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Arbeitswelt
Kapitalismus

MAN-Werk in Steyr: Eine Abstimmung, die keine ist

Die Belegschaft des MAN-Werks in Steyr stimmt darüber ab, ob die Lastwagenfabrik von einem Investor übernommen werden soll. Der gibt keine Jobgarantien und verlangt massiven Lohnverzicht von den derzeit noch 2.300 Beschäftigten. Doch die Alternative klingt noch schlimmer: Sagen die MitarbeiterInnen Nein, will die VW-Tochter das profitable Werk dichtmachen. Dabei galt eigentlich bis 2030 eine Standortgarantie. 

Das könnte in ganz Österreich bis zu 8.400 Jobs kosten, so eine Studie. „Darum ist es umso verwerflicher, dass die Bundesregierung sich nicht um eine Lösung bemüht hat“, so Betriebsratschef Erich Schwarz. Über eine Abstimmung mit der Pistole auf der Brust.

Es brodelt am MAN-Werk im oberösterreichischen Steyr, allerdings derzeit noch im Verborgenen. Rund 2.300 MitarbeiterInnen schrauben hier Lastwagen für den deutschen Hersteller zusammen, noch. Heute, Mittwoch stimmen sie hier über die Zukunft ihres Werkes ab. Die Frage lautet: Soll Investor Siegfried Wolf das MAN-Werk übernehmen?

Erwarten Sie nicht, dass jemand offen spricht. Der Druck von MAN ist sehr groß.
Erich Schwarz, Betriebratschef

Das hieße laut dessen Plan, mit deutlich weniger Personal und um 15 Prozent gekürzten Lohn weiter Nutzfahrzeuge bauen zu können. Lehnt die Belegschaft hingegen ab, wird das MAN-Werk dicht gemacht. Im schlimmsten Fall hat dann also niemand hier mehr einen Job. Wie die MitarbeiterInnen sich auch entscheiden: Besser wird ihre Zukunft nicht.

„Sie können sich gerne vor das Werktor stellen und die Leute fragen, wie es ihnen damit geht“, sagt Betriebsratschef Erich Schwarz zu MOMENT. „Aber erwarten sie nicht, dass jemand offen mit ihnen spricht. Der Druck von MAN ist sehr groß.“

Das MAN-Werk soll weg

Der Eigentümer will das MAN-Werk unbedingt loswerden und hat sich festgelegt: Die WSA Beteiligungs GmbH des früheren Magna-Chefs Siegfried Wolf soll es übernehmen. Er will die Stammbelegschaft auf 1.250 Personen reduzieren, die Marke Steyr wiederbeleben und eng mit dem russischen Nutzfahrzeughersteller GAZ koopieren. In der von Oligarch Oleg Derispaska kontrollierten Unternehmensgruppe sitzt Wolf im Aufsichtsrat.

Bereits jetzt plant Wolf laut eigener Aussage mit dem Vorstand die Zukunft des Werkes – ganz so, als hätte die Belegschaft bereits ab- und dem Plan zugestimmt. Bis Ende Juni sollen alle Beschäftigten in Einzelgesprächen erfahren, ob sie noch eine Zukunft im Werk haben.

Noch vor einem Jahr galt: MAN-Werk ist bis 2030 in Steyr

Die Fallhöhe ist beträchtlich. Noch im vergangenen Jahr galt: Bis 2030 soll in Steyr weiter an MAN-Fahrzeugen geschraubt werden. Das regelte ein Standortsicherungsvertrag. Doch im Herbst des vergangenen Jahres wollte MAN davon nichts mehr wissen. Das Münchener Unternehmen kündigte den Vertrag auf und an, das Werk schließen zu wollen.

Betriebsratschef Schwarz ist sauer. „Wir können nicht hinnehmen, dass abgeschlossene Verträge einfach so mir nichts dir nichts gekündigt werden.“ Dann müsse das Unternehmen „öffentlich kundtun, dass Betriebsvereinbarungen für sie kein geltendes Regelwerk sind“, so Schwarz.

Es habe weder Verhandlungen um den Standort gegeben, noch wurden seitens MAN Gespräche angeboten. „Gar nichts ist passiert“, so Schwarz. Bleibt es dabei, dann „müssen wir den Gerichtsweg gehen“.

