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Ungleichheit

Toxische Tipps für arme Menschen: Warum „arbeitet einfach mehr“ niemandem hilft

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Ob vom Kanzler, seiner Partei oder der Herausgeberin der Zeitung Kurier. Auf arme Menschen darf in Österreich genüsslich losgegangen werden. Moment mal, sagt Barbara Blaha.

Martina Salomon schreibt: “… in einer Gesellschaft, in der Selbstverwirklichung groß-, Selbstverantwortung aber immer kleiner geschrieben wird.” Und “wer stundenlang streamt oder im Internet surft, kann daheim Nudeln oder Kartoffeln mit Butter fabrizieren”. Ah, es ist schon wieder Arme-Leute-Dreschen-Saison!

   

Was die Frau Salomon in der Kurier-Zeitung schreibt, ist das schlechte Sequel zum Nehammer-Kassenschlager im Hamburger-Skandal: „Wenn i z’wenig Geld hab, geh i mehr arbeiten. Weil dann muss ich ja mehr Geld haben“, sagte der ÖVP Kanzler damals im vermeintlich vertrauten kleinen Kreis. (Einmal mehr.)

Ja jetzt ist es halt nur blöd, dass die Familien, die am schlimmsten unter Armut leiden und stärksten betroffen sind … genau die sind, die sich mit “mehr hackln” am schwersten tun. Alleinerzieher:innen nämlich. Die Zahl der Alleinerzieher:innen nimmt laufend zu, trotzdem lassen wir diese besonders gefährdeten Familien einfach im Stich. Dabei hatte die Bundesregierung genau das Gegenteil vor! Sie hat sich ganz stolz das Ziel gesteckt: “Die Armut in Österreich in ihrer Regierungszeit halbieren!”

Armut ist gewachsen

Jetzt, kurz vor Schluss, sehen wir, das war nur „Gemurkse und Gefurze“. Nicht nur, dass die Regierung das Ziel NICHT erreicht hat, Nicht nur, dass sie ihrem Ziel KEINEN Schritt näher gekommen sind. Nein, sie sind sogar RÜCKWÄRTS marschiert. Die Zahl der Menschen, die in Armut leben, ist sogar gestiegen, seit Schwarz und Grün regieren. 

Ein Shout-Out an die Teuerung!

Und Armut trifft immer eine Gruppe am aller härtesten: die, die allein ein Kind großziehen. In diesen Familien ist die Armutsrate besonders hoch. Jede zweite ist armuts- oder ausgrenzungefährdet. Wenn es unseren Sozialstaat nicht gäbe, wären es mehr. Dann wären sogar 6 von 10 Solo-Eltern-Familien arm. 

Ein-Eltern-Haushalte sind meist Mama-Haushalte

Die allermeisten Menschen, die allein ein Kind großziehen und nur deshalb darum kämpfen müssen, irgendwie durchzukommen: Frauen. Es gibt in Österreich 300.000 Ein-Eltern-Haushalte und in 80 Prozent davon heißt “Ein-Eltern” einfach: Mama. 

Wer die Kinder ganz allein schupft, muss ALLES allein schupfen: Miete, Essen, Heizen – alles muss mit nur EINEM Einkommen gestemmt werden. Ein Kind ist für eine Alleinerzieherin VIEL teurer als für eine Mama, wo der Papa – und sein Einkommen auch noch da sind. 

Eine Alleinerzieher:in muss für ihr Kind jedes Monat etwa 500 Euro mehr aufbringen als Väter oder Mütter, die zu zweit für ein Kind aufkommen. Eben, weil Miete und Co. nicht durch zwei geteilt werden können. 

Armut wird zu niedrig geschätzt

Aber: Die offiziellen Armutsstatistiken rechnen das nicht einmal ein – die gehen einfach davon aus, dass Kinder eben immer gleich viel kosten. Und rechnen nicht ein, dass es einen Unterschied macht, ob sich die Miete und die Rechnung für die Heizung zwei Leute teilen … oder eine allein alles stemmen muss!

