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Gesundheit

Psychische Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen: Oft geht es ums Überleben

Psychische Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen: Oft geht es ums Überleben
Kinder und Jugendliche brauchen mehr psychiatrische Hilfe.
Österreichs Kindern und Jugendlichen geht es psychisch immer öfter schlecht. In der Kinder- und Jugendpsychiatrie könnte vielen Betroffenen von ernsten Erkrankungen geholfen werden - wenn es mehr Plätze geben würde.

Philipp* war 14 Jahre alt und verließ sein Zimmer aufgrund von Depression und Ängsten kaum noch. Er ging kaum in die Schule und verlor den Kontakt zu seinen Eltern. Er hatte dennoch Glück: Sein Umfeld brachte ihn dazu, eine Behandlung in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie in Anspruch zu nehmen, die zu einer stationären Aufnahme führte.

„Durch das milieutherapeutische Umfeld, den Kontakt zu anderen Jugendlichen, Therapien und unzählige Gespräche, auch mit seiner Familie, war es irgendwann wieder möglich, dass er einen geregelten Alltag hatte“, erzählt Katharina*, Ärztin in der Einrichtung. Am Ende besuchte Philipp wieder die Schule und kehrte nach Hause zurück. 

Nicht immer ist bei psychischen Problemen eine stationäre Aufnahme notwendig, eine Behandlung aber schon. Doch nicht bei allen Betroffenen geht es so glimpflich aus – auch, weil das Gebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie unterfinanziert ist.

Aufmerksamkeit verpufft

Über die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen wird in der Öffentlichkeit meist nur dann gesprochen, wenn etwas Schlimmes es in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit schafft. Etwa eine Gewalttat wie der Amoklauf in Graz. Dann sucht die Öffentlichkeit oft nach einfachen Antworten. Im Fall des Grazer Amokläufers fokussierte man sich schnell darauf, dass er beim psychologischen Test des Bundesheeres durchgefallen war. Die Thematik wurde für einige Tage diskutiert, danach nicht mehr weiterverfolgt.

Ähnlich verhält es sich mit der Frage nach der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen insgesamt. Dass sehr viele mit Problemen zu kämpfen haben, wird manchmal vermeldet, ist dann aber schnell wieder aus den Schlagzeilen verschwunden. Die Lage wird aber zunehmend ernster. 

Faktor Soziale Medien

Die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen verschlechtert sich schon seit 2014 zunehmend. Das belegt auch die europäische Kinder- und Jugendgesundheitsstudie von 2021/22. Jeder zehnte Junge und sogar jedes fünfte Mädchen soll unter einer Depression oder depressiven Verstimmung leiden.

Die Sozialen Medien und wie sie gestaltet sind, spielen dabei eine zunehmend gefährliche Rolle. Sie befeuern selbstverletzendes Verhalten, von Selbst-Verletzungen bis hin zu Alkohol- und Drogenmissbrauch.

Der Weg in die Behandlung

Wie sieht der Weg zu der notwendigen Hilfe aus? „Pädagog:innen, Eltern oder die Kinder selbst können merken, dass etwas nicht stimmt“, so Katharina. Anzeichen können starke Ängste, Depression, Suizidgedanken, Selbstverletzung oder Verhaltensauffälligkeiten sein. Schulpsycholog:innen oder Beratungsstellen können beim Erstkontakt zu Fachstellen unterstützen. Haus- und Kinderärzt:innen müssen dann Überweisungen an Fachärzt:innen schreiben, um abzuklären, ob eine ambulante oder stationäre Behandlung nötig ist.

„Überleben“, manchmal gehe es zuerst nur darum, sagt Katharina, zum Beispiel bei Jugendlichen mit schweren Essstörungen oder Drogenproblemen. „Der Weg kann emotional sehr belastend sein, aber die meisten Familien berichten, dass die Unterstützung langfristig sehr entlastend wirkt“, sagt sie.

Mit 18 Jahren müssen Jugendliche von der intensiven Kinder- und Jugendpsychiatrie in die Erwachsenenbetreuung wechseln – oft bleiben sie dabei auf der Strecke, weil die Erwachsenenpsychiatrie weniger eng begleitet. Laut einer Studie der Universität Wien waren 2014 weniger als die Hälfte der psychisch erkrankten Kinder und Jugendlichen in Behandlung. 2022 stellte der Rechnungshof fest, dass in mehr als einem Drittel der Bezirke Österreichs „von einer mangelhaften ambulanten Versorgung auszugehen“ ist. Es bräuchte wohl doppelt so viele Fachärzt:innen, wie es derzeit gibt.

