print print
favorites-circle favorites-circle
favorites-circle-full favorites-circle-full
Ungleichheit

Wiener Notschlafstelle wollte sicheren Raum für trans Frauen schaffen – und scheiterte

Weiße und rosa Thermoskannen in Wärmestube des Fonds Soziales Wien.
Wärmestube der Wiener Wohnungslosenhilfe. Eine Notschlafstelle für queere Menschen scheiterte. Eine Studie zeigt auf, was schief lief. Foto: Fonds Soziales Wien
Körperliche und verbale Angriffe. trans Frauen, die als “schwul” beschimpft werden. Vermeintliche Schutzräume, in denen sich Nutzer:innen nicht sicher fühlten. Davon berichten wohnungslose trans Personen, die eine Notschlafstelle in Wien nutzten, die für sie als Schutzraum gedacht war.

Immer mehr wohnungslose, queere Personen suchen Hilfe. Laut Fonds Soziales Wien (FSW), der für die Wiener Wohnungslosenhilfe verantwortlich ist, stieg die Zahl an trans Klient:innen in den vergangenen Jahren. Auch für sie sollte es im Winter einen sicheren Ort geben. Im Winter 2021 eröffnete die Notschlafstelle OG5, die besonders für queere Personen da sein sollte.

Doch anfangs blieben die Nutzer:innen aus, während woanders Plätze fehlten. Vor allem obdachlose Männer brauchten Platz und wurden, auch wenn sie nicht queer waren, ans OG5 verwiesen. Manche von ihnen wurden körperlich und verbal übergriffig. Eine trans Frau wurde etwa mehrmals als „schwul“ beschimpft. Eine Betroffene erzählt, dass sie sich im Aufenthaltsraum nicht sicher fühlte.

Eine neue Studie der FH Campus Wien dokumentiert, wie trans Nutzer:innen im Quartier diskriminiert werden. Der FSW beauftragte die Studie, um das Pilotprojekt zu bewerten. Forscherinnen befragten trans Frauen, die dort geschlafen haben, sowie ehemalige Mitarbeiter:innen und andere Fachkräfte, die mit dem OG5 zu tun hatten.

Meiste Betten wurden nicht von queeren Wohnungslosen belegt

Ihre Sicherheit und die Atmosphäre habe sich verschlechtert, als immer mehr cis Männer ins OG5 einzogen, erklärt eine trans Frau. Das hätte LGBT-Personen abgeschreckt, sagen Befragte. Manche merkten an, dass kaum LGBT-Personen in der Unterkunft nächtigten. 36 Betten standen zur Verfügung, doch höchstens sieben offen queere Personen schliefen gleichzeitig im OG5. Über den Winter verteilt kamen nur zwölf Klient:innen der Zielgruppe.

Das bedeutet nicht, dass es keinen Bedarf gibt. „Es braucht oft Zeit, bis spezifische Angebote genutzt werden“, sagt Anja Bischeltsrieder, eine der Forscherinnen. Die Anzahl an queeren und besonders trans Menschen, die wohnungslos sind und Hilfe brauchen, könne nur geschätzt werden.

Immer mehr trans Jugendliche suchen Schlafplatz

In der Notschlafstelle für Jugendliche a_way verdoppelte sich im Jahr 2022 die Zahl der trans, inter und nicht-binären Klient:innen. Vor allem trans Burschen und Männer nächtigen dort, sagt Malik Čuljak, Sozialarbeiter bei a_way. Weil das Team mittlerweile sensibilisiert und die Zimmerverteilung flexibel ist, sei a_way mittlerweile ein „gewisser Schutzraum geworden“, sagt seine Kollegin Katharina Watzl.

Im OG5 war das anders. Nicht nur andere Wohnungslose, auch Mitarbeiter:innen sollen sich transfeindlich geäußert haben.

„Die sind nicht so wie wir, man muss da hart durchgreifen“, erinnert sich eine befragte Person an die Worte eines Teammitglieds. Ein:e Ex-Mitarbeiter:in sagt, im Team wurden viele Sprachen gesprochen, was toll war, aber den wohnungslosen Nutzer:innen wenig bringe, „wenn sie dann einfach in ihrer Muttersprache diskriminiert werden.“ Vorurteile und Überforderung führten dazu, dass trans Frauen besonders schnell Hausverbot bekamen.

Kein sicherer Raum für queere Wohnungslose

Zwei Sozialarbeiter:innen, die Teil der LGBTQIA+ Vernetzung in der Wiener Wohnungslosenhilfe sind, sagen zu MOMENT, trans Personen hätten das OG5 teilweise nur als „Notlösung“ wahrgenommen, wenn andere Quartiere voll waren.

„Nicht jede trans Frau hat ausschließlich negative Erfahrungen dort gemacht“, betont Gabriele Wild, eine der vier Studienautorinnen. Neben Diskriminierung und abfälligen Äußerungen erfuhren sie auch Akzeptanz und Solidarität. Dennoch: Das Ziel eines sicheren Raumes für queere Wohnungslose sei nicht erreicht worden, sagen die befragten Fachkräfte.

