Formulare, Fristen, Geld: Warum es Vätern schwer fällt in Karenz zu gehen
Paul hatte sich gut vorbereitet. Das dachte er zumindest. Bei seinem Arbeitgeber kündigte er an, ab September dieses Jahres den Job ruhen zu lassen, um sich danach vier Monate lang intensiver um seine im Mai geborene Tochter zu kümmern. Eine Vertretung wurde organisiert. Paul, der neben dem Job auch noch studiert, wollte in Bildungskarenz gehen, um seine Masterarbeit fertig zu schreiben und gleichzeitig Zeit für seine Tochter zu haben.
Viele Väter erwägen, kurz nach der Geburt eines Kindes in Bildungskarenz zu gehen. Weiterbildung kann flexibler organisiert werden als ein Job mit starren Arbeitszeiten. Sie lässt sich besser vereinbaren mit der Betreuung von Kleinkindern. Eine Masterarbeit, wie bei Paul, kann auch in den Abendstunden bearbeitet werden. Die Bildungserfolge müssen natürlich nachgewiesen werden, sonst gibt es kein Geld.
Papamonat und Karenz: Für Paul ging das nicht zusammen
Doch soweit kam es gar nicht für Paul: „Der Antrag wurde vom AMS nach wenigen Tagen abgelehnt“, berichtet er. Paul fiel aus allen Wolken. Er fragte nach. Ihm wurde gesagt: In Bildungskarenz kann nur gehen, wer zuvor sechs Monate durchgehend pflichtversichert war. Doch Paul hatte nach der Geburt seiner Tochter im Mai das Papamonat genommen. Und das Papamonat unterbricht die Versicherungszeit. „Ich wusste nicht, dass das Papamonat da rausfällt“, sagt Paul. „Als ich den Antrag auf Karenz fristgerecht stellte, war der auch schon längst vorbei.“
Es war nichts zu machen, die Bildungskarenz fiel aus. „Ich musste bei meinem Chef zu Kreuze kriechen, damit ich doch weiter arbeiten konnte.“ Das zumindest klappte. Für Paul hieß das: Weiter Vollzeit arbeiten, dabei aber natürlich trotzdem die Masterarbeit fertig schreiben – und kaum Zeit für die kleine Tochter haben. „Ich hätte mich besser informieren sollen“, sagt er. „Aber nach der Geburt, wenn du dann 1.000 Formulare in die Hand bekommst, musst du erstmal wissen, dass Papamonat und die Bildungskarenz nicht zusammengehen“.
Bonus fürs Papamonat wird vom Kinderbetreuungsgeld abgezogen
Viele Väter, die möglichst viel Zeit gemeinsam mit dem oder den Neugeborenen und der Mutter verbringen möchten, müssen feststellen: Die gesetzlichen Regelungen für Papamonat, Väterkarenz, Kinderbetreuungsgeld und Bildungskarenz sind voller Tücken. Für junge Eltern ist es schwer, alle notwendigen Regelungen, Formulare und Fristen am Schirm zu behalten, bevor sie in Karenz gehen. Und daneben müssen sie sich ja auch noch um ein Neugeborenes kümmern.
Allein das Papamonat: Der Rechtsanspruch auf vier Wochen bis 31 Tage Freistellung von der Arbeit klingt erstmal ganz gut. Schwierig wird es mit Blick auf das Bankkonto. Das Gehalt fällt in dieser Zeit komplett weg, stattdessen gibt es einen pauschalen Kinderzeitbonus von gerade einmal 700 Euro.
Und: Väter, die nicht nur in diesem einen Monat ganztätig ihre Kleinkinder betreuen wollen, werden praktisch bestraft. Der Familienzeitbonus wird ihnen nämlich wieder abgezogen, wenn sie später Kinderbetreuungsgeld beziehen. Warum eigentlich? Nicole Reiter, Arbeitsrechtsexpertin der Arbeiterkammer, nennt das einen „Fehlanreiz für Väter, die den Papamonat nehmen und danach das Kind noch weiter betreuen wollen“.
