Krise der Autozulieferer: “Als wären wir Beschäftigte Schuld an den schlechten Zahlen”
“Schlüsselindustrie” werden die Autozulieferer in Österreich genannt. Rund 81.000 Menschen arbeiten direkt in der Branche. Insgesamt hängen 200.000 Arbeitsplätze daran. Ganze 85 Prozent ihrer Produkte gehen in den Export. Drei Viertel davon nach Europa. Deutschland ist das mit Abstand wichtigste Zielland für Autos und Autoteile “Made in Austria”.
Die Unternehmen hängen am Tropf vor allem deutscher Autobauer. Dort knirscht es gewaltig. Nicht nur VW, die ganze Autobranche ist in der Krise. Die Umstellung auf E-Mobilität hakt. Sei es wegen fehlender Infrastruktur oder weil zu teure und zu große Autos gebaut werden – die Kund:innen nicht kaufen können oder wollen.
Krise der Autobranche schlägt Wellen
“Es fehlen leistbare E-Autos”, sagt Ulrich Mayrhofer. Er ist Chef des Arbeiter-Betriebsrats bei Engel Austria in St. Valentin in Niederösterreich. Bei Mayrhofers Arbeitgeber werden große Maschinen hergestellt, mit denen andere Firmen dann Autoteile erzeugen. “Wir liefern etwa für ZKW in Wieselburg Maschinen, die dann damit Beleuchtungsanlagen bauen”, sagt Mayrhofer. Wenn man so will, ist Engel Austria ein Zulieferer der Autozulieferer. Wenn etwa bei ZKW – wie 2023 geschehen – eingespart wird und Stellen gestrichen werden, schlägt das Wellen auch nach St. Valentin.
Im Jänner kündigte die Geschäftsführung an, unter den 1.270 Beschäftigen in St. Valentin bis zu 400 Stellen “auf den Prüfstand zu stellen”. Unternehmen und Belegschaft einigten sich auf einen Sozialplan. “Der gilt bis März”, sagt Mayrhofer. Was danach kommt, kann niemand sagen. Nur soviel: “Die Geschäftsführung zeichnet kein gutes Bild. Der Ausblick ist nicht positiv. Das ist jetzt erstmalig und einzigartig, seitdem ich hier bin”, sagt der Betriebsratschef.
Kann die Umstellung der Branche auf Elektromobilität eine Chance sein? Mayrhofer ist sicher: “Keiner ist abgeneigt, ein Elektroauto zu kaufen. Was aber auch fehlt, ist die Infrastruktur dafür.” Er nennt ein Beispiel: “Wenn man in einer Genossenschaftswohnung lebt und tausend Mal darum betteln muss, endlich eine E-Ladestation zu installieren und es passiert nichts, wie soll das dann gehen?”
Nicht jede:r hat ein Eigenheim mit Garage, wo er den Strom von der Solaranlage am Dach einfach ins Elektroauto speisen kann. Öffentliche Ladesäulen gebe es zu wenig, vor allem am Land. Auch bei Engel Austria sei das schwierig. “Das Problem haben wir hier genauso. Es gibt zwei E-Ladesäulen am Parkplatz, weil es mal eine Förderung dafür gab”, sagt Mayrhofer. Könnten mehr Beschäftigte ihre Autos am Arbeitsplatz laden, wäre wieder was gewonnen. “Man muss in die Infrastruktur investieren, und zwar nicht nur für die, die es sich eh leisten können”.
Zu wenig Investitionen in E-Mobilität
Auch bei Verbrenner-Autos herrscht Flaute. “Im Prinzip spielt es keine Rolle, ob dort oder dort: Krise ist Krise”, sagt Helmut Emler, Chef des Arbeiter-Betriebsrats bei Steyr Automotive in Oberösterreich. Im Juli kündigte das Unternehmen an, 200 Stellen zu streichen. Pünktlich vor dem Start in den Betriebsurlaub. Früher wurden im Werk MAN-Trucks montiert. Doch der zum VW-Konzern gehörende Lkw-Bauer kündigte 2021 an, den Standort aufzugeben. Nach langem Hin und Her übernahm der Unternehmer Siegfried Wolf – MOMENT.at berichtete darüber. Wolf holte das schwedische Start-Up Volta nach Steyr.
Das will hier Elektro-Lastwagen vom Band rollen lassen, bis zu 14.000 Stück im Jahr. Doch Volta kommt nicht in die Gänge. Es gab Probleme mit dem Batterielieferanten. Vor einem Jahr musste das Unternehmen Insolvenz anmelden, wurde dann aber gerettet. Im Frühjahr folgte der Neustart in Steyr. Doch: “Der Produktionsstart im Herbst ist nicht möglich”, sagt Emler. Derzeit werde nur eine kleine Stückzahl gebaut. Es gebe technische Probleme und derzeit schlicht zu wenige Kund:innen.
Wo sollen die herkommen bei Nutzfahrzeugen? “Gerade im öffentlichen Bereich könnte mehr auf Elektro umgestellt werden. Das passiert aber nicht”, sagt Emler. Oder zumindest nicht im großen Maßstab. Er verweist auf ein Projekt, das praktisch vor dem Werkstor läuft: Die Stadtbetriebe Steyr schaffen derzeit elektrisch betriebene Linienbusse an. Gefördert wird das von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG, die der Republik gehört. Dahinter stehen das Ministerium für Arbeit und Wirtschaft und das Klimaschutzministerium.
