print print
favorites-circle favorites-circle
favorites-circle-full favorites-circle-full
Gesundheit
Ungleichheit

Leistbare Zahnfüllungen: Die vergessene Lücke im Kassen-System

Leistbare Zahnfüllungen: Die vergessene Lücke im Kassen-System
Foto: Bruno Pereira auf Pixabay
Seit Anfang des Jahres sind Amalgamfüllungen bei Zahnlöchern in der ganzen EU verboten. Doch viele Menschen können sich die Alternativen bei Zahnfüllungen nicht leisten. Die leistbare Versorgung ist undurchsichtig und nicht flächendeckend für alle Patient:innen vorhanden.

Stefan war seit drei Jahren nicht mehr beim Zahnarzt. Bis ihn das schlechte Gewissen packt und er im Juli 2025 zur Routineuntersuchung geht. Kaum liegt er mit weit aufgerissenem Mund auf dem Behandlungsstuhl, kommt die Hiobsbotschaft: Er hat vier Löcher. 

Der Wiener Zahnarzt erklärt ihm, dass in der EU die üblichen Amalgamfüllungen Anfang des Jahres verboten wurden. Die ÖGK übernehme nur Glasionomerzement-Füllungen. Doch davon rät der Arzt dem 27-Jährigen dringend ab. Diese seien lediglich eine Übergangslösung – spätestens in zwei bis drei Jahren würde er dann wieder auf dem Behandlungsstuhl sitzen. Mit jeder Füllung müsse mehr und mehr vom Zahn abgetragen werden, das könne nicht unbegrenzt oft gemacht werden. Außerdem würde man die Glasionomerzement-Füllungen sofort sehen, weil sie nicht die Farbe der restlichen Zähne hätten. 

Deswegen empfiehlt der Zahnarzt ihm Komposit-Füllungen aus Kunststoff. Diese halten länger und sind zahnfarben – aber das bedeutet auch 180 Euro pro Zahn aus privater Tasche. “Fuck, ich hab doch gar kein Geld”, denkt sich Stefan. Trotz Masterabschluss hat er noch keinen Job in seinem Bereich gefunden und muss mit gerade einmal 300 Euro im Monat auskommen. Seinen Lebensunterhalt bezahlt er mit Erspartem aus seiner Jugend, das mit jeder Woche weniger wird. Mit dem Geld zahlt er auch in die Krankenversicherung ein.

Letzten Endes entscheidet sich Stefan doch für die Komposit-Füllungen für zwei Zähne, die besonders große Löcher haben. Netterweise füllt der Zahnarzt ihm auch die zwei anderen Zähne kostenlos mit Komposit auf, bei denen keine ganze Füllung notwendig ist. Dennoch geht für die zwei Zähne mehr als sein Monatsbudget drauf. Eine Frechheit, findet Stefan. Wozu zahlt man denn seinen ÖGK-Beitrag?

Seit 2025 hat die EU Zahnfüllungen aus Amalgam verboten. Der Grund: Amalgam besteht zur Hälfte aus Quecksilber - das kann eine Gefahr für Umwelt, die zahnärztlichen Beschäftigten und Gesundheit der Patient:innen sein. Alternativen gäbe es natürlich. Aber ÖGK und Zahnärztekammer konnten sich nicht auf ein neues Material einigen, das die Kasse übernimmt. Wer wenig Geld hat, muss seither oft mit Löchern oder provisorischen Füllungen im Zahn weiterleben.

Welche Füllungen stehen jetzt noch zur Auswahl? 

Die wichtigsten Alternativen sind:

  1. Komposit

    Diese Kunststoff-Füllungen passen zur Farbe von Zähnen. Die ÖGK übernimmt, wenn sie mit dem:r Zahnärzt:in eine Zusatzvereinbarung hat, die Kosten dafür bei einem Loch im Frontzahn. Ansonsten sind sie eine Privatleistung. 

  2. Alkasit

    Auch das ist eine spezielle Komposit-Mischung, die es noch nicht so lange gibt. Sie wirkt schützend gegen Karies und passt ebenfalls zur Farbe von Zähnen. Alkasit wird in den 61 Zahngesundheitszentren der ÖGK eingesetzt. Die ÖGK würde sie gerne als Leistung überall einsetzen.

