print print
favorites-circle favorites-circle
favorites-circle-full favorites-circle-full
Arbeitswelt

Kein Kavaliersdelikt: Wie sehr uns Lohnraub schadet und wie wir uns dagegen wehren können

Preisfrage: Welches Diebstahlsdelikt verursacht den größten Schaden in Österreich? Ist es Einbruch, Autodiebstahl oder Raub? Nein, am meisten geht durch Lohndiebstahl verloren. Allein im vergangenen Jahr prellten Unternehmer:innen ihre Beschäftigten um gigantische 682 Millionen Euro an Lohn- und Gehaltszahlungen. Im Jahr davor waren es sogar fast 900 Millionen Euro. Das ist mehr als doppelt so viel, wie die anderen Eigentumsdelikte zusammen an Schaden verursachten. Berichtet wird über Lohnraub aber kaum.

Stattdessen macht es große Schlagzeilen, wenn einzelne Personen zu Unrecht Sozialleistungen beziehen. Dafür gründete Innenminister Karl Nehammer sogar eine eigene Task Force. Sozialleistungsbetrug verursacht jährlich aber nur 20 Millionen Euro an Schaden. Viel Geld, aber nur ein Bruchteil von dem, was uns Lohnraub kostet.

Denn nicht nur die einzelnen Mitarbeiter:innen werden durch Lohnraub um Geld geprellt. Sondern auch dem Staat wird in die Kassa gegriffen: durch nicht abgeführte Lohnsteuern und Sozialabgaben. Auch durch Lohndumping oder Unterentlohnung werden Beschäftigte um ihnen zustehendes Geld betrogen. Und in der Corona-Krise kam ein neues Phänomen dazu: Betrug bei der Kurzarbeit. Seinen Beschäftigten Lohn vorzuenthalten, wird dennoch als ein Kavaliersdelikt behandelt.

Was Lohnraub ist und wie du dich dagegen wehren kannst, beantworten wir hier:

Was ist Lohnraub?

Wenn Arbeitergeber:innen ihren Beschäftigten Geld vorenthalten, dass ihnen eigentlich zusteht, ist das Lohnraub oder Lohndiebstahl. Oft wissen Arbeitnehmer:innen gar nicht, dass ihnen weniger gezahlt wird, als sie verdienen. „Das gibt’s auch bei Top-Angestellten mit All-In-Vertrag“, sagt Christoph Täubel von der Arbeiterkammer zu MOMENT. Täubel berät Arbeitnehmer:innen, denen Geld vorenthalten wird. „Die wissen oft selbst nicht, dass der Vertrag nicht alle Überstunden abdeckt.“

Oder: Viele Beschäftigte müssten nach Kollektivvertrag entlohnt werden, bekommen tatsächlich aber viel weniger Gehalt. Dann spricht man auch von Lohndumping. Ganz oft ist es dabei so: Beide Seiten wissen, dass etwas faul ist beim Geld. Unternehmen verlangen aber von ihren Beschäftigten, auf ihre Gehaltsansprüche zu verzichten. Denn sonst heißt es schnell: Wir setzen dich vor die Tür. „Manche Arbeitnehmer:innen machen aus der Drucksituation heraus mit“, sagt Täubel.

Welche Formen von Lohnraub und Lohndiebstahl gibt es?

Der am meisten verbreitete Lohnraub, und der mit dem größten verursachten Schaden, ist es, geleistete Überstunden nicht zu bezahlen. Das zieht sich durch alle Branchen und Einkommensschichten, von der gut bezahlten Projektmanagerin bis zum Regaleinschlichter. „Bei Arbeiter:innen wird teils gar nicht bezahlt“, sagt Täubel.

Manchmal würden die Mehrstunden zwar bezahlt, aber nur schwarz auf die Hand. Dadurch wird der Staat, werden also wir alle, um Steuern und Sozialabgaben geprellt. Aber auch die betroffenen Arbeitnehmer:innen „steigen schlechter aus“, so Täubel, „allein schon wegen der nicht abgeführten Pensionsbeiträge“.

Ist falsch angemeldete Kurzarbeit Lohndiebstahl?

In der Corona-Krise kommt es häufiger dazu: Unternehmen melden Kurzarbeit an, lassen ihre Mitarbeiter:innen aber in Vollzeit arbeiten. In den Arbeitszeiterfassungen wird dennoch so getan, als ob Kurzarbeit geleistet wurde. Folge: Das Unternehmen erhält die Kurzarbeits-Förderung vom AMS. Arbeitnehmer:innen erhalten im schlimmsten Fall nur das Kurzarbeitsgehalt – trotz Vollzeit. „Es gab einige, die das schamlos ausgenutzt haben“, sagt AK-Berater Christoph Täubel.