Ärgernis: Bei Trennung kann Karenzzeit nicht aufgeteilt werden
„Der Wunsch in Väterkarenz zu gehen ist total da“, sagt Alexandra Lugert, Bundesgeschäftsführerin des Österreichischen Familienbunds. Inzwischen habe sich viel getan, damit Väter und Mütter bei der Karenz rechtlich gleichgestellt sind. Ein echtes Ärgernis aus Sicht des Familienbundes: Um Papamonat zu nehmen und in Karenz zu gehen, müssen Mutter und Vater im selben Haushalt leben.
„Warum soll das so sein?“, fragt Lugert. „Wenn sich die Eltern trennen, dann trennen sie sich doch nicht vom Kind.“ Väter würden so praktisch von der Karenz ausgeschlossen – Mütter dazu gezwungen. Lugert nennt die Regelung „nicht mehr zeitgemäß“.
Damit Eltern als nicht zusammenlebend gelten, braucht es aber nicht einmal eine Trennung – es reicht ein Krankenhausaufenthalt. Die Arbeiterkammer berichtete im September vom Fall eines Jungvaters, dem das Geld für das Papamonat gestrichen wurde, weil Mutter und Kind fünf Tage im Spital waren. Das galt als Abwesenheit vom Wohnsitz und hieß: kein Familienzeitbonus für den Vater.
Im Papamonat zu lang im Spital? Dann fällt der Familienzeitbonus weg
Ähnlich erging es Paul. Auch seine Frau und die gemeinsame Tochter blieben nach der Geburt ein paar Tage im Spital. „So richtig getrennt waren wir da auch nicht, denn wir hatten ein Familienzimmer“, sagt er. Doch als er den Bonus von 700 Euro für das Papamonat beantragte, musste er erst wochenlang warten und erhielt dann gesagt: Antrag abgelehnt.
Grund: Paul hatte im Formular ein um einen Tag zu frühes Datum für den Antritt des Papamonat angegeben. Da waren Mutter und Kind noch im Spital. Dass Paul im Familienzimmer auch dabei war, zählte nicht. Paul musste das hinnehmen. „Eine nachträgliche Korrektur war nicht möglich“, sagt er. „Das wäre ein wichtiges Geld für mich und meine Familie gewesen.“
Mehrere Male wurde wegen dieser als unnötig hart empfundenen Regelungen bis zum Obersten Gerichtshof gestritten. Erst jüngst urteilte er wegen der Klage eines Vaters. Dessen neugeborener Sohn musste wegen eines Infekts einen Tag länger mit der Mutter im Spital bleiben als geplant, prompt gab es keinen Familienzeitbonus. Zu Unrecht, wie der OGH jetzt befand.
AK-Expertin Reiter sieht „einen starken Änderungsbedarf beim Familienzeitbonus und Kinderbetreuungsgeld“. Um Fälle wie bei Paul zu verhindern, sollte der Bezugszeitraum einmal geändert werden dürfen. Und warum nicht den Bonus anteilsmäßig niedriger auszahlen, wenn die Familie wegen längerem Spitalsaufenthalt wenige Tage nicht zusammen lebt?
Wenn es nach dem Geld geht, heißt es: Der Vater arbeitet weiter Vollzeit
Das Geld – genauer: das Geld, auf das karenzierte Eltern verzichten – hält Väter ebenso davon ab, häufiger und länger ihre kleinen Kinder in Vollzeit zu betreuen. Das Modell des einkommensorientierten Kinderbetreuungsgelds richtet sich nach dem letzten Gehalt. Immerhin 80 Prozent davon gibt es, jedoch höchstens rund 2.000 Euro im Monat. Noch immer ist es aber so: In den meisten Fällen verdient der Vater mehr als die Mutter. Wer aufs Geld schauen muss oder das meiste rausholen will, entscheidet dann eher: Der Vater arbeitet voll weiter.
„Die Einkommensschere macht es Vätern schwerer, in Karenz zu gehen“, sagt Alexandra Lugert vom Familienbund. Dem sei mit Gesetzen zu Karenz und Elternschaft schwer beizukommen, „sondern muss gesamtgesellschaftlich gelöst werden“, so Lugert. Einzige Lösung: Den Gender Pay Gap schließen. Das Geld sollte kein Argument mehr sein, nicht in Papamonat und Karenz zu gehen.
