“Leitkultur” der ÖVP: Wahlkampf zuerst, Inhalte vielleicht später
Es gibt wichtige Termine – und es gibt die Pressekonferenz von Integrationsministerin Susanne Raab zu „ersten Ergebnissen des Leitkultur-Prozesses“. Wer sich die einstündige Rede-Show vor Ort im Bundeskanzleramt oder per Livestream gegeben hat, musste sich am Ende zwangsläufig fragen: Wofür war das jetzt eigentlich gut?
Jedenfalls nicht dafür, einen aktuellen Stand in der von ÖVP-Kanzler Karl Nehammer im Frühjahr mit viel Getöse losgetretenen Debatte um eine österreichische „Leitkultur“ zu liefern. Eine Leitkultur, „die sich auch als nationales Kulturgut gesetzlich widerspiegeln soll“.Wohin das gehen soll, wurde schnell klar: Auf Sujets zeigte die Kanzlerpartei Blasmusikkapellen, Maibäume und Trachtenfeste. Also das, was sich die ÖVP unter österreichischer „Leitkultur“ vorstellt.
Warum wird eine halbfertige Studie zu Leitkultur präsentiert?
Aber: Viel zu berichten gab es jetzt, vier Monate später, nicht. Die in Auftrag gegebene Studie „Gemeinsame Grundwerte und österreichische Leitkultur“ ist gerade mal irgendwie auf halbem Wege. Man habe eine Literaturrecherche abgeschlossen, berichtete Johannes Klotz, Prokurist des beteiligten Meinungsforschungsinstituts OGM.
Derzeit liefen Gespräche mit sogenannten Fokusgruppen – Polizist:innen oder Personal in Gesundheitswesen und Bildung. Die Interviews seien zu zwei Dritteln fertig. Im Herbst sollen Bürger:innen von OGM befragt werden und im Frühjahr 2025 soll es einen Abschlussbericht geben.
Es gab keine Zahlen, die gesammelten Erkenntnisse passten auf eine Powerpoint-Folie mit vier Stichpunkten: Bei den gelebten Werten gäbe es Unterschiede nach Herkunftsländern von Zugewanderten und ob sie aus der Stadt oder vom Land kommen. Familien seien die stärksten Wertevermittler:innen. Dort müsse angesetzt werden. Und: Migrant:innen seien bei Unternehmensgründungen vorn dabei. Was Klotz ausführte, war ein guter Startpunkt. Warum jetzt ein Zwischenstand berichtet wurde, erschloss sich nicht.
Oder doch? In zwei Monaten wählt Österreich ein neues Parlament. Ministerin Raab nutzte den Termin vor allem für eines: Mehr Pflichten für und Härte gegen Zugewanderte zu fordern, die sie gar nicht umsetzen kann. Verpflichtende Grundregelkurse, die es bereits gibt, sollen mit einer Prüfung abgeschlossen werden. Wer nicht besteht, soll weniger “Taschengeld” bekommen.
Das gleiche bei den Wertekursen für Asylberechtigte: Auch hier möchte Raab eine abschließende Prüfung einführen – sonst würden Sozialleistungen gekürzt. Deutschkurse zu belegen und eine Integrationserklärung zu unterzeichnen, sind bereits heute Pflicht. Wer dagegen verstößt, muss mit Sanktionen bei Sozialleistungen rechnen. Meist sind es die Länder, die diese Leistungen auszahlen.
Raab kündigt an, ihr Ministerium werde alle Verstöße an diese melden. “Ich erwarte mir die härtestmögliche Kürzung”, richtete sie den Ländern aus. Eine weitere neue Forderung: Wer die Staatsbürgerschaft erhalten möchte, sollte einen verpflichtenden Staatsbürgerschaftskurs belegen. Vor der eigentlichen Staatsbürgerschaftsprüfung, die es ja schon heute gibt.
ÖVP-Ministerin Raab nutzt den Termin vor allem in eigener Sache
Neben viel vager Zukunftsmusik, verkündete Raab dann eine einzige tatsächliche Neuerung: Ab Herbst werden die bisherigen Werte- und Orientierungskurse erweitert, von drei auf fünf Tage. Hinzu kommen die zwei neuen Schwerpunkte “Sicherheit und Zusammenleben” sowie “Zugehörigkeit”.
Hier wird vermittelt, wie man sich im öffentlichen Raum verhalten soll, welche Rolle die Polizei in Österreich spielt, welche Traditionen hierzulande gelebt werden und wie man sich in Vereinen und Ehrenamt engagieren kann. Zusätzlich sollen die Kurse für Antisemitismus sensibilisieren. Mehr kosten soll das Ganze nicht. Mit den bestehenden Mitteln sei das alles machbar, versicherte Raab.
Für alle anderen Maßnahmen, bräuchte es Gesetzesänderungen. Die werden bis Herbst nicht mehr kommen. “Das sehe ich mit dem derzeitigen Koalitionspartner nicht”, sagte Raab. Die geplanten Verschärfungen “nehmen wir in künftige Koalitionsverhandlungen mit.”
Raab streifte damit ihr Ministerinnenkostüm ab und legte den ÖVP-Wahlkampfanzug an. So gesehen, hatte der Termin doch noch einen Sinn.