Die Medien und Rene Benko: Hat der Wirtschaftsjournalismus bei der Signa versagt?
Hat der Wirtschaftsjournalismus versagt, wenn es um René Benko geht? Sein Signa-Geflecht liegt in Trümmern. Es mag undurchsichtig gewesen sein, geheim war es aber nicht. Aber sein rasanter Aufstieg wurde in Medien durchgehend von Fanfaren begleitet. Zu seinen politischen Verbindungen gab es gelegentlich Kritik. Das fragwürdige Geschäftsmodell erfuhr dabei aber wenig Aufmerksamkeit. Die meisten investigativen Enthüllungen wurden erst veröffentlicht, als das Signa-Schiff bereits nicht mehr zu retten war und in Richtung Insolvenz steuerte. Was war also los mit den Wirtschaftsmedien?
Im Dezember 2018 war René Benko am Höhepunkt seines Ruhms. Die Übernahme der größten deutschen Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof war abgeschlossen. Die Einkaufstour war aber noch nicht zu Ende. Im Sommer darauf übernahm Benko den traditionsreichen Möbelhändler Kika/Leiner samt Handelsimmobilien. Im November folgte der Einstieg bei “Kronen Zeitung” und “Kurier”. Im Kanzleramt saß mit Sebastian Kurz ein enger Verbündeter.
René Benko: Doppelter Mann des Jahres
Kein Wunder also, könnte man meinen, dass Österreichs führendes Wirtschaftsmagazin Trend René Benko zum “Mann des Jahres 2019” kürte. Zum zweiten Mal nach 2012. So oft wurde bisher sonst niemand gewürdigt. Der Trend war mit seiner Huldigung nicht allein. Im selben Monat erklärte das Handelsblatt Benko zum “Strategen des Jahres”. Und das deutsche Capital schrieb 2019 vom “Wunderwuzzi” René Benko.
Diese Art der Berichterstattung ist bemerkenswert. René Benko hat zu diesem Zeitpunkt bereits seit fünf Jahren keine Signa-Gesellschaft mehr operativ geleitet. 2012 wurde er erstmals wegen Korruption verurteilt. Danach zog Benko sich in einen “Beirat” zurück. Dieser Beirat sei “de facto der Aufsichtsrat der Gruppe” berichtete damals der Standard. Und er sei “prominent besetzt: unter anderem mit dem griechischen Reeder George Economou, Ex-Bank-Austria-Chef Karl Samstag, Casino-Chef Karl Stoss, Wüstenrot-Chefin Susanne Riess und Ex-Porsche-Chef Wendelin Wiedeking.”
Der prominente Signa-Beirat
Der Beirat war über Jahre hinweg das mit Abstand sichtbarste Gremium der Signa-Gruppe in der Öffentlichkeit. Man stellte die Prominenz seiner Mitglieder auf der Signa-Webseite in die Auslage. Ganz offensichtlich sollte ein Eindruck erweckt werden: Es gebe eine einheitliche Leitung und Aufsicht über die diversen Signa-Gesellschaften im Immobilien- und Handelsbereich.
Warum hat es aber trotzdem keinen gemeinsamen Konzernabschluss gegeben? Welche Rechte und Pflichten hatte dieser Beirat tatsächlich? Wieso hat es auf Ebene der Signa Holding keinen Aufsichtsrat gegeben? Das wären alles eigentlich naheliegende Fragen für den Wirtschaftsjournalismus. In den goldenen Jahren des märchenhaften Signa-Wachstums hat sie aber niemand gestellt.
Erst im Zuge der Insolvenz wurde öffentlich, dass der Beirat offenbar keinerlei rechtlich verbindliche Aufsichtspflicht hatte. So heißt es in § 3.2 der Geschäftsordnung, der Beirat “hat weder Geschäftsführungs- noch Überwachungsaufgaben noch sonstige Entscheidungskompetenzen”. Insofern sollte der Beirat in rechtlicher Hinsicht eben gerade kein “Aufsichtsrat der Gruppe” sein.
Die Medien und die unhinterfragte Signa-Konzernbilanz
Mehr noch. Die Steuerberater von TPA haben empfohlen, dass selbst die Bezeichnung “Signa-Gruppe” vermieden werden sollte. Denn gerade das würde auf eine einheitliche Leitung der diversen Signa-Gesellschaften hindeuten. Und sowas könnte eher zum Legen einer integrierten Konzernbilanz verpflichten. Denn in Österreich ist das gesetzlich für Unternehmen vorgesehen, die unter einer einheitlichen Leitung stehen.