Kleine Schritte

Dass die Psychiatrie für Kinder und Jugendliche ein eigenes Feld ist, ist eine relativ neue Entwicklung. Fachärzt:innen für Kinder- und Jugendpsychiatrie gibt es in Österreich erst seit 2008. „Früher gab es einen Psychiater für alle Menschen. Der hat Achtjährigen Ritalin verschrieben und in der nächsten Minute über Antidepressiva mit Erwachsenen gesprochen“, illustriert Helmut Krönke. Er war als Oberarzt an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Wien tätig und hat nun eine eigene Praxis. „Ins Spital ist man damals nur gegangen, wenn der Hut gebrannt hat.“ Trotz der Fortschritte bleibt die Ausbildung ein Engpass.

Die öffentliche Hand schafft zwar neue Strukturen wie das Krankenhaus Nord oder neue Ambulatorien, aber dort gibt es zu wenige Ärzt:innen – weil es lange davor zu wenige Ausbildungsstellen gibt. Eigentlich darf auch Krönke nur eine:n Assistenzärzt:in ausbilden. Aber weil es ein Mangelfach ist, sind derzeit zwei erlaubt. Möglich und sinnvoll wäre aber sogar eine eins zu vier Betreuung, findet er. Dazu müssten aber mehr Plätze bezahlt werden. Krönke fragt: “Was sind 75.000 Euro im Jahr, wenn die Person dann 40 Jahre lang eine Kinder- und Jugendpsychiatrie betreibt?“ So viel würde die Ausbildung einer Person die ÖGK oder Spitalsbetreiber:innen seiner Schätzung nach im Jahr etwa kosten – wenn man sich am Gehalt von Assistenzärzt:innen orientiere.

Problem bewusst?

Der Föderalismus macht die Lage nicht einfacher, da die Bundesländer zuständig sind und es neun verschiedene Ansätze gibt. Ob sich alle der Schieflage bewusst sind, wurde exemplarisch bei drei Stellen angefragt.

Der Gesundheitsfonds Steiermark gibt an, dank eines seit 2014 verfolgten Plans eine solide flächendeckende Struktur zu haben: Es gebe akutstationäre Strukturen in Graz, mit Tageskliniken in Leoben und Hartberg sowie zehn weitere Stellen. Man arbeite derzeit vor allem daran “Prozesse zu optimieren”. Niedrige Schwellen beim Zugang seien wichtig. Die NÖ Landesgesundheitsagentur gibt klar ein Problem zu: „Es gibt einen spürbaren Mangel an Fachärzt:innen, sodass aktuell nur ein Teil der benötigten Stellen besetzt ist.“ Familien müssen oft lange Wartezeiten in Kauf nehmen.

Die Landesholding Burgenland hält fest, dass es eine vollständige Kassenfinanzierung aller notwendigen Behandlungen bräuchte. Das vom Gesundheitsministerium in Folge der Covid-Pandemie initiierte Projekt “Gesund aus der Krise” habe gezeigt, wie es gehen könnte. Es sei aufgrund einer niedrigen Eintrittsschwelle erfolgreich gewesen, „aber die Anzahl der Einheiten pro Person war vollkommen unzureichend.” Das sehen auch Betroffene so. Zudem wünsche man sich ein bundeslandübergreifendes Vorgehen. Die NÖ Landesgesundheitsagentur fordert Prävention und Früherkennung in Schulen und Kindergärten sowie generell mehr Personal für ein dichteres Versorgungsnetz.

Wunsch und Wirklichkeit

Helmut Krönke sieht viele Chancen in der Prävention, möchte aber „der Elementarpädagogik oder Schule nicht noch mehr zumuten.“ Vertrauenspersonen vor Ort und Schulungen für Eltern wären wichtig. 

Doch Investitionen bleiben oft aus. Krönke fasst zusammen: „Es wurde viel angestoßen, aber nicht zu Ende gedacht.“ 

Am Ende muss man sich immer vergegenwärtigen, was dieser Mangel bedeutet. Katharina berichtet von einem ehemaligen Patienten: „Er hat das Studium geschafft, das er sich immer gewünscht hat. Für uns klingt das banal, aber das sind ergreifende Momente.“ Andere kommen Jahre später mit ihren eigenen Kindern wieder – zu Besuch.

Mit mehr politischem Willen könnten noch viel mehr Kinder und Jugendliche derartige Momente erleben.

* Namen von der Redaktion geändert

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    Kommentare 1 Kommentar
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  • frizzdog
    30.09.2025
    gestern hat mir meine 16jährige tochter einen einblick in ihre lieblingsmusikbands gegeben: "Linkin Park", "Crawling", "System Of A Down", "BabyDoll", "Willowsmith", "Mitski - A Pearl", - - - diese musikvideos sollten sich die psychotherapeuten und schulpädagogen einmal geben zum tieferen verständnis der derzeitigen jugendlichen gedankenwelt! hardrock, new hardrock und vor allem die dazugehörigen videos sind deutlich beunruhigend und wollen das auch sein. antworten darauf wären vielleicht frieden in Gaza und in der Ukraine, aber sicher kein parlamentarischer u-ausschuss über die "coronazeit"...
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