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Arbeitswelt

Ohne Auto geht nichts: Wieso alte Menschen trotz Risiko selbst fahren

Auch wenn sie sich am Lenkrad nicht mehr ganz sicher fühlen - ältere Menschen am Land wollen nur selten auf ihr Auto verzichten. Weil Geschäfte zu weit weg sind, der öffentliche Verkehr ein Witz und sie von niemandem abhängig sein möchten.

Bernd* und Marianne* aus Franking in Oberösterreich sind beide über 80 Jahre alt und fühlen sich beim Autofahren nicht mehr sicher. Auf das Auto zu verzichten ist für sie und viele andere aber keine Option.

Ein kleiner Moorsee ist der Mittelpunkt, um den sich die 1.000 Einwohner-Gemeinde Franking aufbaut. Vor einigen Jahrzehnten florierte hier der Tourismus, beinahe jedes Privathaus vermietete Zimmer mit Frühstück oder Ferienwohnungen. Mehrere kleine Krämerläden versorgten die Urlauber und Camper mit allem von Gummistiefel über Frühstückssemmel bis hin zu Sonnencreme und Handtücher. Auf den Liegewiesen am See lag im Sommer ein Handtuch an das nächste gereiht.

Heute bleiben Hotels leer

Heute ist das Vier-Sterne-Hotel direkt am See in die Jahre gekommen, viele Zimmer und Ferienwohnungen der Gemeinde bleiben leer, nur noch wenige Stammgäste kommen seit Jahrzehnten immer wieder. Alle Geschäfte innerhalb der Gemeinde haben inzwischen geschlossen, öffentliche Verkehrsanbindung gibt es kaum. Besonders für ältere Menschen, die sich gerne an die Blütezeit der Gemeinde zurückerinnern, ist diese fehlende Infrastruktur ein großes Problem.

Supermarkt ist Kilometer entfernt

Bernd ist über 80 Jahre alt. Auch der ehemalige Landwirt hat früher Zimmer vermietet. Er war es gewohnt gebraucht zu werden, das Oberhaupt der Familie zu sein und seine Gäste mit allem zu versorgen, was sie benötigen. Heute müssen seine Frau und er zunehmend die Hilfe ihrer Kinder annehmen. An einen letzten Strohhalm klammert sich Bernd allerdings. Er fährt immer noch selbst Auto, auch wenn er immer unsicherer wird. „Ich fahre nicht mehr in der Nacht, da ich mich dabei nicht wohlfühle. Ich kann bei Gegenverkehr nur sehr schwer einschätzen, ob sich das ausgeht oder nicht und ob ich weit genug auf meiner Spur bin. Eine richtige Gefahr für den Straßenverkehr bin ich allerdings nicht.“

Grund dafür, dass er weiterhin selbst fahren möchte, ist einerseits ein gewisser Stolz, andererseits auch die fehlende Infrastruktur der Gemeinde. Das letzte Lebensmittelgeschäft in Franking schloss 2014 seine Türen und der nächste Supermarkt ist heute mindestens zehn Minuten Autofahrt entfernt. Die Tankstelle in Franking übernimmt zwar zum Teil die Funktion des Nahversorgers. Sie bietet frisches Brot, Milch, Milchprodukte, abgepackte Wurst und Käse an. Trotzdem muss Bernd mindestens einmal die Woche einkaufen fahren. Obwohl seine Kinder im selben Ort wohnen und anbieten zu helfen, ist es ihm wichtig auch im Alter unabhängig zu bleiben.

„Ich fahre, sonst wäre ich vom Leben meiner Kinder ausgeschlossen“

Diese Unabhängigkeit ist auch der Grund, wieso Marianne weiterhin ein eigenes Auto hat und kurze Strecken selbst fährt. Wohl und sicher fühlt sie sich dabei nicht. Aber die Fahrten sind für sie wichtig, um ihre Familie, Enkel und Urenkel zu sehen.

Als Mutter von fünf Kindern arbeitete sie ihr Leben lang hart auf einem Bauernhof. Heute wohnt sie bei einem ihrer Söhne und dessen Familie, die für sie einkaufen und kochen. Mit ihrem Auto fährt Marianne trotzdem wenige Strecken noch selbst: zu ihren anderen erwachsenen Kindern, die jeweils einen knappen Kilometer entfernt wohnen. Zu Fuß schafft sie das nicht mehr. „Ich bin froh, dass ich diese Strecken noch fahren kann. Würde ich das nicht tun, würde ich mich fühlen, als wäre ich vom Leben meiner Kinder ausgeschlossen“, erklärt sie.

Österreich ist zersiedelt

Probleme, dass sie auf ein Auto angewiesen sind, haben in Österreich viele ältere Menschen. Grund dafür ist, dass es unzählige kleine Gemeinden mit weiten Wegen und nur wenige größere Bevölkerungszentren gibt.