Das führt uns zurück zur Auszeichnung von Benko als Mann des Jahres 2019. Nicht nur Signa selbst hat den Eindruck erweckt, dass René Benko wesentlicher Entscheidungsträger über die diversen Teilgesellschaften hinweg war. Auch in der Medienberichterstattung wurde nie ein Zweifel daran gelassen, dass Benko “die Zügel in der Hand” hatte, wie es Signa-Investor Hans-Peter Haselsteiner nach der Insolvenz im ZiB2-Interview formuliert hat.
Der unhinterfragte Chef ohne Funktion
Jahrelang hat die Wirtschaftspresse über “Benkos Signa Holding” oder einfach nur “Benkos Signa” berichtet. Regelmäßig fand sich dann zwar in einem Nebensatz der Hinweis, dass Benko “bei Signa […] übrigens firmenrechtlich keine offizielle Funktion” hat. Aber: keine Diskussion, warum das so ist. Keine Beleuchtung der Frage, welche Folgen damit für gesellschaftsrechtliche Haftungs- und Sorgfaltspflichten verbunden sind.
Im Rückblick ist aber auch nicht erstaunlich, dass sämtliche Medien ganz selbstverständlich von der einheitlichen und operativen Leitung der Signa-Gruppe durch René Benko ausgingen. Erstens entsprach diese mutmaßlich auch den Tatsachen. Benko war zwar nicht formal, aber faktisch absolutistischer Alleinherrscher im Signa-Reich. Und schließlich war Benko selbst der allseits bewunderte Gastgeber beim Törggelen, nicht die operativ tätigen Manager Stadlhuber, Mühlberger und Pirolt.
Die stillgelegte Kritik
Grotesk ist, dass niemand die Frage gestellt hat, warum es trotz dieser offensichtlichen, einheitlichen Leitung keine konsolidierte Bilanz, sondern nur eine unüberschaubar große Zahl an Einzelabschlüssen gegeben hat. Warum Benko zwar der unumstrittene Signa-Chef war, formal aber nicht einmal in den diversen Stiftungen etwas zu sagen hatte, die wesentliche Anteile zentraler Signa-Gesellschaften hielten?
Die wenigen Ausnahmen in den Redaktionen, die schon vor Benkos Fall hinter die glitzernden Kaufhausfassaden blickten, bezahlten einen Preis. Sebastian Reinhart ist heute mit Rainer Fleckl wohl in Österreichs profiliertestem Signa-Journalistenduo. Aber davor wurde er verklagt und musste ein halbes Dutzend Mal vor Gericht erscheinen. Andere konnten auf Anweisung der Chefredaktion ihre Geschichten gar nicht erst veröffentlichen, wie mir ein Redakteur einer großen österreichischen Tageszeitung erzählt hat. Oder, wie es ein 2018 im deutschen Spiegel zitierter Redakteur formuliert hat: “[Benko] hat Geld und kann uns in Grund und Boden klagen. Die meisten Redaktionen scheuen daher die Auseinandersetzung.”
Der falsche Fokus nach der Signa-Pleite
Selbst jetzt, nach der Rekordpleite, liegt der mediale Fokus primär auf der Person René Benko und all den pikant-privaten Details seines Lebensstils. Von teuren Uhren über luxuriöse Villen bis zu seinen Jagdausflügen. Aber: Immobilien-Jongleur René Benko hat Gesetzeslücken oder das Fehlen von Schenkungssteuern, was viele seiner Umgehungskonstruktionen überhaupt erst möglich gemacht hat, nur ausgenutzt. Verhindern kann so etwas nur der Gesetzgeber und damit die Politik.
Umso wichtiger ist es, zumindest im Nachhinein in der medialen Aufarbeitung den Immobilienfall Signa und nicht nur den mutmaßliche Kriminalfall Benko ins Zentrum zu rücken. Denn vieles von dem, was Signa groß gemacht hat, ist weiterhin üblich. Dazu zählen beispielsweise aufwertungsbasierte Neukreditvergabe, die Vermeidung von Grundererwerbssteuern über sogenannte „Share-Deals“ oder steuerfreie Schenkung an Stiftungen.
Zwei Urteile über den Wirtschaftsjournalismus
Skandalös an Signa war eben gerade, dass viele von Benkos Praktiken legal sind und waren. Mag also sein, dass es an Benko, dem begnadeten Gastgeber und Blender lag, dass viele offensichtliche Fragen über Jahre hinweg ungestellt blieben und teilweise immer noch bleiben. Das wäre jene Lesart, bei der die Wirtschaftspresse noch am besten wegkommt.
Weniger freundlich wäre hingegen die Lesart, dass Benko hier keine Ausnahme, sondern der Regelfall von Stiftungs- und Steuervermeidungskonstruktionen im Umfeld von Multimillionären und Milliardären ist.
Dann wäre es im Wirtschaftsjournalismus in Österreich eine etablierte Praxis, dass man sich wegduckt und wegschaut.