Massiver Personalmangel bei Pflege und Betreuung: Warum Lohnzurückhaltung gefährlich ist

Die Herbstlohnrunde 2025 findet in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld statt. Während die exportorientierte Metallindustrie unter Auftragsflaute und hohen Energiepreisen leidet, suchen Eisenbahn und Sozialwirtschaft händeringend Personal. Die traditionellen Rollen im Lohngefüge geraten ins Wanken.
Ein Blick auf die Arbeitsmarktdaten verdeutlicht den Unterschied: Im Schnitt kommen in Österreich 4,5 arbeitslose Personen auf eine offene Stelle. Bei den Metaller:innen liegt das Verhältnis bei rund 3 Arbeitslosen pro offener Stelle. Ganz anders in jenen Branchen, die nun ebenfalls verhandeln: Bei den Eisenbahner:innen kommen auf jede offene Stelle nur 1,6 arbeitslose Personen, in der Sozialwirtschaft nur 1,4. Und in Pflege und Betreuung gibt es keinen Mangel an Stellen, sondern einen Personalmangel: Bei diplomierten Gesundheits- und Krankenpfleger:innen kommen vier offene Stellen auf eine arbeitslose Person, bei Elementarpädagog:innen sind es fast drei. Der Arbeitsmarkt ist vielerorts leergefegt.
Trotzdem gilt die Metallindustrie traditionell als „Lohnführer”. Weil sie im internationalen Wettbewerb steht, orientieren sich andere Branchen an ihrem Abschluss. Doch diese Logik funktioniert nicht mehr, wenn die Metallbranche Arbeitsplätze abbaut, während Sozialwirtschaft und Eisenbahn dringend zusätzliches Personal brauchen. Löhne müssen sich stärker an der Realität des Personalmangels orientieren. Das heißt: Dort, wo es an Fachkräften fehlt, braucht es überdurchschnittliche Gehaltssteigerungen. Ein voller Ausgleich der Preissteigerung ist nur die Untergrenze, wenn Pflege- oder Betreuungskräfte gewonnen werden sollen.
Denn klar ist: Kaufkraftverluste in den Mangelberufen verschärfen strukturelle Probleme. Ohne attraktive Löhne wechseln weder junge Menschen in die Ausbildung noch erfahrene Kräfte in diese Berufe. Wer heute auf Sparrunden bei Löhnen setzt, gefährdet die Versorgung von Kindern, Kranken und Älteren morgen.
Wenn die Löhne nicht steigen, drückt das auf den Konsum
Eine weitere Gefahr droht gesamtwirtschaftlich: Wenn Löhne nicht steigen, schwächt das auch die privaten Ausgaben. Österreichs Wachstum hinkt den anderen Euro-Ländern bereits hinterher, vor allem weil die Kaufkraft vieler Haushalte unter der Teuerung leidet. Die Ärmsten geben mehr aus, als sie haben, während die Wohlhabenden ihr Vermögen wegsparen. Bleiben die Löhne nun hinter den Preisen zurück, wird die Nachfrage noch weiter gedämpft – der Schrumpfkurs setzt sich fort.
Gleichzeitig steigen die Lebenshaltungskosten weiter: Lebensmittel, Energie, Mieten – überall belasten hohe Preise die Haushalte. Der jüngste Metaller-Abschluss setzt zwar mit Einmalzahlungen kurzfristig Pflaster auf die Wunden, doch diese verschwinden wieder aus dem Grundgehalt und fehlen später auf Gehaltszettel und in Pensionen. Unterm Strich kostet das Beschäftigte durchschnittlich 12.000 Euro an entgangenem Einkommen über die nächsten 10 Jahre.
Steigen die Löhne nicht, muss die Politik die Preise senken
Wenn die Löhne nicht mit der Teuerung Schritt halten, muss die Politik an den Preisen ansetzen. Dazu gehören eine Mehrwertsteuersenkung auf Grundnahrungsmittel, Preisbremsen bei Energie sowie eine echte Mietobergrenze. Andere EU-Staaten zeigen längst, wie es geht: Kroatien fixiert Preise für ausgewählte Lebensmittel, Griechenland und Rumänien begrenzen Gewinnmargen der Handelskonzerne. Österreich könnte mit ähnlichen Maßnahmen den Preis eines 100-Euro-Einkaufs im Supermarkt auf 85 Euro senken.
Es geht um eine faire Verteilung der Krisenlasten. Statt Gewinne von Energie- und Handelsriesen weiter anwachsen zu lassen, braucht es eine Politik, die den Alltag leistbarer macht. Preisbremsen sind kein Tabubruch, sondern eine notwendige Korrektur eines Marktes, dessen Wettbewerb längst nicht mehr funktioniert.
Für die Lohnverhandlungen bedeutet all das: Ein Abschluss, der sich blind an der Metallindustrie orientiert, reicht nicht mehr. Dort, wo Arbeitskräfte dringend gebraucht werden, müssen die Löhne überdurchschnittlich steigen. Sonst bleibt die Sozialwirtschaft dauerhaft unterbesetzt – und die Versorgungslücken bekommen wir letztendlich alle zu spüren.