Ein gutes öffentliches Verkehrsnetz ist wegen der Zersiedelung am Land sehr teuer und alternative Möglichkeiten oft spärlich. Das liegt auch daran, dass Gemeinden am Land ganz anders organisiert sind als Städte oder Ballungszentren.

Wie in vielen kleinen Gemeinden erfüllen auch in Franking Bürgermeister, Vizebürgermeister und Gemeinderat ihre Tätigkeiten nicht hauptberuflich. Gemeinderatssitzungen finden am Abend statt. Vereine wie die Feuerwehr organisieren sich gänzlich ehrenamtlich. Kommt es zu einem Brand in der Gemeinde, sind HelferInnen freiwillig dort. Niemand bekommt dafür bezahlt, die Ausbildungen haben alle in ihrer Freizeit absolviert.

Zu wenig Geld

Und während mit dieser Struktur viel geschaffen werden kann, hat sie auch ihre Grenzen und ist nicht vergleichbar mit den Ressourcen, die Städte zur Verfügung haben. Bürgermeister der Gemeinde Franking, Josef Lasser (ÖVP), hat nur begrenzte finanzielle Mittel für seine Gemeinde zur Verfügung und versucht schon seit mehreren Jahren einen privaten Kleinbus in die nächste Stadt zu organisieren. Bisher erfolglos. Ohne Förderung des Landes könne sich Franking einen Bus nicht zu Preisen leisten, die für ein Transportunternehmen lohnenswert und die MitfahrerInnen leistbar sind.

Mit dem Oberösterreichischen Verkehrsbund, der für das öffentliche Verkehrsnetz in Franking zuständig ist, war er zwar ebenfalls in Kontakt, doch für die ist die 1.000-EinwohnerInnen-Gemeinde nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.

In Franking gibt es zwar Busse, aber „sie fahren zu den falschen Zeiten“, sagt Lasser. „Die Busse sind fast immer leer, wenn ich sie sehe. Ein zusätzliches Problem ist, dass gesetzlich in Schulbussen keine Erwachsenen mitfahren dürfen. Auch wenn diese vielleicht zu der richtigen Zeit unterwegs wären, damit ältere Menschen zum Arzt kommen. Teilweise sind diese Regeln praxisfremd.“

Lieferservice für Backzutaten

Ideen die Abhilfe schaffen, gibt es trotzdem vor allem von Einzelpersonen immer wieder. Während Lebensmittel-Lieferservices in der Stadt üblich sind, gab es so ein Angebot am Land bisher nicht. Adeg-Kaufmann Florian Ebner aus der Nachbar-Gemeinde Ostermiething ergriff Initiative und liefert seit Anfang November zweimal die Woche Einkäufe an ältere Personen oder Risikogruppen. Auch die Mühle Renzl in Franking bringt ihr Angebot an Mehl, Nudeln oder Keksen direkt zu den GemeindebürgerInnen nach Hause und versorgt sie mit allem, was sie zum Backen benötigen. Bei diesem Besuch wird dann auch mal über die geplanten Gerichte geplaudert oder neue Produkte ausprobiert. Der soziale Kontakt ist dabei ein wichtiger Aspekt.

„Ersetzt nicht sozialen Kontakt“

„Wir haben im Lockdown gesehen, dass es problemlos möglich ist, dass ältere Menschen zu Hause bleiben und sich Nachbarn oder Verwandte um den Einkauf kümmern. Das ersetzt aber nicht den fehlenden sozialen Kontakt. Je mehr in der Gemeinde schließt, desto weniger Möglichkeiten haben diese Menschen“, so Bürgermeister Lasser.

Diesem Problem möchte auch der Pensionistenverein der Gemeinde entgegenwirken. Ehrenamtlich organisieren die Obmänner und -frauen des Vereins Busausflüge für ältere Menschen, Vorträge, dem Alter angemessene Sportkurse oder Stammtische. Das Treffen, Plaudern und gemeinsam unterwegs sein steht hier im Vordergrund und wird von den BürgerInnen gut angenommen.

„Ich möchte meine eigenen Entscheidungen treffen“

Auf die Frage, was sich Marianne oder Bernd wünschen würden um nicht mehr fahren zu müssen, haben sie keine Antwort. „Sogar wenn es ein Sammeltaxi zum Supermarkt gäbe, wer weiß, ob das zu den Zeiten fährt, wo es für mich passt. Oder ob sie mir genug Zeit zum Einkaufen lassen oder zu viel und ich dann auf die Anderen warten muss. Ich bin zwar alt. Aber ich bin kein Kind. Ich möchte noch meine eigenen Entscheidungen treffen können“, erklärt Bernd.

Oft geht es nicht nur darum, dass Hilfe fehlt – Nachbarn, Kinder, Enkel und Bekannte springen oft ein – oder nur um das nicht vorhandene Angebot an Alternativen, sondern auch den Stolz der älteren Menschen. Die Selbstbestimmung, an der sie festhalten.

 

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