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Klimakrise
Fortschritt

Warum dich Leih-E-Scooter so nerven?

E-Mobilität sollte doch toll sein. Aber Leih-E-Scooter nerven. Denn zu viele Menschen denken sich: "Was mir nicht gehört, muss ich auch nicht so behandeln." Kolumnistin Nunu Kaller analysiert die Probleme der Sharing Economy.

 

 

Leih-E-Scooter nerven

Gestern roll ich mit dem Rad den Gürtelradweg Richtung Margaretengürtel runter, da kriegt man bekanntermaßen schön Tempo, und was steht quer am Radweg, sodass ich es grad noch erbremse? Ein Leih-E-Scooter. Ich sag’s euch. Heut wird das hier wirklich eine Eskallertion.

Ich bin sauer. Ich bin in Wien aufgewachsen und ich fahre in der Stadt mit dem Fahrrad, gefühlt seit ich ohne Stützräder fahren kann. Doch seit ein paar Jahren gibt es etwas, was mich massivst ärgert. E-Scooter. Genauer gesagt: Leih-E-Scooter.

Es passiert eigentlich ständig irgendwas Ärgerliches mit diesen Dingern: Vor ein paar Wochen warte ich etwa gerade auf den Bus und was beobachte ich? Ein E-Scooter wird am Gehsteig abgestellt – mitten auf den Leitlinien für Blinde. ICH hab ihn dann zur Seite gestellt, damit die Leut nicht reinlaufen. Und mich geärgert über diese Gedankenlosigkeit.

E-Scooter an sich sind eine spannende Erfindung, Fortbewegen in Fahrradgeschwindigkeit ohne Treten. Wer sich sowas zulegen möchte, bitte. Wer bin ich, da reinzureden – besser als eine stinkende Vespa sind die Dinger allemal! Aber in der Leihvariante hängt es mich leider aus. Und zwar nicht nur, weil sie ständig und immer im Weg herumstehen und die Stadt es seit ewigen Zeiten nicht schafft, wie bei den Fahrrädern fixe Abstellplätze einzurichten. Nein, es gibt da noch viel mehr.

Die Probleme der Sharing Economy

  1. Bedauerlicherweise lässt sich beobachten, woran die Sharing Economy seit eh und je nagt: Was mir nicht gehört, muss ich auch nicht so behandeln. In allen möglichen Großstädten fischt die Stadtverwaltung die Dinger aus den Flüssen, werden sie in offene Bahnschächte geworfen, werden sie bewusst zusammengetreten. Und das ist nicht nur schlicht und einfach deppert, sondern auch gefährlich. Geht im Wasser so ein Akku auf, war es das mit der Wasserfauna – die Dinger sind hochgiftig.
  2. Wusstet ihr, dass – wohl auch aufgrund des durchschnittlich nicht allzu wertschätzenden Umgangs – Leih-E-Scooter gerade mal ein paar Monate im Einsatz sind und dann ausgetauscht werden? Und das ist schon lange, zu Beginn hatten die Leih-E-Scooter eine Lebensdauer von nur 30 Tagen auf der Straße! Das ist einfach nur Ressourcenverbrauch. Bei der Herstellung dieser E-Scooter kommt es außerdem zu sehr beträchtlichen Emissionen, einige der eingesetzten Rohstoffe werden sehr energieintensiv gewonnen. Und auch die Entsorgung der Akkus ist ökologisch gesehen eine echte Herausforderung.
  3. Wie von Zauberhand stehen die Scooter morgens wieder aufgeladen in der Gegend herum. Ein Wunder? Nein! Ein massiv ausbeuterischer Job! Die Menschen, die die Scooter in der Nacht wieder aufladen (und übrigens kilometerlang mit dem Auto durch die Gegend fahren), werden “Juicer” genannt – und das ist, mit Verlaub, echt ein Scheiß Job. Man muss dafür selbstständig sein (siehe mein Video über die Paketdienste: Kein Urlaubsgeld, kein Krankenstand, nix). Juicer verdienen für das Abholen, Laden und Ausliefern eines E-Scooters etwa 4,50 Euro pro Stück. Anfallende Fahrtkosten, Strom, Mehrwertsteuer und etwaige Versicherungen – wie zum Beispiel eine für gewerbliche Immobilien und Brandschutz – muss der Juicer selbst zahlen. Übrig bleiben keine drei Euro. Das kann sich nicht rechnen, eröffnet aber Tür und Tor für ein neues Prekariat. Plus brauchen wir nicht glauben, dass die Scooter alle mit Ökostrom aufgeladen werden.
  4. Aber sie sind ja trotzdem so ökologisch, weil sie mit Strom befeuert werden und nicht mit Benzin? Theoretisch kann man das sagen. PRAKTISCH stimmts aber halt nicht. Es gibt es bereits Untersuchungen, die zeigen, dass die Ökobilanz eines Leih-E-Scooters sogar schlechter ist als die eines PKW. Eine Studie der ETH Zürich besagt, dass Leih-E-Scooter nicht nur kein Beitrag zur Verkehrswende sind, sondern sogar das Gegenteil. Statistisch werden kaum Autofahrten damit ersetzt, sondern hauptsächlich Fußwege oder solche, die man auch mit den Öffis zurücklegen kann. Und der Haken? Den bewies eine Studie der North Carolina State University: Wer mit dem E-Scooter eine Meile (rund 1,6 Kilometer) fährt, sorgt für einen höheren Ausstoß von Treibhausgasen als jemand, der die gleiche Strecke zu Fuß geht oder mit Fahrrad, Bus oder Moped zurücklegt.

E-Mobilität geht anders

Die Alternativen liegen auf der Hand: Zu Fuß gehen, Fahrrad oder Öffi fahren. Dazu braucht es natürlich gute Öffis – in Wien haben wir die ja großteils – und eine radfahrtaugliche und fußgängerfreundliche Stadt. Das geht auch in Wien noch viel besser. Kleiner Hinweis für die Stadt Wien: ​​Wollen wir unsere Klimaziele erreichen und gleichzeitig eine NOCH lebenswertere Stadt schaffen, müssen wir endlich den Menschen mehr Platz einräumen als dem Auto. Wir müssen eine sichere Radinfrastruktur noch weiter ausbauen und sicherstellen, dass alle Menschen günstigen und bequemen Zugang zu Öffis haben beziehungsweise sicher und bequem zu Fuß von A nach B kommen.

Aber es ist ja per se auch nix gegen E-Mobilität einzuwenden: Wer es sich leisten kann, kann sich einen eigenen E-Scooter oder ein eigenes E-Bike kaufen. Wenn man sie dann länger nutzt, sorgsam behandelt und dafür das Auto öfter weglässt, können die ein Fortschritt sein. Gerade wer die E-Scooter gern mietet, sollte vielleicht mal ausrechnen, in welchem Zeitraum man so viel für die Mieten ausgibt, dass sich eher ein eigener Scooter rechnet. Und bis dahin: Die Straßenbahnen sind im Grunde doch auch nix anderes als sehr große E-Scooter, oder?

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