Einladung an Entscheidungsträger ausgesprochen, einfach einmal bei einem Pflegealltag vorbeizuschauen, um selbst zu sehen, wie´s wirklich läuft.

Viele wünschen sich mehr Aufmerksamkeit aus der Wissenschaft für den Pflegeberuf. Es fehlen Forschungen, Studien, Zahlen und Daten, die aber zu einer verbesserten Reflexion innerhalb der Pflege führen würden. Außerdem würde es auch dazu beitragen, die Fachkompetenz der Pflegenden effektiver nach außen zu kommunizieren und sichtbarer zu machen. 
Es kommt aber grundsätzlich viel zu selten vor, dass Pfleger:innen gefragt werden, was sie tun und warum sie es tun. Das habe ich an der Dankbarkeit über die Anfragen zu diesem Buch gemerkt.

Moment.at: Wie kann man die emotionale Dimension in der Pflege objektiver messen, um sie für Qualitätskontrolle und Forschung besser erfassbar zu machen?

Grabner: In der Pflege geht es viel um Emotionen und um das Zwischenmenschliche, aber Pflege ist sehr gut messbar und das war auch vielen meiner Interviewpartner:innen wichtig zu betonen. Wenn auf Stationen keine Lungenentzündungen, Wundliege-Geschwüre und Stürze vorkommen, sind das Indikatoren für qualitativ hochwertige Pflege, so eine Expertin im Buch. Diese Daten können dazu beitragen, die Effektivität von Pflegepraktiken besser zu bewerten.
 
Moment.at: Welchen Fokus haben Sie noch zum Abschluss in Ihrem Buch gesetzt? 
 
Grabner:
In Österreich muss dringend die Fremdenfeindlichkeit abgebaut werden. Wir brauchen so viele Pflegekräfte, dass der Mangel ohne Unterstützung aus dem Ausland nicht zu bewältigen ist. Im Buch sprechen sich Expert:innen vor allem für bundeseinheitliche Regelungen für die Nostrifizierung, kostenfreie Anerkennungsverfahren und eine klare Unterstützung in der Einstiegsphase aus. 

                                       
2022 arbeiten 58.716 Personen in der selbständigen Personenbetreuung in Österreich. Nur 1.141 davon waren österreichische Staatsbürger:innen. 
 

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