  3. Glasionomer-Zement

    Diese Mischung wird besonders dort eingesetzt, wo Zähne beim Kauen nicht belastet sind (Seitenzähne). Dort wird die Leistung bei Schwangeren, Stillenden und Kindern auch von der ÖGK übernommen. Da diese Mischung nicht so bruchfest ist, gilt sie als Provisorium. Sie ist auch wegen ihrer Farbe deutlich sichtbar.

Andere Alternativen existieren (etwa Glaskeramik), sind allerdings sehr teuer.

Wie viel die Zahnfüllung kostet, legen die Zahnärztinnen individuell fest. Außer sie haben eine Direktvereinbarung mit der Österreichischen Gesundheitskasse abgeschlossen – dann übernimmt die ÖGK je nach Behandlungssituation Glasionomerzement oder Alkasit-Füllungen. 

Wo gibt es amalgamfreie Füllungen auf Kasse? 

Auf Nachfrage bei der ÖGK haben österreichweit von 2.357 Vertragszahnärzt:innen nur 115 eine Zusatzvereinbarung für amalgamfreie Füllungen abgeschlossen. Das sind gerade einmal 4,88 Prozent aller Vertragszahnärzt:innen. 

Aber: Laut ÖGK bekommst du in acht Zahnambulatorien in Wien, sowie in allen 61 Zahngesundheitszentren der ÖGK österreichweit auch amalgamfreie Füllungen. In letzteren stehen ca. 300 Zahnärzt:innen zur Verfügung. Ob Glasionomer-Zement oder Alkasit-Füllungen, entscheidet die Fachperson.

Die Zahnärztekammer spricht in einem Statement an Moment.at von einer ausreichenden und zweckmäßigen Versorgung von Patient:innen mit amalgamfreien Füllungen im Seitenzahnbereich. 

Was Patient:innen aus unserer Community berichten, deckt sich nicht damit. Zahnärzt:innen hätten ihnen Glasionomer-Zement-Füllungen angedreht oder sie für andere Materialien privat draufzahlen lassen. Auch fehlt ihnen die Information, dass und wo die ÖGK amalgamfreie Füllungen übernimmt. Ebenso verweisen viele Zahnärzt:innen scheinbar nicht an die für ÖGK-Mitglieder kostenlosen Anlaufstellen.

 

Warum konnten sich die Zahnärztekammer und die ÖGK bisher nicht einigen? 

Im November 2024 brach die Zahnärztekammer ihre Verhandlungsgespräche mit der ÖGK ab. Im Wesentlichen geht es ums Geld. Die Angst der Zahnärzt:innen ist es, für die alternativen Füllungen draufzahlen zu müssen. Sie wollen einen besseren Tarif. Denn die ÖGK-Leistungen seien bereits jetzt schon nicht ausreichend. Die Zahnärztekammer will ausschließlich die kurzlebigen Glasionomer-Zement-Füllungen verwenden – die ÖGK möchte Alkasit als Kassenleistung festlegen. Das habe sich als Amalgam-Alternative auch in ihren Zentren bewährt. Die ÖGK muss sparen, aber zeigte sich bisher bereit, mehr als bei Amalgam zu zahlen. In der freiwilligen Zusatzvereinbarung mit den einzelnen Zahnärzt:innen sind es 20 Prozent mehr. Für die Zahnärztekammer war das Angebot zu niedrig.

Auf Nachfrage beteuern ÖGK und die Zahnärztekammer laufend konstruktive Gespräche zu führen. Die Lösung müsse laut ÖGK für beide tragfähig und nachhaltig finanzierbar sein. Bisher ist nicht absehbar, wann und ob es zu einer Einigung kommt. 

Das Gesundheitsministerium sieht keinen politischen Handlungsbedarf. Es sei Sache der ÖGK und der Zahnärztekammer eine Lösung zu finden.

Seit über zehn Monaten gilt: Wer unterdessen eine Zahnfüllung braucht und nichts von den wenigen Alternativangeboten weiß, muss sich eben zwischen Übergangslösung, Loch im Zahn und Lücke am Konto entscheiden.

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Kommentare 0 Kommentare
    Kommentar hinzufügen

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Beitrag!