Weniger Lohnnebenkosten heißt: Weniger Leistungen für uns alle
Alle Jahre wieder,
kommt das Märchen her,
“Lohnnebenkosten senken!”,
wär‘ doch gar nicht schwer.
In jedem Wahlkampf kommt die Story: “Wir zaubern mehr Netto vom Brutto! Müssen wir nur die Lohnnebenkosten senken.” Das ist super, tut gar ned weh. Weil: NEBENkosten, das klingt so süß, so wurscht, so … NEBENsächlich eben. Also weg damit – dann wird alles … gut?
Moment mal!
Lohnnebenkosten sind wichtig – sehr wichtig
So einfach ist das leider nicht. Denn diese Lohnnebenkosten, die sind vielleicht nicht die schönste – aber fix eine der nützlichsten NEBENsachen der Welt! Aber der Reihe nach.
Was sind überhaupt Lohnnebenkosten? Wenn wir arbeiten gehen, dann bekommen wir dafür ein Gehalt. (Manchmal sogar ein faires!) Einen Teil davon gibt unser Chef automatisch weiter: unsere Lohnsteuer zum Beispiel und unsere Sozialversicherung. Das ist unser Beitrag zum gemeinsamen Haushalt in der Republik und zur gemeinsamen Krankenversicherung. Und alles andere, der größte Teil ist unser Netto-Gehalt; das, was Monat für Monat auf unserem Konto landet also.
Aber nicht nur wir, sondern auch die Chefinnen und Chefs leisten einen Beitrag zum Sozialstaat … wär ja noch schöner … das sind die sogenannten Dienstgeber-Anteile: Der Beitrag der Unternehmen zu Pensionsversicherung, Krankenkasse, Unfallversicherung. Und sie zahlen in die Mitarbeiter-Vorsorgekassa ein, in den Insolvenzentgelt-Fonds. Dazu kommen der Beitrag zum Familienlasten-Ausgleichsfonds, ein Beitrag zur Wohnbau-Förderung, die Kommunalsteuer und in Wien die Ubahn-Steuer.
Anders gesagt:
Die Lohnnebenkosten sind die Beiträge der Arbeitgeber zum Sozialstaat.
Und was tun diese Lohnnebenkosten nun?
Oder anders gefragt: Was würde uns denn nun WIRKLICH fehlen, ohne diese Lohnnebenkosten? Sind die Kunst … oder können die weg?
Rund 70 Prozent davon fließen direkt in unsere Versicherungen: Pension, Gesundheitsversorgung, Arbeitslosengeld. Die restlichen 30 Prozent bringen uns ebenfalls was: Über den Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) zahlen wir die Familienbeihilfe und das Kinderbetreuungsgeld. Die Kommunalsteuer geht an die Gemeinden, sie bauen damit Straßen und Schulen. Die Beiträge in die betriebliche Vorsorgekasse finanzieren unsere Abfertigung, die Wohnbauförderung unterstützt leistbaren Wohnraum. Mit der Insolvenzsicherung sorgen wir dafür, dass die Leute trotzdem noch ihre ausstehenden Löhne ausbezahlt bekommen, wenn die Firma pleite geht.
Wie hoch sind die Lohnnebenkosten?
Die Lohnnebenkosten machen derzeit 26,6 Prozent der Arbeitskosten in Österreich aus. Das ist ein bisschen mehr als der EU-Schnitt von 24,8 Prozent. Aber deutlich weniger als zum Beispiel in Schweden, dort sind es 32 Prozent.
In den vergangenen zehn Jahren wurden die Lohnnebenkosten bereits neunmal gekürzt. Österreich senkt laufend die Beiträge der Arbeitgeber:innen – die Beiträge für Familien, zur Unfallversicherung, für die Insolvenz-Entgeltsicherung und die Arbeitslosenversicherung. Das kostet uns 2 Milliarden pro Jahr – ja, genau: UNS.
