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Gesundheit

Pflegerin auf der Kinder- und Jugendpsychiatrie: “Zur Eskalation kam es, wenn wir unterbesetzt waren”

Ines ist 27 und hat sechs Jahre als Pflegerin auf der stationären Kinder- und Jugendpsychiatrie gearbeitet. Heute bereut sie keine Sekunde davon. Denn auch wenn auf Psychiatrie nicht alles immer rund läuft, glaubt sie fest daran, vielen jungen Menschen geholfen zu haben. Sie sagt: Die Psychiatrie ist nicht der grausame Ort, für den viele ihn halten.

Ich habe mich schon immer für die Psyche des Menschen interessiert, weil sie so ein Mysterium ist. Im Zuge meiner Ausbildung zur allgemeinen Gesundheits- und Krankenpflegerin belegte ich ein Fach namens Psychiatrie-Pflege. Eine engagierte Lehrerin hat mir das Thema professionell und wertfrei nähergebracht. Deshalb entschied ich mich dazu, eines meiner Praktika auf der Kinder- und Jugendpsychiatrie zu machen.

Mir gefiel sofort an dem Job, dass ich zur Vertrauensperson für diese jungen Menschen wurde. Ich selbst hatte eine ziemlich zerrüttete Jugend hinter mir. Währenddessen hätte ich mir gewünscht, einen Menschen zu haben, der mir zuhört. Dass ich diese Stütze schließlich für andere sein konnte, hat mir sehr viel Kraft gegeben. Deshalb bin ich nach meiner Grundausbildung auch in der Psychiatrie geblieben und habe die einjährige Spezialausbildung absolviert.

Kinder- und Jugendpsychiatrie: “Ich habe eine große Wut auf das System”

Die Menschen denken immer, dass die Psychiatrie ein grausamer Ort sei, wo Zwang und autoritäres Verhalten seitens der Pfleger:innen, Ärzt:innen und Therapeut:innen an der Tagesordnung sind. Reißerische Medienberichte schüren diese Angst. Das führt dazu, dass Menschen schon mit einer negativen Einstellung ankommen.

Ich muss zugeben: Auch ich habe einiges erlebt, das nicht schön war. Manchmal entstehen, vor allem am Abend, Kettenreaktionen, weil die Jugendlichen zu nah beieinander sind. Da verletzt sich ein Patient selbst, die nächste wird davon getriggert, haut den Kopf an die Wand und ein dritter sitzt auf dem Klo und übergibt sich. Wenn wir dann nur zu zweit auf der Station die Abendschicht absolvieren, können wir solche Eskalationen nicht verhindern. Ich habe mich oft machtlos gefühlt.

Deswegen habe ich eine große Wut aufs System. Auf den Stationen werden zu viele Jugendliche in einem Zimmer untergebracht. Sie finden keine Räume, um sich zurückzuziehen. Und wir sind unterbesetzt. Wir können Jugendliche in Krisensituation dann nicht von den anderen abschirmen, sie werden damit konfrontiert. Das liegt aber nicht an den bösen Pfleger:innen, sondern am Ressourcenmangel, der politisch nicht ernst genommen wird. Mir geht es da auch um den Schutz der Pfleger:innen: Ich habe Kolleg:innen, denen wurden Haarbüschel ausgerissen oder Knochen gebrochen. Bei einem angemessenen Personalschlüssel würde so etwas nicht passieren.

Zulauf auf Kinder- und Jugendpsychiatrie: “Wir müssen viel mehr vorbeugen”

Mit dem Ausbau der Kinder- und Jugendpsychiatrie allein ist es aber nicht getan. Wir haben während Corona einen gewaltigen Zustrom erlebt, weil Jugendliche im Alltag einfach vernachlässigt wurden. Es fehlte es an Freizeiteinrichtungen, Sportzentren – Anlaufstellen, die sie aufsuchen können, weil es zu Hause nicht mehr auszuhalten ist. Auch Schulen fehlt es an psychologischen Fachkräften, die mal ein Auge auf Selbstverletzungen oder auf Magersucht werfen. Außerdem fehlen Therapieplätze. Die Psychiatrie ist eigentlich nur der letzte Ausweg. Wenn wir mehr auf die Gesundheit unseres Nachwuchses achten würden, wären die Psychiatrien lang nicht so überfüllt.

Wie schlecht es Jugendlichen zurzeit geht, habe ich zuletzt erlebt, als ich im vergangenen Dezember kurzzeitig auf der psychiatrischen Ambulanz gearbeitet habe. Ich habe noch nie so viele Notfälle bei Jugendlichen gesehen, die auf Drogen zurückzuführen sind. Und damit meine ich nicht die üblichen Partydrogen wie Gras oder Ecstasy. Die Kids heutzutage wollen sich nicht mehr aufputschen, sondern nur noch betäuben: Sie nehmen Benzodiazepine wie Valium oder Opioide. Harte Drogen, die einfach taub machen. Das sollte alarmierend für uns Erwachsene sein.

Nach 6 Jahren auf der Psychiatrie: “Ich bereue keine Sekunde”

Ich hätte allerdings nie so lange auf der Psychiatrie gearbeitet, wenn ich nur Horrorfälle erlebt hätte. Ganz im Gegenteil: Ich bin heute noch in Kontakt mit ehemaligen Patient:innen, die jetzt schon volljährig sind und ihr Leben total im Griff haben und mir heute dankbar sind. Weil ich mir Zeit für sie genommen habe. Ich habe in meiner Zeit gelernt, dass ich nicht verantwortlich dafür sein kann, was diese Menschen mit ihrer Zeit auf der Station anfangen. Ich kann sie nur ein Stück begleiten und hoffen, dass sie etwas davon mitnehmen.

Besonders stolz bin ich auf eine Patientin, der ich mal einen hilfreichen Podcast empfohlen habe. Heute ist sie eine starke junge Frau. Die Produzentin des Podcasts schreibt auch Bücher und erwähnte mich und meine Patientin in einem Vorwort – in einem Buch übers Glücklichsein.

Auf der Kinder- und Jugendpsychiatrie übernimmst du viele Rollen gleichzeitig: Du bist Erwachsener, Aufsichtsperson, aber auch eine Freundin, jemand, der gerne zuhört. Du bist 12,5 Stunden Ansprechperson für diese jungen Menschen. Das gibt es auf der Erwachsenenpsychiatrie nicht. Ich werde jetzt einen neuen Berufsweg einschlagen, weil ich mich selbständig machen möchte, aber ich bereue keine Sekunde, die ich auf der Kinder- und Jugendpsychiatrie verbracht habe.

 

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