Beschäftigte vorab für Kurzarbeit anzumelden und dann – weil die wirtschaftliche Lage sich gebessert hat – doch Vollzeit arbeiten zu lassen, sei nicht verboten. Aber: „Wenn Vollzeit gearbeitet wird, die Betriebe aber dennoch Kurzarbeitsförderung erhalten, weil Arbeitszeiten gefälscht wurden – das ist verboten“, sagt Täubel. Viele riefen an und fragten, ob sie den gefälschten Stundenaufzeichnungen zustimmen sollten, so der AK-Berater. „Ein normal denkender Mensch wird das nicht unterschreiben“, sagt Täubel. Unternehmen setzten Beschäftigten in der Krise aber oft die Pistole auf die Brust.

Was ist Lohndumping?

Hart arbeiten und wenig herausbekommen. So geht es vielen Beschäftigten in prekären Branchen, etwa auf dem Bau, im Handel oder bei der Zustellung von Paketen. Doch es geht immer noch schlechter: Indem Unternehmen bestimmte Arbeiten auslagern und Subfirmen damit beauftragten. Die schließen dann Arbeitsverträge mit Beschäftigten ab, die weit unter dem Niveau der Kollektivverträge in der Branche sind.

Einer Person, die etwa für große Handelsunternehmen Regale schlichtet oder Produkte verpackt, „wird dann gesagt: Hier gilt kein Kollektivvertrag, das ist eine eigene Dienstleistung“, schildert Christoph Täubel von der AK. In einem Beispiel erhielt eine Arbeiterin mit 40-Stunden-Woche nur 1.260 Euro brutto. Das ist Lohndumping, auch Unterentlohnung genannt. Der anzuwendende Kollektivvertrag für überlassene Arbeitskräfte beginnt bei knapp 1.650 Euro brutto.

Doch es ist nicht nur das Gehalt mies: „Arbeitnehmer:innen, die verpacken, einschlichten und verteilen arbeiten faktisch auf Abruf“, sagt Täubel. „Sie sollen dorthin, wo immer gerade Not am Mann ist, fixe Arbeitszeiten gibt es nicht.“ Mehrarbeit werde nicht bezahlt. Ein Amazon-Pakete ausliefernder Mann, schildert es in einer jüngst erschienenen Studie der Arbeiterkammer so: „Wir bekommen keine Überstunden. Wir haben ein fixes Gehalt, aber keine fixen Arbeitszeiten.“

Welches Ausmaß hat Lohnraub in Österreich?

Unter den Diebstahlsdelikten verursachen nicht Einbruch, Autoklau oder Raub den größten Schaden in Österreich, sondern Lohndiebstahl. Allein die nicht ausbezahlten Überstunden summierten sich im vergangenen Jahr auf 682 Millionen Euro. Das berechnete das Momentum Institut auf Grundlage von Zahlen der Statistik Austria.

Im Jahr 2019, also vor Ausbruch der Corona-Krise, waren es sogar 885 Millionen Euro. Um diesen Betrag wurden Arbeitnehmer:innen von ihren Firmen geprellt. Mehr als 40.000 Überstunden wurde einfach nicht bezahlt, das sind 15 Prozent aller Überstunden – also jede sechste.

Konsequenzen? Kaum welche. „Wird ein Unternehmen erwischt, Überstunden nicht auszuzahlen, muss es oft nur das Geld nachzahlen“, sagt AK-Berater Täubel. „Heißt: Sie zahlen nur das, was sie eh schon zahlen müssten.“ Die astronomischen Zahlen zeigen: Viele Unternehmen sehen das offenbar als Freifahrtschein an.

 
Lohndiebstahl und Lohnraub kosteten uns 2020 682 Millionen Euro.

Wie groß ist der Betrug bei Kurzarbeit in der Corona-Krise?

Wie groß der Schaden von Lohndumping und Betrug mit der Kurzarbeit ist? Das ist offenbar nicht einmal den zuständigen Stellen bekannt. MOMENT fragte bei allen AMS-Landesdirektionen an, in welchem Ausmaß Unternehmen bei der Kurzarbeit betrogen haben. Diese sind dafür zuständig, Anträge auf Kurzarbeit abzuwickeln und auszuzahlen.

