“Liebe Österreicherinnen und Österreicher”: Viele AusländerInnen halten das System aufrecht
Der Anteil an AusländerInnen in Österreich beträgt 16,7 Prozent. Die Statistik zeigt: In den systemrelevanten Branchen ist der Anteil verhältnismäßig groß. AusländerInnen sind hier überproportional repräsentiert.
Etwa jede dritte Person in der Lebensmittelproduktion hat nicht die österreichische Staatsbürgerschaft. Auch im Einzelhandel sind 22% der MitarbeiterInnen keine österreichische Staatsbürger. Im REWE-Konzern, der Billa, Merkur, Penny, BIPA und ADEG umfasst, arbeiten laut eigenen Angaben Menschen aus über 100 Nationen zusammen. Hunderte MitarbeiterInnen haben sogar Fluchthintergrund.
Das „Team Österreich“, wie die Bundesregierung es nennt, besteht also zu weiten Teilen aus Menschen, die laut dem Pass keine ÖsterreicherInnen sind. Doch genau diese spielen in der Krise eine wesentliche Rolle. Gerade jetzt sind wir sehr von ihnen abhängig.
Im Vergleich dazu ist in anderen Branchen, die derzeit nicht unbedingt als systemerhaltend zählen und besser bezahlt sind, der Ausländeranteil niedriger.
Doch selbst wenn MigrantInnen sich in hohen, gut bezahlten Positionen wiederfinden, stehen sie vor einem weiteren Problem: Denn neben dem sozialen Stand spielt die Herkunft nach wie vor eine große Rolle. “Auch wenn man österreichischer Staatsbürger wurde, kann man als MigrantIn StaatsbürgerIn zweiter Klasse sein. Auch wenn man gut verdient und ein erfolgreicher Unternehmer ist”, sagt Migrationshistorikerin Sylvia Hahn von der Universität Salzburg.
Zudem wird einen Unterschied gemacht, aus welchem Land genau man kommt. “Bei Bediensteten der Vereinten Nationen redet niemand über eine Parallelgesellschaft – auch wenn sie sehr wohl in einer leben und selbst nach 15 Jahren kein Wort Deutsch sprechen können. Doch in der Politik und in den Medien wird bei türkischstämmigen Menschen und Muslimen über ‚die Parallelgesellschaft‘ gesprochen“, stellt Sylvia Hahn fest.
“Liebe Österreicherinnen und Österreicher”
Die SystemerhalterInnen ohne Staatsbürgerschaft erfahren auch jetzt keine ausdrückliche politische Anerkennung und Erwähnung. Im Gegenteil. Von Anfang der Krise setzte Bundeskanzler Sebastian Kurz in der Krisenkommunikation auch auf eine national-geprägte Rhetorik. Das zeigt etwa die Analyse der Politikwissenschafterin Natascha Strobl. Sämtliche Pressekonferenzen werden mit begonnen mit den Worten „Liebe Österreicherinnen und Österreicher“.
„Mit diesen Worten schließt man alle aus, die nicht die Staatsbürgerschaft haben“, erklärt Sylvia Hahn. Hier würde bewusst eine Gruppe angesprochen werden, während eine andere unsichtbar gemacht wird. „Wahrscheinlich sind auch nicht alle mit der österreichischen Staatsbürgerschaft gemeint. Diese Art der Rhetorik wird nicht nur jetzt angewandt. Wenn wir uns zurückerinnern: Als vor nicht einmal einem Jahr die ÖVP noch mit der FPÖ in der Regierung war, hat es auch immer geheißen: ‚Österreich zuerst‘. Der Mechanismus zur Ausschließung war also auch vorher da.“
Gegen die SystemerhalterInnen wird schon seit Jahren gehetzt
Seien es Kürzungen beim Geld für AsylwerberInnen oder die Einschränkungen von Sozialleistungen für EU-AusländerInnen: Vom „Team Kurz“ geprägte Regierungen betreiben seit Jahren eine Politik auf dem Rücken von MigrantInnen und Flüchtlingen in Österreich. Also auch gegen die Menschen, die auch jetzt unter Einsatz ihrer Gesundheit das System in Österreich stützen.
„Wenn man sich die MitarbeiterInnen eines Krankenhauses ansieht, sind mindestens die Hälfte MigrantInnen beziehungsweise Menschen mit Migrationshintergrund. In Reha-Zentren im Burgenland sind die meisten PhysiotherapeutInnen TagespendlerInnen aus Ungarn. Dieses System bricht zusammen, wenn sie nicht mehr nach Österreich einreisen dürfen“, erklärt Sylvia Hahn. (Etwa in der Heimpflege gibt es dieses Problem gerade.)
Auch in der Altenpflege sei es laut ihr pervers: „Hier hat man plötzlich das Geld, dass man die PflegerInnen extra einfliegt. (MOMENT berichtete) Noch vor einem Jahr hat man ihnen die Kinderbeihilfe gestrichen, weil sie AusländerInnen sind. Hier wird gut deutlich, mit welchem Doppelgesicht Politik in Österreich betrieben wird. Das waren damals kleine Beträge, mit denen große Politik gemacht wurde. Jetzt sieht man, in welchen prekären Situationen ÖsterreicherInnen stehen, wenn diese Arbeitskräfte fehlen.“