Denn das ist der Schmäh an der Sache. Hinter dem Bürokratenwort “Lohnnebenkosten” verbergen sich eben viele Leistungen für UNS. Und wer die “Lohnnebenkosten” zusammenstreicht, der streicht uns Leistungen zusammen. Aber wir haben dadurch nicht einen Cent mehr im Geldbörsel, denn – wie gesagt: Die Lohnnebenkosten, die zahlen ja die Arbeitgeber:innen.
Für die Eltern am Bildschirm:
Die Arbeitgeber verhalten sich ungefähr so, wie wenn ihr euren Kindern das Pausenbrot für die Schule streicht und sagt – super Idee, wir kürzen nur ein wenig bei den Taschengeld-Nebenkosten.
Und wer will jetzt NOCH was kürzen?
Obwohl die Arbeitgeber:innen also Jahr für Jahr weniger beitragen, überschlagen sich ein paar Parteien wieder mit tollen Ideen, wie man es Industrie und Wirtschaft noch kuscheliger machen könnte. Klar, genug gesenkt ist es eben erst, wenn es die Arbeitgeberseite gar nichts mehr kostet. Wenn der Beitrag zum Sozialstaat gleich Null ist.
Die ÖVP
Die ÖVP will bis 2030 die Lohnnebenkosten jährlich um 0,5 Prozentpunkte senken. Die Beiträge der Unternehmer zur Arbeitslosenversicherung und zum Familienlastenausgleichsfond (FLAF) sollen radikal gesenkt werden.
Würden wir das so durchziehen, fehlen dem Sozialstaat 2030 im Endausbau 8,4 Milliarden Euro.
Und dann gibt es nur mehr zwei Möglichkeiten: Entweder die Leistungen kürzen, also zum Beispiel die Familienbeihilfe streichen. Oder das Minus mit Steuergeld ausgleichen.
Moment mal, das heißt also …? Genau, richtig. Wir alle sollen dafür blechen, dass die ÖVP den Unternehmen Geld schenkt. Blechen – oder halt in Kauf nehmen, dass Sozialleistungen niedergemäht werden. Was sagt die ÖVP dazu? Wenig und Vages.
Auf Kosten unserer Absicherung und von Familien
Vorschlag 1: Natürlich soll das Arbeitslosengeld gekürzt werden. Die Nettoersatzrate, als der Prozentsatz des letzten Gehaltes, den man bekommt, ist jetzt schon mit 55 Prozent extrem niedrig angesetzt … und die ÖVP würde sie gern auf unter 50 Prozent drücken. Kleiner türkiser Denkfehler: Die Sozialhilfe und die Mindestsicherung fangen ja alle auf, die auf Jobsuche sind, aber zu wenig Arbeitslosengeld bekommen. Die Einsparungen sind also allenfalls homöopathisch.
Vorschlag 2: Der Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) soll über Steuergeld finanziert werden. Also genau das, was wir befürchten: Ein Körberlgeld für die Konzerne, bezahlt von … uns allen!
Das ist vor allem mit Blick auf die Geschichte des FLAF so zynisch: Denn der FLAF wurde 1955 bewusst als Verwaltungsfonds gegründet, unabhängig vom Finanzminister. Die Idee damals war, Eltern und Kinder abzusichern – im doppelten Sinne. Die Familien finanziell gegen Armut absichern. Und den Fonds selbst vor dem Zugriff künftiger Regierungen beschützen, die im FLAF oft eine schnelle Geldquelle für Budgetnöte sehen.
Politisch durchsetzen konnten wir den Fonds in dieser Form nur, weil damals, 1955 alle Arbeitnehmer*innen auf eine generelle Lohnerhöhung verzichtet haben. Nur unter dieser Bedingung haben die Arbeitgeber ihren Beitrag zum FLAF zugesagt. Die fehlende Lohnerhöhung spüren wir bis heute, denn natürlich pflanzt sich der Lohnverzicht ja fort, das fehlende Jahr wurde nie wieder ausgeglichen. Aber die Arbeitgeber wollen ihren Teil des Deals jetzt aufkündigen.