Das heißt: Die offizielle Statistik unterschätzt die Armut und die Armutsgefährdung von Alleinerziehenden sogar noch krass. Tatsächlich müsste sie um 204 Euro pro Monat für ein Kind und um 126 Euro pro Monat für zwei Kinder HÖHER angesetzt werden.

Rechnen wir die hohen Mehrkosten ein, dann zeigt sich ein trauriges Bild: Alleinerzieher:innen liegen im Schnitt rund 360 Euro unter der tatsächlichen Armutsgefährdungsschwelle. Drei Viertel aller Alleinerzieher:innen leben also unter der Armutsgefährdungsschwelle. 

Arbeit schützt nicht

Was tun wir denn da? Die Frauen- und Familienministerin Susanne Raab hat da gleich mal einen guten Tipp: 

Auf den Faktor Arbeit darf man in der Debatte nicht vergessen, denn das beste Mittel gegen Armut ist und bleibt die Erwerbsarbeit.“ 

Genau! „Arbeit schützt vor Armut“, oder?

Blödsinn. Wenn eine alleinerziehende Mutter arbeiten geht, dann sinkt ihr Armutsrisiko um sensationelle SECHS Prozentpunkte. Von 66 Prozent auf 60. Viele Alleinerziehende sind das, was man „Working poor“ nennt: Sie sind arm – OBWOHL sie arbeiten gehen. Jede dritte „working poor“-Person ist eine alleinerziehende Frau.

Verhöhnung statt Maßnahmen

Statt das ernsthaft und pragmatisch zu diskutieren, darf sich, wer arm ist, derzeit mal wieder offen verhöhnen lassen. Koch halt Nudeln mit Butter, statt ständig Lieferando zu gönnen, du Nuss! Dann bist du auch nicht arm! 

Das ist ganz unverhohlene, offene Verachtung für arme Mütter. Und das ist in Österreich salonfähig. Auf SOLCHE darf man schimpfen. Die sind ja selber schuld. Hättest dich halt nicht scheiden lassen. Gehst halt Vollzeit arbeiten! Ziehst halt in ein Bundesland, in dem es genügend gescheite Kindergärten gibt! 

Was wir brauchen: Mehr Sozialstaat

Statt solcher toxischen Tipps braucht es gute Sozialpolitik. Wer alle Menschen vor Armut schützen will, muss den Sozialstaat armutssicher bauen. Und das Fundament dafür, das haben wir ja tatsächlich schon gebaut! Unser Sozialstaat hilft mit Familienbeihilfe, Kinderbetreuungsgeld, Schul- und Studienbeihilfe: Wir holen so knapp 700.000 Mütter, Väter und Kinder über die Armutsgrenze. Aber:  Über 1,3 Millionen Menschen sind noch darunter. Besonders oft: Alleinerziehende, Leute, die ihre Arbeit verloren haben oder zur Miete wohnen, und immer noch viel zu viele Kinder.

Es wäre nicht so schwer, die Rahmenbedingungen zu schaffen, die es braucht, um sie alle gegen Armut abzusichern. Sozialhilfe, Arbeitslosengeld und Notstandshilfe und Mindestpension müssten wir endlich dauerhaft über die Armutsgrenze heben – und alle aus der Armut herausholen. 

Und wer findet, dass Arbeit vor Armut schützt, muss Kindergärten bauen: Wer allein sein Kind erzieht, ist noch stärker davon abhängig, dass es ganztägige und kostenfreie Betreuungsplätze gibt – weil eben kein Partner einspringt, wenns mal brennt im Job. Davon hätten Solo-Mamas mehr als von giftigen Salomon-Ratschlägen.

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    Kommentare 1 Kommentar
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  • Sane
    28.05.2024
    Aber auch eine 40 Stunden-Woche schützt nicht immer: es gibt genug Firmen, die (ohne Kollektivverträge) sehr niedrige Löhne zahlen.
    Antworten