Zahlen gibt es von keiner Landesstelle. Eine berichtet MOMENT von völliger Überforderung. Da die Anträge auf Kurzarbeit in der Pandemie explodierten, sei es „praktisch unmöglich geworden, das wirksam zu kontrollieren“. Die AMS-Bundessprecherin Beate Sprenger verweist auf die Finanzpolizei, die „zuständig ist, Kontrollen bei Unternehmen durchzuführen“ und an Gerichte.

Die Finanzpolizei legt bei erhärteten Verdachtsfällen Anzeigen wegen Betrugs bei der Kurzarbeit. Das Finanzministerium, unter dessen Dach die Finanzpolizei arbeitet, kann MOMENT aber keine Zahlen nennen. Ministeriumssprecher Stefan Trittner sagt, Anzeigen würden „von der zuständigen Taskforce Sozialleistungsbetrug im Bundeskriminalamt weiterverfolgt“. Auch von dieser Einheit mit dem Kürzel SOLBE gibt es keine Zahlen. Deren stellvertretender Leiter Thomas Gut spielt den Ball vielmehr zurück zum AMS: Dieses sei die Geschädigte und „muss entscheiden, ob Betrug vorliegt.“

Christoph Täubel von der Arbeiterkammer erläutert eines der Probleme für die Behörden: „Wenn Arbeitnehmer:innen auf Druck der Unternehmen den gefälschten Arbeitszeitaufzeichnungen zustimmen, wer soll da drauf kommen, dass hier betrogen wird?“ Die Finanzbehörde prüfe die Unterlagen zwar, wenn aber auf dem Papier alles stimme, „dann ist das schwer nachweisbar“.

Wie kann ich mich gegen Lohnraub wehren?

Bei Lohnraub haben Beschäftigte oft keine Wahl: „Da heißt es dann, entweder du machst das oder du kannst gehen“, sagt AK-Berater Täubel. Wer um Überstunden geprellt werde, könne das schwer durchsetzen. Das gelte besonders für Arbeiter:innen und für migrantische Beschäftigte. „Die werden stark ausgenutzt“, sagt Täubel. Ein Problem: Ansprüche können nur drei Monate im Nachhinein eingefordert werden. Passiert das nicht, verfallen sie einfach. Für Täubel ist das ein Unding.

Dazu kommt, dass Betrug bei Überstunden „oft nicht beweisbar ist, weil keine Aufzeichnungen geführt werden“. Wer statt regulär bezahlt zu werden, zustehendes Geld schwarz auf die Hand bekommt, habe auch schnell gravierende Probleme. Beispiel Betrug bei Kurzarbeit: Arbeitnehmer:innen erhalten vom Betrieb das volle Gehalt, allerdings schwarz. Dem AMS wird Kurzarbeit gemeldet. Das Unternehmen kassiert das Fördergeld.
“Am Ende machen sich die Arbeitnehmer:innen ja auch selbst strafbar”, sagt Täubel. Die Unternehmen sitzen aber oft am längeren Hebel. „Wir empfehlen, eine anonyme Anzeige beim AMS zu machen. Über die Finanzpolizei wird dann geprüft.“

Vor allem im Gastgewerbe erhalten Beschäftigte Überstunden nur schwarz bezahlt. Von der Arbeitgeber:in einzufordern, die Stunden korrekt auszubezahlen, sei schwierig. „Sie müssten vorher eine Selbstanzeige machen, Schwarzgeld kassiert zu haben“, sagt Täubel. Und: „Wenn ich einmal zustimme, zum Teil schwarz entlohnt zu werden und plötzlich bekomme ich das nicht mehr, wie will ich das einfordern?“

Letztlich schrecken viele Beschäftigte davor zurück, Beratung und juristische Hilfe anzunehmen. Auch damit kalkulieren viele Unternehmen. „Kommt nur einer zu uns und klagt seine Ansprüche ein, zehn weitere Geschädigte kommen aber nicht, dann müssen die Arbeitgeber:innen auch nur einmal zahlen.“

Wie billig Unternehmer:innen in Österreich davonkommen, wenn sie ihre Beschäftigten um Geld prellen und was getan werden muss, um Lohnraub wirklich zu bekämpfen, erklärt Barbara Blaha in dieser Ausgabe von Moment Mal.

 

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Kommentare 0 Kommentare
    Kommentar hinzufügen

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Beitrag!