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Demokratie

Rechtsextreme Medienguerilla: Wie Medien das Spiel von Martin Sellner mitmachen

Martin Sellner will Aufmerksamkeit von Medien. (Symbolbild: Ein Mann hält eine Karte in die Kamera auf der steht: "Bitteee beachtet mich [Heul-Emoji]")
Martin Sellner lässt sich für die Aufmerksamkeit in Deutschland und der Schweiz von der Polizei abführen. Und die Medien spielen mit. Natascha Strobl analysiert.

Die Bilder gleichen einander: Im deutschen Passau wurde Martin Sellner an der Grenze verhaftet und mit großem Trara verhört. Im Aargau in der Schweiz folge nun dasselbe Spiel: Der Kopf der Identitären Bewegung wird unter großem Bahö abgeschoben. Alles wird festgehalten und mit großer Aufregung auf allen Social-Media-Kanälen verbreitet. Das ist alles Teil der Inszenierung.

Diese Art der Aufmerksamkeitsgenerierung ist nicht neu. Sie geht zurück zum Beginn der Identitären Bewegung vor über 10 Jahren. Damals reichte es, ein Transparent irgendwohin zu hängen und schon stürzten sich Medien darauf und berichteten. Fast noch wichtiger (bzw. kommunizierend mit der Medienberichterstattung) war das Kalkül, dass zig hundert Nutzer:innen diese Bilder teilen und organisch verbreiten. Vor 10 Jahren war das vor allem auf Facebook, mittlerweile wird jeder Social-Media-Kanal bespielt. 

Martin Sellner macht das für die Medien

Die wichtigste Erkenntnis dieser Aktionen ist, dass sie exklusiv für die mediale Berichterstattung passieren. Weder sind Sellner und die Veranstalter überrascht worden, noch kam es ihnen ungelegen. Vielmehr legten sie es genau darauf an, dass dies so passiert, wie es passiert ist. Sowohl in Passau als auch im Aargau waren die Verhaftungen Teil des Plans. 

Es ist eine Situation, in der die Extremisten nicht verlieren können. Wären die Verhaftungen nicht passiert, dann hätte man einen Sieg gefeiert. Schließlich hätte eine ausgedachte Linke dann nicht verhindert, dass die Veranstaltung stattfand. Gerechnet hat man aber mit den Bildern in Polizeigewahrsam, die Berichterstattung sichergestellt haben. Dementsprechend lag die Kameraausrüstung bereit und schnell wurden die Bilder erzeugt und verbreitet. 

Es ist dasselbe Prinzip wie zu Beginn der Identitären Bewegung. Die Situation ist auch erstaunlich ähnlich. Sehr langsam und mühsam lernten viele Medien, dass man diese Aktionen nicht mit sensationalistischer Berichterstattung und Interviews belohnt. Die Erkenntnis trat vielerorts erst nach 2015/16 ein. Durch Verbotsverfahren, Symbolverbot und viele Prozesse schrumpfte die Identitäre Bewegung zusammen bzw. ging in (weit weniger erfolgreiche) Nachfolgeorganisationen auf. 

Ziel: Normalisierung und Markenprägung

Nun versucht Sellner diese Art des rechtsextremen Aktivismus wiederzubeleben. Die Ziele sind identisch wie damals: Aufmerksamkeit, Markenprägung und Normalisierung. Es geht nicht mehr um eine Organisation, sondern es geht um eine einzelne Person, die zur ikonischen Projektionsfläche für die extreme Rechte in Europa gemacht werden soll: er selbst ist die Marke. 

Die Inszenierung als gefährlichster Mann für das Establishment ist so pathetisch wie konzise. Neben der selbst besoffenen Aufmerksamkeit geht es auch ganz schnöde um ein Geschäftsmodell. Martin Sellner lebt finanziell davon, möglichst oft für Aufregung zu sorgen und so Projektionsfläche auch für bürgerliches Ressentiment gegen Demokratie und Vielfalt zu werden. Er möchte interviewt und eingeladen werden, seine Bücher und Ideologie verkaufen zu können. 

Die Veranstalter und Interviewer dürfen sich dabei besonders wild und unangepasst vorkommen. Es ist eben auch ein reaktionäres Gefühl des Aufbegehrens, das hier erschaffen und kommodifiziert wird: der faschistische Renegade gegen das System. Mit jeder dieser Aktionen wird dieses Bild mehr geprägt.

Es ist aber nicht nur Selbstzweck. Diese Aktionen dienen auch der Normalisierung seines zentralen Propaganda-Begriffs: der “Remigration”. Je öfter Sellner Aufmerksamkeit an sich reißt, umso öfter erscheint das Wort in den Medien – und umso schlampiger gehen die Medien damit um. Vor einigen Wochen wurde der Begriff noch eingehend problematisiert, mittlerweile wird er unter “” geschrieben, als wüssten alle, worum es dabei geht. Bald wird es so sein, dass er ohne Klammern und Erläuterung verwendet wird. Dann hat die Normalisierung gewonnen.