Die FPÖ
Die FPÖ schlägt ähnliches vor, wenn auch deutlich weniger konkret. Fix ist: Die Lohnnebenkosten sollen runter. Wie genau, wo genau was genau? Details wurden bisher keine präsentiert.
Die Neos
Die NEOS fordern auch schon lange und immer wieder, die Lohnnebenkosten „rasch“ zu kürzen. Sie haben keinen konkreten Pfad vorgelegt, sagen aber, sie wollen die Lohnnebenkosten um 6,55 Prozentpunkte senken. Würden wir das über Nacht durchziehen, würde uns das über 12 Milliarden Euro kosten.
Bis 2030 – läge der Einnahmenausfall bereits bei 14 Milliarden Euro.
Und weil so die bisherigen Leistungen natürlich nicht aufrecht zu erhalten wären, reden die NEOS natürlich auch ganz offen davon: Sie wollen das Pensionsantrittalter auf 67 erhöhen. Also zwei Jahre weniger Pension für jeden und jede – das ist NEOS-Preis für das Konzern-Guzzi.
Wer hat wirklich was von der Kürzung?
Genau, Konzern-Guzzi. Denn auch wenn die Freunde der Kürzung immer behaupten, dass es hier um eine Maßnahme für „vor allem Klein- und Mittelbetriebe in personalintensiven Branchen“.
Das ist falsch: Das meiste Geld ginge an die großen, richtig großen Unternehmen – allein die Hälfte an das größte Prozent der österreichischen Konzerne. Das lässt sich auch logisch begründen: Denn die Lohnnebenkosten orientieren sich ja an der Zahl der Beschäftigten. Also profitieren Konzerne mit vielen Mitarbeiter:innen.
Aber kriegen wir dann nicht höhere Löhne?
Leider, auch das ist eine Lüge. Viele Studien belegen, dass Kürzungen bei den Lohnnebenkosten den Arbeitnehmern nicht mehr Geld bringen – sondern dass die Chefs im Normalfall einfach den Gewinn nach oben schrauben.
Den Arbeitgeber:innen kommt da zugute, dass es für die Beschäftigten keinen direkten Konnex zwischen den Lohnnebenkosten und den Leistungen gibt, die gestrichen werden. Wird beispielsweise der Pensionsbeitrag des Arbeitgebers gesenkt, dann muss der Dienstnehmer eine private Versicherung abschließen, sieht die direkten Mehrkosten … und wird dementsprechend mehr Lohn fordern. Aber “Ich will mehr Lohn, weil das Freibad bei uns im Ort zugesperrt hat”? Schlechte Verhandlungsbasis.
Falls dennoch einzelne Beschäftigte in der Lage sind, etwas von der Kürzung herauszuschlagen, sind es – wie eine Studie aus Ungarn zeigt – die Besserverdienenden, weil sie mehr Verhandlungsmacht haben. Wer wenig verdient, steigt also doppelt schlecht aus. Einmal, weil die Unternehmen ihnen die Weitergabe der Abgabensenkung eher vorenthalten werden. Und ein zweites Mal, weil sie auf die Leistungen, die mit den Lohnnebenkosten finanziert werden – günstiger Wohnraum und öffentliche Infrastruktur – viel stärker angewiesen sind.
Aber der Wettbewerb?!
Die Lohnnebenkosten-Slayer werben oft mit den “im europäischen Vergleich hohen Lohnkosten” in Österreich. Die seien ein “Wettbewerbsnachteil” für Unternehmen, die auf den Export und damit internationale Preisvergleiche angewiesen sind.
Weg mit den blöden Lohnnebenkosten, (Nein, …), dann können sie ihre Produkte billiger anbieten!