Job-Nachteile wegen Karenz: Für Mütter normal, für Väter außergewöhnlich
Erst wenn Mutter und Vater so gut verdienen, dass beide den gedeckelten Höchstbetrag erhalten, dürfte das Einkommen eigentlich keine Rolle mehr spielen, ob und wie lange Väter in Karenz gehen. Tut es aber doch. Untersuchungen zeigen: Ein höheres Gehalt von Vätern wird oft als Argument hergenommen wird, warum sie nicht oder nur kurz in Karenz gehen. Verdient jedoch die Frau mehr, spielt das unterschiedliche Gehalt plötzlich nur noch eine untergeordnete Rolle bei der Entscheidung darüber, wer wie lange in Karenz geht.
Wenn Lugert mit den immer mehr werdenden Vätern spricht, die in Karenz gehen wollen, nennen diese oft einen Vorbehalt: „Dadurch würden sie im Vergleich zu Kollegen Nachteile bei Gehalt und Karriere in Kauf nehmen müssen“, erklärt Lugert. Sie stelle ihnen dann die einfache Frage: „Und die Mütter? Haben die wegen der Karenz keine Nachteile im Job und beim Geld?“ In hohem Maße gilt also noch immer: Berufliche Nachteile wegen der Karenz sollen für Mütter normal sein, während sie für Väter außergewöhnlich sind.
Wer im Betrieb auf Väterkarenz pocht, für den kann es ungemütlich werden
Die Soziologin Nadja Bergmann von L&R Social Research sieht rechtlich ebenfalls kaum mehr Hürden für Väter, in Karenz zu gehen. „Die Probleme liegen vor allem in der Umsetzung“, sagt sie. In vielen Betrieben würden „Väterrechte nicht als gleichwertig mit Mütterrechten angesehen“. Kommen Väter mit dem Wunsch nach Papamonat oder Karenz auf Arbeitgeber:innen zu, „wird oft gefragt, ob das denn unbedingt sein muss und die Karenzzeit dann so gelegt, wie es der Firma passt“, so Bergmann.
„Vielen wird gedroht“, berichtet Bergmann, Mitautorin des Berichts „parents@work“, der gemeinsam mit der Gleichbehandlungsanwaltschaft im Frühjahr dieses Jahres veröffentlicht wurde. Darin kommen Mütter und Väter zu Wort, die von ihren Chef:innen bis hin zur Kündigung diskriminiert wurden, sobald Elternschaft und Karenz Thema wurden.
Väter berichten darin, entlassen worden zu sein, nachdem sie den Wunsch nach Karenz äußerten. Oder sie seien nach ihrer Rückkehr degradiert oder gemobbt worden. Diskriminierungen, von denen Frauen im Übrigen ebenso betroffen sind. „Zu sagen, dass es Widerstand gibt, wenn ein Vater in Karenz gehen will, ist noch dezent ausgedrückt“, sagt Bergmann.
Es zahlt sich für Firmen aus, Väterkarenz und Teilzeit zu ermöglichen
Doch es ändert sich was. Arbeitgeber:innen entdeckten, dass es sich auszahlt, den Wunsch von Vätern nach Karenz oder Teilzeitarbeit zu erfüllen, so Alexandra Lugert. Väter nähmen kurzfristige Nachteile – etwa beim Geld – in Kauf, um mehr Zeit mit den Kindern zu verbringen. Lugerts Erfahrung aus Gesprächen mit Vätern, die in Karenz gegangen sind: „Die haben es nicht bereut.“
Paul, der sich im Dschungel der Bestimmungen von Papamonat und Karenz verhedderte, konnte die gemeinsame Zeit mit seiner Tochter noch nicht nachholen. Er sagt selbstkritisch: „Das wäre vermeidbar gewesen, wenn ich vorher alles tief recherchiert oder mich beraten lassen hätte“, sagt er. Die Frage sei aber auch erlaubt: Warum muss das alles so kompliziert sein?