Damals wie heute: Medienversagen

Wie schon vor 10 Jahren übernehmen viele Medien die Bilder kritiklos und tun so, als wären es neutrale Nachrichtenbilder. Das sind sie nicht. Es sind PR-Bilder von Rechtsextremist:innen für Rechtsextremist:innen. Die Medien werden so Teil der Aktion. Ihr aufgeregtes Tun ist einkalkuliert. Der Lernprozess der letzten 10 Jahre ist verflogen. 

Das gilt auch für das Teilen in den Sozialen Medien. Es ist kein Wunder, dass diese Aktionen genau dann starten, als die Sperren von Accounts auf Sozialen Netzwerken zurückgenommen wurden. 2020 wurde den Identitären und vielen anderen Personen und Organisationen die Plattform entzogen. Sie hatten es plötzlich sehr schwer, Aufmerksamkeit zu bekommen. Halb- und Teilöffentlichkeiten wie Telegram und Signal sind zwar eine Übergangslösung, können aber die großen Öffentlichkeiten von Twitter und Facebook nicht ersetzen. 

Was ist die Verbindung zu Elon Musk?

Nun hat Elon Musk viele dieser Personen und Organisationen wieder auf X zurückgelassen und sie machen dort weiter, wo sie aufgehört haben. Musk hat der extremen Rechten einen Rettungsanker zugeworfen. So passt es ins Bild, dass er die sellnersche Aktion auch kommentiert. Die entscheidende Frage, die medial diskutiert gehört, ist neben dem Warum aber auch das Wie: Wie hat Musk davon erfahren? Welche Kanäle bestehen zwischen der Kulturkampf-Rechten und dem aktuell zweitreichsten Mann der Welt?

Es ist kein Wunder, dass der klarste Kommentar in dieser Causa nicht in den großen Zeitungen des DACH-Raums zu lesen war, sondern auf X selbst. Der Republik-Redakteur Basil Schöni beschreibt unaufgeregt und dicht die verschiedenen Aspekte. Richtigerweise weist er auch auf die parallelen Interessen von Medien und dieser Art rechtsextremer Strategie hin: Klicks und Aufmerksamkeit. Dementsprechend kann von relevanter Berichterstattung keine Rede sein, man wird Teil des Spektakels. 

Nur wie soll man damit umgehen? 

Die eiserne Regel ist es, keine PR-Bilder der extremen Rechten weiter zu verbreiten. Bilder wirken stärker als Worte, die schriftliche Einordnung reicht dagegen nicht. Beim geschriebenen Wort ist es wichtig, sich selbst auf Normalisierungen zu prüfen. 

Man muss außerdem keine Werbung für rechtsextreme Bücher oder Verlage machen. Das Geschäftsmodell der extremen Rechten muss nicht auch noch von demokratischen Medien befeuert werden. 

Selbstverständlich dürfen Rechtsextreme auch nicht belohnt werden, indem sie interviewt werden oder gar Titelseiten und Porträts bekommen. Niemand braucht eine Homestory über Faschist:innen. Niemand braucht die liebevollen Worte von Tante, Großonkel oder Klassenkamerad der 3b aus St. Christkindl am Walde. Die Personen sind als Personen irrelevant und sollten es auch bleiben. 

Medien sollten tunlichst vermeiden, rechtsextreme Celebrities heranzüchten. Die Rolle, die diese Personen spielen, sollte aber sehr klar beleuchtet werden. Dazu gibt es mittlerweile viele herausragende Expert:innen. Hier muss man weder die Rechtsextremen selbst befragen, noch Männer, die von der Materie nichts verstehen. 

Dieser Lernprozess darf nicht wieder 10 Jahre dauern. 

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    Kommentare 2 Kommentare
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  • Antoine
    22.03.2024
    Danke für diesen Artikel! Er zeigt uns, wie wichtig es ist, auch unser eigenes Handeln mal anzuschauen, selbstkritisch, ehrlich! und umfassend zu reflektieren – das darf uns nicht durch die Finger flutschen! – da wir sonst Teil des Spieles der rechten Rattenfänger werden. Ich halte diese Kolumne für enorm wichtig, da sie Grundsätzliches anspricht. Falls ich es noch nicht gesagt haben sollte: Vielen Dank!
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  • XY
    20.03.2024
    Guter Artikel! Kann es sein das auch Klima Greta solche Verhaftungen macht?Als PR Aktion Oder auch alle Politiker die PR brauchen und mit abscheuchlichen Aussagen in die Medien kommen wollen
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