Jeder Beschäftigte, der jetzt bei Siegfried Wolf unterzeichnet, verzichtet auf den Standortsicherungsvertrag.
Erich Schwarz, Betriebsratschef

Laut MitarbeiterInnen-Vertretung wäre dann der Fall klar: Schließt das MAN-Werk trotz des bestehenden Vertrages, dann müsste der Konzern den MitarbeiterInnen den bis zum Jahr 2030 entgehenden Verdienst auszahlen. Es geht um einen Milliardenbetrag.

Win-Win für MAN und MAN-Käufer Wolf

Aber: „Jeder Beschäftigte, der jetzt bei Siegfried Wolf unterzeichnet, verzichtet auf den Standortsicherungsvertrag“, sagt Schwarz. Eine geschmeidige Lösung für MAN, vermuten Branchenkenner. Denn so könnte der Lastwagenkonzern relativ billig MitarbeiterInnen loswerden.

Neueigentümer Wolf bekäme das MAN-Werk, in dem weder Löhne noch Arbeitsplätze für die Zukunft garantiert werden müssten. Das wären eine Win-Win-Situation für MAN und Wolf, aber schlechte Aussichten für die Beschäftigten in Steyr. Diese hatten für die Standortzusicherung im Jahr 2016 übrigens einer seitens MAN geforderten Arbeitszeitflexibilisierung zugestimmt, die dann auch kam.

Wolf droht mit „Detroit in Österreich“

Der Ton wurde zuletzt jedenfalls rau: Wolf sprach von einem drohendem „Detroit in Österreich“, sollte er nicht zum Zuge kommen. Er richtete der Belegschaft aus, dass er „kein Thema am Gerichtsweg haben will“. Man wisse nicht „auf welch hölzernen Beinen“ der Standortsicherungsvertrag mit MAN stehe, sagte Wolf. Ihm sei versichert worden, dass er zu Recht gekündigt wurde.

„Eine solche Ferndiagnose kann jeder stellen“, widerspricht Betriebsrat Schwarz. Er und seine KollegInnen hätten jedenfalls „eine Fachdiagnose erhalten, dass der Vertrag hält“. Strittig ist, ob der Vertrag zwischen Belegschaft und MAN eine Standortgarantie darstelle und ob er überhaupt rechtsgültig sei. „Das wird ein unabhängiger Richter entscheiden müssen“, sagt Schwarz. Für MitarbeiterInnen, die heute über die Zukunft des MAN-Werks abstimmen müssen, könnte das eine zu vage Aussicht sein.

Am MAN-Werk hängen 8.400 Arbeitsplätze

Bis Ende des Jahres 2023 soll in Steyr mindestens noch an Lastern geschraubt werden. Sollte das MAN-Werk danach tatsächlich schließen, wären Tausende weitere Arbeitsplätze in Gefahr. Wie der Ökonom Friedrich Schneider anhand von Unternehmenszahlen jetzt errechnete, würden ohne MAN-Werk in Steyr österreichweit 8.400 Jobs wegfallen.

Eine Delle von fast einer Milliarde Euro würde ins BIP geschlagen. Dabei sei der Standort „absolut wettbewerbsfähig. Steyr ist einer der besten Standorte in Mitteleuropa“, sagt Schneider zu MOMENT. Betriebsrat Erich Schmidt, findet es angesichts dieser Zahlen „umso verwerflicher, dass sich die Bundesregierung nicht eingeschaltet hat“.

Ökonom Schneider betont: „Ich bin nicht dafür, Unternehmen, denen es schlecht geht, gleich Geld hinterherzuwerfen.“ Aber: „Die Politik muss sich schon fragen: Kann ich helfen? Will ich helfen? Lohnt es sich? Die Politik hat ja auch in der Corona-Pandemie vielen geholfen.“

Unter diesen vielen war auch: MAN. Das Unternehmen profitierte auch in Österreich mittels Kurzarbeit von staatlicher Corona-Hilfe. ExpertInnen schätzen, dass MAN am Standort Steyr im Jahr 2020 Dutzende Millionen Euro Unterstützung erhielt.

 

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