Äh. Moment mal … haben sie nicht gerade behauptet: Wenn wir die Lohnnebenkosten senken, dann kriegen die Arbeitnehmer:innen “mehr netto vom brutto” …? Erwischt! Entweder oder. Entweder die Preise sinken ODER die Kohle wandert auf den Lohnzettel.
Aber schon für sich allein ist das Argument mit den Preisen schwach: Denn in hochtechnologischen Industrien sind die Lohnkosten als Maß für die Wettbewerbsfähigkeit gering. Das bessere Produkt gewinnt im Normalfall: Innerhalb Europas steht die österreichische Industrie nur bedingt in Konkurrenz mit Niedriglohnländern: Die produzieren andere Produkte für andere, weniger komplexe Märkte.
Was also könnten wir tun?
Das kann sich also alles irgendwie so nicht ausgehen, wie sie das versprechen. Wer heute Lohnnebenkosten senken will, ohne ein gescheites Konzept zur Gegenfinanzierung vorzulegen, wird uns morgen ausrichten: Padauz! Jetzt müssen wir – leider, leider! – eure Leistungen drastisch kürzen.
Und wie gesagt: Wenn nix gekürzt werden soll, was komplett unrealistisch ist(!), dann zahlen am Ende die Zeche wir alle. Denn das Steuergeld, mit dem die Löcher dann gestopft werden, das kommt zum großen Teil ja von uns: Von 100 Steuer-Euros kommen 80 von Arbeitnehmer:innen und Konsument:innen. Aber nur 6 aus den Gewinnen der Unternehmen. Wie man es also dreht und wendet: Es wird eine große Umverteilung von den Arbeitnehmer:innen, den Pensionist:innen und den Familien zu den Konzernen.
Wie wir wirklich mehr Netto vom Brutto kriegen könnten? Mit einer höheren Körperschaftsteuer zum Beispiel – also der Steuer, die Konzerne auf ihre Gewinne leisten. Wenn die Beiträge der Arbeitgeber:innen um einen Prozentpunkt senken wollen, müssten wir im Gegenzug die Körperschaftsteuer um etwa drei Prozentpunkte anheben.
Immer mehr Steuergeschenke für Großkonzerne
Das Gegenteil ist übrigens in den letzten Jahren passiert: Die Körperschaftsteuer wurde allein unter dieser Regierung von 25 auf 23 Prozent gesenkt – in den 70er Jahren lag die Steuer mal bei 55 Prozent. Und auch den personalintensiven Unternehmen könnten wir anders viel besser und effektiver helfen: Indem wir bestimmte Abgaben nicht mehr plump an die Anzahl der Mitarbeiter:innen koppeln, sondern an die Wertschöpfung. Wertschöpfung bedeutet, wie viel ein Unternehmen an tatsächlichem Mehrwert produziert – also die Differenz zwischen den Kosten für Vorleistungen und dem, was am Ende als Endprodukt oder Dienstleistung herauskommt. Es geht also nicht nur darum, wie viele Leute ein Unternehmen beschäftigt, sondern darum, wie viel ökonomischen Nutzen es wirklich schafft.
Eine Kommunalsteuer nach der Höhe der Wertschöpfung statt nach der Größe der Belegschaft zum Beispiel wäre nur fair: Schließlich haben ja auch alle was von einer attraktiven und gut geführten Gemeinde. gute Verwaltung, sanierte Gemeindestraßen, Schwimmbäder, Altersheime, Spielplätze, usw. Bemisst sich die Steuer so wie derzeit an der Lohnsumme, werden personalintensive Betriebe übermäßig belastet – etwa Gastronomie oder Hotellerie. Während kapitalintensive Betriebe (wie Industrie oder Banken) zu im Vergleich dazu lächerlich wenig beitragen.
Das wäre schlauer und fairer als einfach nur mit der Machete in den Sozialstaat zu hauen. Und würde den kleinen und mittleren Betrieben wirklich helfen.
Aber irgendwie drängt sich der Verdacht auf, als würde es ÖVP, FPÖ und Neos darum gar nicht so wirklich gehen …