Laut Emler passiere so etwas noch zu wenig: “Dabei wäre das in Zeiten wie diesen eine Win-Win-Situation und politisch ein Zeichen”, sagt Emler. Er ist sicher: “Die Weichen sind gestellt für die Umstellung auf E-Mobilität. Das wird kommen und als Unternehmen musst du reagieren.” Die Frage sei dann nur: Wer ist vorne dabei? “Die Europäer müssen sich bewegen, sonst werden sie von den Asiaten überholt”, sagt der Betriebsratschef von Steyr Automotive. “Ich weiß, wer dann die Leidtragenden sind: die Beschäftigten.”
Kanzler will den Verbrenner – ein schlechtes Signal
Keine Frage: Die Branche ist im Umschwung. E-Mobilität ist die Zukunft. Auch wenn sie ihre eigenen Probleme haben: Elektroautos sind laut Studien schon heute günstiger zu betreiben als Verbrenner. Dazu kommen weniger bis gar kein CO₂-Ausstoß, keine gesundheitsschädlichen Abgase, weniger Lärm. Und auch: Das von den Mitgliedsstaaten beschlossene EU-weite Verbrenner-Aus. Ab 2035 sollen Neufahrzeuge kein CO₂ mehr ausstoßen dürfen. Es wäre das Ende für die Produktion von Autos, die mit Benzin und Diesel angetrieben werden.
Die heimischen Autozulieferer sind da oft nur Beifahrer. Wenn große europäische und vor allem deutsche Unternehmen den Wandel verschlafen oder auf falsche Pferde setzen, trifft das Österreich. Doch was Fehler verursacht und zu Unsicherheit beiträgt, ist eine Politik, die klare Linien verlässt und stattdessen die Illusion der Technologieoffenheit predigt. Österreichs Kanzler Karl Nehammer will das “Aus für das Verbrenner-Aus” und stimmte damit in den Chor vor allem deutscher konservativer und liberaler Politiker:innen.
Dabei fordern selbst Autohersteller, am Beschluss festzuhalten, ab 2035 keine neuen Verbrenner-Autos mehr zuzulassen. Jetzt wieder die Rolle rückwärts zu machen, würde die benachteiligen, “die bereits in diesen Übergang investiert haben”, so der Interessensverband Plattform für Elektromobilität, dem auch zahlreiche Autohersteller angehören. Es geht um Investitionen wie bei BMW in Steyr. Neben der technisch aufwändigen Verbrennermotoren, auf die sie dort auch stolz sind, sollen hier demnächst jährlich Hunderttausende Elektromotoren produziert werden.
Eine Milliarde Euro will der deutsche Autobauer investieren. Bis 2030 sollen die Hälfte der 4.500 Mitarbeiter:innen im Bereich Elektromobilität arbeiten. Was passiert mit diesen Jobs, wenn die Politik populistischen Forderungen nachgibt und das Verbrenner-Aus wieder kippt? Verpasst die europäische Autoindustrie und Politik jetzt die Umstellung auf Elektro-Mobilität, dann wird eben anderswo an der Zukunft geschraubt, in China etwa.
Der ewige Vorwurf: Löhne sind zu hoch
Die Stimmung unter den Beschäftigten ist zwischen Wandel und Krise nervös. “Wenn wir einen Kanzler haben, der sagt, wir wollen den Verbrenner, dann ist das kein gutes Signal”, sagt Betriebsratschef Mayrhofer von Engel Austria. “Ich bin auch für Technologieoffenheit. Es hat sich immer durchgesetzt, was besser ist”, sagt er. “Die Röhrenfernseher sind ja auch weg”, fügt er an und lässt keinen Zweifel, dass der Verbrenner im Autosektor der Röhrenfernseher ist.
Für ihn gehe es darum, den europäischen Markt zu schützen und zu stärken. “Aber nicht mit Verboten. Man muss Geld in die Hand nehmen”, sagt er und zitiert Arnold Schwarzenegger. Der gebürtige Steirer und frühere Gouverneur des US-Bundesstaats besuchte jüngst das BMW-Werk in Steyr und sprach zu den Beschäftigten. “Er hat das etwas Richtiges gesagt: ‘Warum werden in Kalifornien so viele E-Autos zugelassen? Weil die Infrastruktur dafür da ist und dort investiert wurde’”.
Die EU und die Mitgliedsländer müssten auch E-Mobilität stärker fördern – und nicht nur den Verbrenner verbieten und dann schauen, was passiert. Jetzt beklagen die Unternehmen vor allem die hohen Kosten dafür, in Europa und in Österreich zu produzieren. Dass es an den Beschäftigten und ihren Löhnen liege, “damit sind wir tagtäglich konfrontiert”, sagt Mayrhofer. “Wir werden dargestellt, als wären wir schuld an den schlechten Zahlen. Wir müssen die Fehler ausbaden, die die Politik gemacht hat.”
Die Umwälzungen der Branche ließen sich nur gemeinsam bewältigen. “Auch die Unternehmen müssen was beitragen”, mahnt Mayrhofer. “Man kann sich nicht beklagen, dass der Standort immer schwächer wird, aber selbst bei erster Gelegenheit in China zukaufen, weil’s ein bisschen billiger ist.” Die Beschäftigten bei Engel Austria sähen das anders. “Sie kaufen sicher nicht die billigeren E-Autos aus China. Denn bei denen gibt es keine Wertschöpfung in Europa und Österreich”, sagt Mayrhofer. “Bei uns bist du verpönt, wenn du so einen kaufst.”