Mehr Fokus auf Schutzräume in der Wohnungslosenhilfe

Wie kann es sein, dass ausgerechnet Mitarbeiter:innen in einer Notschlafstelle mit der Zielgruppe LGBT-Personen so unsensibel vorgehen? Fachkräfte kritisieren gegenüber den Forscherinnen, dass das OG5 mit wenig Vorlaufzeit umgesetzt wurde. Das führte dazu, dass auch Personen ohne spezifisches Wissen angestellt worden seien. Auf Nachfrage beim FSW heißt es, eine intensive Einschulung sei Wochen vor dem Start erfolgt.

„Die Sensibilisierung und Schulung von Mitarbeiter:innen ist ein ganz wichtiger Punkt, den wir aus der Studie mitnehmen“, sagt Markus Hollendohner, Leiter der Wohnungslosenhilfe im FSW.

In Zukunft werde ein Fokus darauf gelegt werden, Schutzräume für trans, inter und nicht-binäre Personen zu schaffen. Trotzdem sollen auch zukünftige Projekte allen Menschen offenstehen. Würden Mitarbeiter:innen prüfen, ob wohnungslose Menschen trans sind, käme das einem Zwangsouting gleich, sagt Hollendohner. Wichtiger sei, etwa durch Symbole wie Regenbogenflaggen, eine „Willkommenskultur“ in den Einrichtungen zu schaffen.

Gemeinschaftsduschen und Mehrbettzimmer problematisch für trans Frauen

trans Wohnungslose kämpfen oft mit denselben Problemen wie cis Betroffene. Es geht um Armut, Trauma, Krankheit. Viele ringen mit fehlender Privatsphäre in Unterkünften. Doch für trans Frauen ist die Situation noch verschärft.

In Männerunterkünften haben sie Angst um ihre Sicherheit, in Fraueneinrichtungen davor, als Mann wahrgenommen zu werden. Manche machen sich unsichtbar, indem sie früh gehen und spät wiederkommen, nicht auf die Toilette gehen und Duschen vermeiden, heißt es in der Studie.

Massive Gewalterfahrungen und Suizidversuche unter trans Frauen

Für wohnungslose trans Personen “ist es de facto unmöglich, geschlechtsangleichende Behandlungen zu beginnen“, sagt Miriam Tobisch. Die Sozialarbeiterin hat 2019 die erste österreichische Arbeit zu trans Personen in der Wohnungslosenhilfe verfasst.

Eine Betroffene erzählte Tobisch, dass sie jahrelang in Männernotschlafstellen unterkam. „Das war für sie total belastend, weil sie nach außen hin so tun musste, als wäre sie ein Mann, damit es zu keinen Übergriffen kommt.“ Von den fünf von ihr befragten trans Frauen hatten vier schon jahrelange Erfahrungen in der Wohnungslosenhilfe. Eine von ihnen lebte 15 Jahre lang auf der Straße.

„Alle Frauen haben ganz massive Gewalterfahrungen gehabt“, sagt Tobisch. „Das auffälligste Ergebnis für mich war, dass vier von ihnen Suizidversuche hinter sich hatten.“ Internationale Studien deuten darauf hin, dass trans Personen überdurchschnittlich oft Suizid versuchen oder vollenden.

Wenn trans Menschen bestehende Angebote nicht annehmen, weil Privatsphäre fehlt, hat das massive gesundheitliche Folgen, sagt Forscherin Gabriele Wild.

Kein Ersatz fürs Quartier OG5

Einzelzimmer und verschließbare Duschkabinen könnten diese Probleme lösen. „Im Winterpaket geht es um das Abdecken der wichtigsten Grundbedürfnisse“, sagt Hollendohner vom FSW dazu. Grundsätzlich gebe es Gemeinschaftszimmer, geteilte Duschen und Toiletten. „Oberstes Ziel ist, dass im Winter niemand auf der Straße nächtigen muss.“

Im Winter 2022/23 gab es kein Notquartier, das sich speziell queere Wohnungslose richtete. „Weil man gemerkt hat, dass es in dieser Art und Weise so nicht funktioniert hat, wie es angedacht war“, sagt Hollendohner. „Für mich ist klar, dass der Fokus Privatsphäre im Winterpaket irrsinnig schwer umsetzbar ist. Wir überlegen, wie wir im ganzjährigen Regelbetrieb entsprechende Schutzräume schaffen können.“

Er verweist auf Housing First, die Idee, dass Wohnungslose vor allem eines brauchen: eine leistbare Wohnung. In Wien wird der Ansatz verstärkt verfolgt. Wer eine eigene Wohnung hat, muss sich keine Gedanken mehr darüber machen, wann man ungestört duschen kann. Doch Housing-First-Programme stehen bislang nur jenen offen, die ein eigenes Einkommen haben, etwa über die Pension oder Sozialleistungen. Alle anderen sind weiterhin auf Notquartiere angewiesen.

Weitere Informationen und Hilfe für Betroffene

  • Hier findest du die Studie: LGBTIQ+ in der (niederschwelligen) Wiener Wohnungslosenhilfe von Magdalena Habringer, Gabriele Wild, Anja Bischeltsrieder und Verena Scharf
  • Und die Masterarbeit von Miriam Tobisch: Ich bin dort zu Hause, wo ich mich wohl fühle und wohlfühlen tu ich mich dort, wo mich Menschen akzeptieren. trans*personen im System der Österreichischen Wohnungslosenhilfe
  • Eine Liste an Wiener Anlaufstellen bei Wohnungslosigkeit gibt es hier.

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Kommentare 0 Kommentare
    Kommentar hinzufügen

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Beitrag!